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Giacomo (Jaime) ARAGALL

Einer der Lieblings-Tenöre des Wiener Opernpublikums

In den siebziger Jahren war Giacomo Aragall beinahe so etwas wie ein » Haustenor« der Wiener Staatsoper. Seine Auftritte in Rigoletto, Traviata, La Boheme, Manon und Tosca sind unvergessen.
Seiner Nervosität zum Trotz hat dieser Sänger doch so gut wie immer überragende Leistungen geboten. Vielleicht war sein sensibles Nervenkostüm sogar notwendig, um dermaßen vollendete Rollencharakterisierungen zu bieten, wie sie ihm offenbar selbstverständlich waren. Einer Weltkarriere, die seinem Können entsprochen hätte, stand es jedoch im Wege.
Wie auch immer: Die Wiener Opernfreunde sind dankbar, daß Aragall ihnen über Jahre hin gezeigt hat, in welche Höhen psychologisierender Intensität ein großer Gestalter seine Stimme führen kann.

Aragalls Comeback

Verständlich, daß anläßlich ihn das Publikum anläßlich seines Liederabends im Jahr 2000 mit Ovationen sondergleichen bedankte.

Das hatte freilich nicht nur mit nostalgischen Erinnerungen zu tun. Nach wie vor konnte nämlich die Ausdruckskraft von Aragalls Gesang überwältigen.

→ Die Rezension vom 6. Juli 2000


Gewiß spüren Kenner, wo der Sänger früher subtilere Pianissimi, gehauchtere Phrasen angebracht hätte; doch ist selbst das in dieser Hinsicht ein wenig reduziertere Repertoire des fast Sechzigjährigen noch haushoch über das erhaben, was ein Großteil der jüngeren Tenöre im besten Fall zu bieten hat.
Darüber - und über prachtvoll, ja strahlend entfaltete Phrasen - bricht also auch heute noch - und vielleicht mehr als je zuvor - verständlicher Jubel aus. Begleitet von dem fabelhaft aufmerksamen und präzisen Vincenzo Scalera sang Aragall Bellini, Donizetti, Tosti, Puccini und manch populäres Liedchen, aber auch, wunderbar konzentriert und einfühlsam die große Arie des Lenski aus Tschaikowskys Eugen Onegin, womit der Künstler sein Wiener Opernrepertoire zumindest noch um eine interessante Facette bereichert hätte.
Zugabe um Zugabe, vom Pianisten zum Teil sogar improvisatorisch begleitet, bedankte er sich für Standing ovations.

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Hochdekoriert von der Republik

In der Ära Dominique Meyers erhielt der spanische (pardon: katalanische) Tenor Jaime (Jaume) Aragall das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse. Zaungäste der Zeremonie im Teesalon der Staatsoper waren Künstler-Freunde Aragalls wie Otto Schenk und Ileana Cotrubas, die bevorzugte Bühnenpartnerin des Tenors. An deren Seite hat Aragall viele seiner (insgesamt 43!) Rodolfos ("La Boheme") und Alfredos ("La Traviata") in Wien gesungen.

163 Mal ist Aragall - Dominique Meyer wählte den Vornamen Giacomo, wie er einst immer auf den Abendplakaten zu lesen stand, und sprach dem Geehrten zuliebe auch Italienisch - auf der Staatsopernbühne gestanden. Er war einer der absoluten Wiener Publikums-Favoriten; seine intensiven Interpretationen von Partien Verdis, Puccinis, aber auch sein Des Grieux in Massenets "Manon" sind unvergessen und an Intensität von kaum einem Nachfolger erreicht worden.

Unter den Gratulanten auch Mitglieder des jungen Staatsopern-Ensembles wie Clemens Unterreiner, der Aragall einst als Stehplatzbesucher adorierte. Von Aragalls Auftritten existieren etliche - nicht immer legale - Mitschnitte, von denen jener der Massenet-Premiere "Manon" von Anfang der Siebzigerjahre unverzichtbar für jeden freunde ausdrucksvoller Gesangskunst ist. An der Seite von Jeanette Pilou machte Aragall - kurzfristig für den erkrankten Nicolai Gedda eingesprungen - die Premiere der stimmungsvollen Inszenierung Jean-Pierre Ponnelles auch zu einem akustisch prachtvollen Ereignis. Die Intensität seiner große Arie im St.-Sulpice-Bild ist allen, die sie hören durfte, unvergeßlich.

ARAGALL IM INTERVIEW (1997)

Im Jahr 1997, als an weitere Engagements im von Ioan Holender geführten Haus am Ring nicht mehr zu denken war, gab Aragall einen Lieder- und Arienabend in Wien. Im Vorfeld stand der Tenor im Interview Rede und Antwort:

Giacomo Aragall, für die Wiener Opernfreunde ein Idol, ist trotz der Verehrung, die ihm entgegengebracht wurde, stets bescheiden geblieben. Nicht getragen von einer mächtigen PR-Maschinerie, die wei bei vielen Kollegen seine Karriere auch jenseits der Opernbühne vorangetrieben hätte.

Anders als viele Kollegen hat Aragall nie versucht, den Anschein zu erwecken, das Singen sei eine mühelose Angelegenheit. Im Gegenteil: „Es ist sehr schwer”, sagt er noch heute im Gespräch. Schwer, wenn man, wie er, an einem Opernabend immer „ganz und gar in der Person, die dargestellt werden soll, aufzugehen” versucht.

