Die Frau für heikle Einsätze
Drei Gespräche mit Laura Aikin
Die quirlige Sopranistin, → über die Frage, wie man in eine verrückte Salzburger »Entführung« einspringt und moderne Opern zum Erfolg macht.
Laura Aikin, dienstags eine der Protagonistinnen der Uraufführung von Hans Werner Henzes »L'Upupa« bei den Salzburger Festspielen, hat bereits im Vorfeld der Premiere von sich reden gemacht. Über Nacht sprang sie in der zweiten Aufführung der umstrittenen, vom Publikum zum Teil sogar während der Aufführungen heftig diskutierten Inszenierung von Mozarts »Entführung aus dem Serail« als Konstanze ein.
Im Rahmen einer dermaßen ungewöhnlichen szenischen Arbeit, bei der nichts so ist, wie man sich's von der bekannten Mozart-Oper erwartet, gleicht ein solches Einspringen einem Himmelfahrtskommando. Denn jede Bewegung, jeder Gang will erlernt sein, damit er nicht aus dem Rahmen fällt, den die Regie vorgegeben hat.
Laura Aikin sang die Konstanze also aus der Kulisse. Das war freilich noch nicht das Ende ihrer »Entführung-Odyssee. Im Gespräch resümiert die Künstlerin:
Gefragt, ob ich mittwochs ein einspringen kann, hat man mich am Dienstag. Ich war gerade auf der Probe für die Henze-Uraufführung. Ich hatte die Konstanze zuvor nur zweimal in einer konzertanten Produktion gesungen. Das ist jetzt zwei Jahre her. Mittwoch sang ich dann aus der Kulisse, musste also nicht reagieren auf das, was auf der Bühne geschieht. Aber ich habe genau aufgepasst, so dass meine Partner frei agieren konnten und wir immer mit dem Orchester zusammen waren. Die dritte Aufführung, die ich ebenfalls gesungen habe, war eine konzertante Aufführung für einen der Hauptsponsoren der Festspiele in Ingolstadt. Das war ein Riesenerfolg, wurde mitgeschnitten und soll demnächst sogar als CD auf den Markt kommen. Tatsächlich war es also so, dass ich am Dienstag gefragt wurde, ob ich es überhaupt machen würde, und am Freitag eine fertige CD-Produktion vorlag.
Die während der Reprisen wild umfehdete, zuweilen abbruchgefährdete Inszenierung Stefan Herheims findet Aikin übrigens faszinierend. »Vielleich, sagt sie, »packt sie ein bisschen hart zu, aber ich liebe die Produktion, habe schon die Premiere gesehen und es tut mir leid, dass das Publikum dermaßen schlecht darauf reagiert
Mit sogenannten »zeitgemäßen« Regiearbeiten hat Laura Aikin prinzipiell kein Problem.
Ich möchte die Wand niederreißen, die zwischen Regisseuren und Sängern steht. Am liebsten würde ich selber Regisseurin sein. Ich betrachte es als Sängerin auch als meine Pflicht, mich in den Kopf des Regisseurs hineinzudenken und herauszufinden, was er will.
Oper muss doch eine lebendige Kunstform sein. Ich habe ja keine Tradition in mir. Ich habe auch in Wien die Adele gesungen und nie zuvor die ,Fledermaus' gesehen. Man muss nicht immer Bescheid wissen, wie etwas gewesen ist. Ich habe zwar Respekt vor der Tradition, aber Kunst kommt doch von innen . . .
Am liebsten arbeitet Laura Aikin mit Sven Eric Bechtolf, mit dem sie in Zürich unter Franz Welser-Mösts musikalischer Leitung Bergs »Lulu« erarbeitet hat: »Bechtolf behandelt die Sänger wie Schauspieler. Das ist am besten. Obwohl wir in Zürich die zweiaktige Version der Oper gespielt haben, was schade ist. Ich habe lieber die von Cerha vervollständigte dreiaktige Version, weil da die Geschichte mehr Entwicklung hat
Wenn die Fächer kaputt gehen
Da kommt auch im Gespräch die Bühnenpersönlichkeit der Laura Aikin zum Vorschein: »Ich könnte die Lulu ja zweimal am Tag singen, sechsaktig sozusagen.« Temperament ist ihr in keiner Lebenslage abzusprechen. Es kommt schon auch vor, dass sie im Furor des Theatermachens Utensilien vernichtet. »In der Wiener Fledermaus habe ich mehrere Fächer kaputt gemacht
Die Mozart-Abenteuer in Salzburg haben die Spiellaune der Sopranistin in Sachen neuer Oper nicht gebremst. Im Gegenteil: »Am Tag der konzertanten ,Entführung' in Ingolstadt hatten wir noch Bühnen-Orchesterprobe für den Henze, dann vier Stunden mit dem Auto zur Aufführung, nächsten Tag Sitzprobe für Henze. Es ging wunderbar
Henzes Oper sei, so Aikin, »ein einfaches Märchen. Es ist nicht provokant, aber die Charaktere haben alle ihre dunklen Seite. Für die Singschauspielerin Aikin spannend.
