Agnes Baltsa

Die Schönheit der Stimme, die weich, rund und dabei leuchtend strömenden Vokallinien - wer dabei war, als die Baltsa noch nicht die Baltsa war, sondern eine ungemein talentierte Sängerin aus Griechenland, die das Callas-Stipendium gewonnen hatte, der erinnert sich, wie das Publikum im zweiten Akt des Figaro atemlos der Canzonetta dieses jungen Cherubin lauschte.

Kenner wussten also schon, was sie erwartete, als Christa Ludwig die Generalprobe der Einstandsproduktion Egon Seefehlners, Berlioz' Trojaner, absagte: Die Dido von Agnes Baltsa geriet zu einem Triumph - wenn auch noch im Rahmen einer geschlossenen Vorstellung.

Schon wenig später war die Baltsa Premierenbesetzung für die Partie des Komponisten in Strauss' Ariadne in einer legendären (auch → auf CD dokumentierten) Premiere unter Karl Böhms Leitung. Und bald setzten Direktoren eigens für diese Sängerin Premieren an: Bellinis Capuleti e i Montecchi wäre ohne den Romeo der Baltsa wohl so wenig auf den Spielplan gekommen wie Donizettis Maria Stuarda oder Rossinis Italienerin in Algier. Wo immer sich die Virtuosität dieser Sängerin in Sachen Belcanto-Beweglichkeit austoben konnte, waren Ereignisse vorprogrammiert.

Karajans Carmen

Dann war da aber Herbert von Karajan, der die Baltsa ins dramatischere Fach drängte, sie zur ungewöhnlich jugendlichen Herodias in Salome (und damit zur Konkurrentin von Hildegard Behrens) machte, ihr Verdis Eboli, (im Schallplattenstudio sogar die Amneris) anvertraute - und sie dank ihrer schlanken, hochgewachsenen Erscheinung für sein Ideal des Rosenkavaliers hielt - auch wenn die Bewältigung von Hofmannsthals feinem Sprachwitz allerhand zu wünschen übrig ließ.

Karajan hatte in der Baltsa auch »seine« Carmen entdeckt - und sich darüber mit ihr kurzzeitig sogar entzweit, sodaß sich das Salzburger Festspielpublikum plötzlich mit einer anderen Interpretin der Titelpartie konfrontiert sah, von der im Leben keiner etwas gehört hatte.

Die Baltsa aber hatte damit ihre Lebensrolle gefunden. Allein an der Wiener Staatsoper hat sie die Partie 60 Mal verkörpert - es gab Direktoren, die behaupteten, man könne Bizets Oper nicht ansetzen, wenn Baltsa gerade keine Zeit hätte . . .

Geschafft hat die Sängerin in den späteren Jahren ihrer Karriere den Umstieg auf herbe Frauenporträts jenseits der männermordenden Verführerinnen, in Wien war sie unter anderem die Küsterin in Janaceks Jenufa oder die Klytämnestra in Strauss' Elektra. Und da ging es längst nicht mehr um Stimmschönheit - da zählte das Bühnentemperament dieser Künstlerin, ihre Präsenz, ihre schauspielerische Charakterisierungskunst; Tugenden, die vom ersten Moment an überwältigten . . .


↑DA CAPO