Sein Publikum hat ihm die unmittelbare, hundertprozentige Hingabe an seine Rollen immer mit liebevollem Entgegenkommen gedankt. Man fühlte: Er sang nicht den Rudolf, er war es im Moment der Aufführung wirklich, ging mit Haut und Haaren in seiner Partie auf. Das forderte seinen Tribut. Der Sänger, der bekennt, daß sein Metier etwas mit „Schwerarbeit” zu tun hat und gerade dort, wo es „am leichtesten wirken soll” am kompliziertesten wird, schien zuweilen auch in tiefe Krisen zu schlittern, aus denen er jedoch stets wieder wie der Phönix aus der Asche hervorging.

Während der vergangenen Jahre hat sich Aragall in Wien – und nicht nur hier – rar gemacht. Danach befragt, nennt er vor allem die Programmplanung als Begründung: „Wissen Sie, man hat mich immer zu einer Vorstellung eingeladen: einmal Cavaradossi, einmal Don Carlos. Da hat man kaum Zeit, sich auf eine Produktion einzustellen. Kaum ist man in der Stadt, ist die Aufführung auch schon wieder vorbei.”

Aragall und Wien

Früher war das anders. Da zählte Aragall zu den Stützen des Wiener Repertoirebetriebes und machte im Verein mit Kollegen wie Reri Grist, Kostas Paskalis oder Ileana Cotrubas viele „Rigoletto”- oder „Traviata”-Vorstellungen zu Festen. „Ich liebe diese Stadt und das Wiener Publikum”, sagt er mit hörbarer Begeisterung in der Stimme, „weil man mich hier mit so großer Zuneigung aufgenommen hat. Ich habe viele Freunde hier.”

Dennoch scheint es für den feinfühligen Gestalter Aragall kein Staatsoperngastspiel mehr zu geben. „Oper singe ich in Barcelona, demnächst auch wieder in Paris. Vor allem gebe ich jetzt aber Konzerte. Zuletzt in München mit Ausschnitten aus ,Tosca' und ,Madame Butterfly', oder in Barcelona, wo ich ein gemischtes Programm mit neapolitanischen Liedern und einem Querschnitt aus Gounods ,Faust' gesungen habe. Es war ein Riesenerfolg.”

Bei der Gelegenheit durften die Verehrer den Tenor wieder einmal mit den wichtigsten Nummern einer Oper hören, die er seit langem nicht mehr auf der Bühne gesungen hat.

Solche Überraschungen können Musikfreunde nicht nur in Spanien und demnächst in Japan sammeln. Zum Wiener Liederabend bringt Aragall „seinem Publikum” im großen und ganzen jenes bunte Programm, mit dem er vor einigen Monaten in München Furore gemacht hat: „Aber sicher mit ein bißchen mehr Puccini.
Im Musikverein allein zu singen, das wird für mich eine aufregende Erfahrung. Das habe ich noch nie gemacht. Überhaupt war ja der Münchner Auftritt mein erstes Solorecital.”
Es entsprach bisher nicht seinem Image, allein im Zentrum eines Abends zu stehen – mit ein Grund für Aragalls Image, das er nun im vierten Jahrzehnt seiner Karriere ein bißchen zurechtrückt. Mit Erfolg; nicht nur beim Publikum: In Spanien wurde Aragall jüngst Doktor honoris causa!

Aufnahmen

Auf Schallplatte ist die Kunst Aragalls nur unzureichend dokumentiert. Immerhin: Sir Georg Solti setzte den sensiblen Gestalter in einigen Verdi- und Puccini-Einspielungen ein. So nahm er mit ihm Simon Boccanegra und Tosca auf - Kiri Te Kanawa sang die Titelpartie und beide Sänger sorgen, umtost von Soltis Orchester-Furioso für die lyrisch strömenden Kantilenen, woraus jene Mixtur der Gegensätze entsteht, die Puccinis veristisches Drama braucht.

Die Kunst dieses Sängers zu dokumentieren, bräuchte es professionelle Video-Mitschnitte von Live-Aufführungen. Nur auf der Bühne blühte dieser Künstler zur vollen Form auf. Doch sind offizielle DVDs spärlich gesät. Spät in seiner Karriere hat Aragall aber einige Solo-CDs aufgenommen, die zumindest hören lassen, was das Publikum an seiner Stimme fasziniert hat: Das etwas rauchige, männliche Timbre entfaltet bis ins höchste Register seinen virilen Charme; und die Kunst, Pianissimi zu modellieren, ohne dabei die satte Resonanz des Brustregisters einzubüßen, ließ sich auch vor Mikrophonen und anhand von volkstümlichen Kanzonen demonstieren.

Aus der Glanzzeit des Tenors stammt die Gesamtaufnahme der Massenet-Rarität Esclarmonde, die als Dokument der Koloraturgewandtheit von Joan Sutherland eingespielt wurde und für die man einen sensiblen Gestalter einschmeichelnder Phrasen benötigte, dessen Stimme auch zu heldischen Attacken fähig war: Einen Besseren hätte man nicht finden können . . .



In München entstand unter Lamberto Gardellis Leitung ein hörenswerter Rigoletto, der bei den Kommentatoren auf Grund der Besetzung von Gilda und Rigoletto mit den doch gar nicht italienisch konnotierten Solisten Lucia Popp und Bernd Weikl wenig Gnade fand - dabei könnte jeder vorurteilsfreie Hörer den Vokalleistungen dieser Aufnahme einiges abgewinnen!

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