"Optisc, plaudert sie aus der Schule, »wird die Produktion zauberhaft. Die Besetzung ist sehr gut. Star der Show wird aber, glaube ich, Markus Stenz.« Der deutsche Dirigent hat etliche Henze-Uraufführungen geleitet und springt in Salzburg für Christian Thielemann ein. Aikin über Stenz: »Ein großartiger Dirigent, ein netter Kollege DA CAPO ↑
Lulus Rückkehr
2012 kehrte Laura Aikin nach längerer Abwesenheit wieder einmal nach Wien zurück. Natürlich in einer Aufführung der »Lulu-Suite« von Alban Berg. Im → Gespräch deutet sie bereits an, wohin die Reise künftig gehen könnte.
"Ich war schon versucht zu sagen: ,Nicht schon wieder Lulu, ich kann auch noch etwas anderes.' Aber natürlich singe ich das gern und werde es auch gern wieder auf der Bühne machen", sagt Laura Aikin, so etwas wie die Titelrollen-Interpretin vom Dienst in den Aufführungen von Alban Bergs unvollendet hinterlassener zweiter Oper. Im Wiener Konzerthaus brachte eine Aufführung der vom Komponisten einst für Erich Kleiber arrangierten »Lulu"-Suite im Jahr 2007 ein Wiederhören mit der Sopranistin, die eine Zeitlang Wien gemieden hatte.
Die amerikanische Sopranistin will die Erfahrungen, die sie in aller Welt mit ihrer Paraderolle machen durfte, nicht missen. Am wenigsten die Zusammenarbeit mit Peter Stein, der etwas getan hat, was im heutigen Opernbetrieb ganz ungewöhnlich ist: Er wollte das Stück auf Punkt und Komma so realisieren, wie es in Wedekinds Text (und Bergs Partitur) steht.
Für Laura Aikin, die Regietheater-Arbeiten aller Art miterlebt hat, war das, was so »normal« klingt, ein völlig ungewohnter Ansatz: »Stein meinte nur: Berg ist ein Genie gewesen. Wir wollen so viel rausholen aus diesem Genie wie irgend geht! Das war für uns zuerst verwirrend, am Ende aber traumhaft; und wurde zur Produktion des Jahres!"
Ganz nah dran war damals schon Aikins Tochter: »Sie war gerade drei und hat sich geweigert, von einer Nanny betreut zu werden. Denn solange eine Betreuerin bei ihr war, hat sich kein Mensch aus dem Ensemble um sie gekümmert. Als sie aber ganz still mit Buntstiften und Papier auf dem Klavier saß und alles beobachtete, war sie der Star, ohne dass sie auch nur einmal die Arbeit gestört hätte! Peter Stein meinte nur: Deine Tochter ist nicht normal . . ."
Grundprobleme in »Musikländern"
Das Mädchen ist jetzt sieben und, wie ihr Bruder, mit ein Grund, dass die Familie aus Italien nach Berlin übersiedeln wird. Immerhin spielt der Sohn Cello und ein Studium in Italien, einst ein blühendes Musikland, ist mittlerweile ein Ding der Unmöglichkeit geworden: »Man kann nur noch Privatstunden nehmen", sagt die Sängerin, »und dabei kommen die Kinder nie dazu, mit anderen gemeinsam zu musizieren . . ."
Apropos Unterricht: Laura Aikin ist selbst schon unter die Lehrerinnen gegangen, gibt Meisterkurse in den USA, in Mailand, in Amsterdam: »Das ist das Schönste auf der Welt", schwärmt sie, »ich gehe dabei sofort in die Technik. Ein Sänger muss ja zuerst seinen Atem finden. Erst wenn das Technische stimmt, kann man mit musikalischen, mit gestalterischen Fragen beginnen!"
Fast ein Jahrzehnt ist es mittlerweile her, dass Aikin an der Wiener Staatsoper zu hören war. Kontakte mit Dominique Meyer hat sie aber geknüpft und er hat versprochen, sie »zurückzubringen". Das Comeback zu den Salzburger Festspielen - wo sie 2003 Henzes »Upupa« aus der Taufe gehoben hatte - im Vorjahr, in der erfolgreichen Produktion von Bernd Alois Zimmermanns »Soldaten", war umjubelt: »Dabei hatten wir panische Angst", erinnert sich die Sängerin, »denn die Musik ist wirklich schwer zu realisieren. Aber es lief alles so professionell, dass es gar keinen Stress während der siebenwöchigen Probenzeit gab."
Und erst recht nicht während der Aufführungsserie, weil das Publikum neugierig und gespannt mitging: »Ich habe ja auch das Gegenteil schon erlebt", berichtet die Künstlerin aus ihrer reichen Erfahrung mit zeitgenössischer Musik.
Freilich lässt sie sich nicht gern auf die jüngere Musikgeschichte reduzieren. Die Donna Anna in Mozarts »Don Giovanni", die Vitellia im »Titus", das sind Partien, die sie nach vielen Konstanzen in der »Entführung aus dem Serail« gern interpretieren würde. Auch »Salome« oder Emilia in Janaceks »Sache Makropoulos« würden sie faszinieren, weil sie auch darstellerisch fordernde Partien sind. »Die DVD hat ja unseren Zugang zur Oper verändert", sagt sie, »man spielt heute viel intensiver Theater als früher.« Nur zu singen, nur noch Konzerte zu geben, das wäre für Laura Aikin eine unangenehme Vorstellung: »Ich würde eher das Singen aufgeben als das Theaterspielen . . ."
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Vor der Premiere von
»Die Sache Makropulos«
Jänner 2015. → Laura Aikin über die Partie der Emilia Marty, eine Figur, die skrupellos und über Leichen gehend durch die Jahrhunderte wandert. Eine der fesselndsten Aufgaben, die das jüngere Musiktheater für eine Sängerin bereithält.
Es ist faszinierend«, sagt Laura Aikin, nachdem sie versucht hat, einige Merkwürdigkeiten des Tschechischen zu schildern. »Es ist meine erste Erfahrung mit einer slawischen Sprache«, fährt sie fort. Die zentrale Rolle in Leos Janaceks Oper »Die Sache Makropulos« markiert unter den vielen extremen Herausforderungen, die diese Künstlerin in ihrem reichen Musiktheaterleben schon angenommen hat, zumindest in sprachlicher Hinsicht ein Extrem.
Was die musikalischen Parameter betrifft, ist die Emilia Marty alias Elena Makropulos eher zu den leichteren Übungen zu zählen. Die Aikin scheint für die Intendanten der Musikwelt stets die erste Wahl, wenn es gilt, heikle Partien im Bereich der musikalischen Moderne zu besetzen, sei es Henzes Manon (»Boulevard Solitude«) oder die Marie in Bernd Alois Zimmermanns »Soldaten« (zuletzt bei den Salzburger Festspielen zu erleben), sei es der Engel in Olivier Messiaens »St. Francois d'Assise«) oder Morgan Le Fey in Harrison Birtwistles »Gawein« (2013, ebenfalls in Salzburg).
Nicht zu vergessen die »Lulu«. Alban Bergs verführerische Zwölftonkoloratur-Sexbombe war sozusagen das Alter Ego der Laura Aikin. Und könnte es, wenn es nach ihr ginge, noch eine Weile bleiben: »Ich glaube«, sagt sie, »ich würde heute meine beste Lulu singen. Jedenfalls beherrsche ich die Partie perfekt und weiß natürlich heute mehr über sie als je zuvor.«
350 Jahre lang jung und verführerisch
Andere Figuren würde sie eher nicht mehr darstellen wollen: »Also, die Marie in den ,Soldaten', würde ich nicht mehr singen. Das soll doch ein Mädchen von 15 Jahren sein. Das glaubt man mir wohl nicht mehr!« Für Janacek begibt sie sich an der Staatsoper gerade ans andere Ende der Skala: Die Dame, die stets Namen mit den Initialen E. M. trägt, wandert durch die Jahrhunderte. Und zwar dank eines einst für Kaiser Rudolf II. in Prag gebrauten Elixiers.
Wenn sie auf der Bühne erscheint, hat sie bereits 350 Jahre überstanden - stets freilich als faszinierende junge Frau von vielleicht 35 Jahren, denn das Elixier macht unsterblich. Und seelenlos. Zumindest nach außen hin: »Es scheint so«, sagt Laura Aikin, »dass dieses Wesen völlig ungerührt ist, völlig gefühllos. Sie geht über Leichen. Jedenfalls ist ihr Weg von Leichen gepflastert.« Auch in der Oper erleben wir, wie sie die Eifersucht zwischen zwei Männern schürt, von denen sich der jüngere dann umbringt.
»Ich glaube aber nicht«, erläutert die Sängerin, »dass dieser Frau das alles egal ist. Man muss auch sehen: Der Zaubertrank gibt ihr die Möglichkeit, lang zu leben, aber sie muss es auch wollen. Und lange Zeit wollte sie leben.«
Leben, das war in ihrem Fall gleichbedeutende mit: Erfolg haben. »Sie hat die unterschiedlichsten Gestalten angenommen - in der Oper erleben wir sie als berühmte und gefeierte Sängerin. Im zweiten Akt fragt sie nach einer Vorstellung: War ich gut? Habe ich gefallen? Das ist es, was ihr Kraft gibt. Aber sie trägt natürlich im Lauf einer dermaßen langen Zeit auch Verwundungen mit sich. Nicht nur äußere, von denen tatsächlich im Text die Rede ist, sondern auch innere. Und an ihnen geht sie zu Grunde.«
Die Emilia Marty, die wir in der Oper »Die Sache Makropulos« auf der Bühne sehen, will nicht mehr leben. »In der Urfassung des Textes heißt es an einer Stelle: Ich leide seit 200 Jahren an Kopfschmerzen. Das ist in der Oper durch eine weniger konkrete Formulierung ersetzt worden. Aber wir haben das wieder hergestellt und nützen es für die Inszenierung:. Diese Frau fühlt ihre Lebensgeister schwinden - und jeder ihrer Schwächeanfälle beginnt mit Kopfschmerzen.«
Die Sehnsucht, dem überlangen Leben ein Ende zu setzen, das Geheimnis des »rettenden« Elixiers lieber zu verschenken, als nochmals davon Gebrauch zu machen, resultiert wohl daraus, dass Emilia alias Elena der Bodenlosigkeit ihrer Lebenseinstellung gewahr wird: »Sie hat immer nur von den anderen genommen. Und sie sackt zusammen, sobald sie etwas von sich geben müsste.«
Protokoll eines seelischen Verfalls
Die Selbsterkenntnis führt schließlich den seelischen Verfall herbei. »Diese Frau zitiert aus ihrem früheren Leben immer wieder Fragmente aus griechisch-orthodoxen Gebeten. Sie ist wohl nicht wirklich gläubig; aber abergläubisch! Als ob sie sich davor fürchtet, in die Hölle zu kommen, weil sie so viele Menschen um ihr Leben und ihr Glück gebracht hat.«
Ein ungewöhnliches psychologisches Protokoll, das da musikalisch und theatralisch geführt wird - mit einem der großen Regisseure unserer Zeit, mit dem Laura Aikin schon einmal mit Freude zusammengearbeitet hat: »Peter Stein«, sagt sie, »hat jene ,Lulu'-Produktion inszeniert, die mit Sicherheit dem Text am nächsten war. Ich hatte vorher ganz unterschiedliche Regiearbeiten erlebt - und es waren wirklich spannende Erlebnisse dabei. Aber bei Stein haben wir uns auf Punkt und Komma daran zu halten versucht, was bei Wedekind und bei Alban Berg steht.« Ein Rezept, pardon: Elixier, das diesmal bestimmt auch für Janacek zur Anwendung kommen wird.
Die nächste Station im Terminplan der Laura Aikin ist dann übrigens Berlin - und musikalisch geradezu erholsam bei Klängen von Richard Strauss' »Ägyptischer Helena«. Wien folgt wieder 2016, ein wenig avancierter: Musik von Henze, mehr wird noch nicht verraten . . .