Krystian Zimerman

* 1956

Krystian Zimerman ist der konsequenteste Eigenbrödler unter den Pianisten unserer Zeit, die einige Seinesgleichen in ihren Reihen haben. Aber Zimerman verweigert sich jeglicher zivilisierten Komunikation, ausgenommen SMS-Nachrichten, die er nach Gutdünken beantwortet oder ignoriert.

Zu Konzerten reist er prinzipiell mit seinem eigenen Flügel an, den er dann in mühevoller Kleinarbeit und abgeschirmt von allen Beobachtern eigenhändig für die abendlichen Aufführungen präpariert.

Zimermans Karriere begann 1975, als er in Wien am Beethoven-Wettbewerb teilnahm und in Warschau den Chopin-Wettbewerb gewann. In der Folge interessierten sich die bedeutendsten Dirigenten jener Epoche für den jungen Solisten.

Herbert von Karajan konzertierte Anfang der Achtzigerjahre in der ganzen Welt mit Zimerman, Leonard Bernstein machte etliche Aufnahmen mit ihm.

Immer wieder legte Zimerman auffällig lange Pausen ein, um sich nicht nur musikalisch weiterzubilden. Seine erste Pause nutzte er, um sein Repertoire jenseits von Chopin auszubauen, weitere Aufbauphasen dauern oft jahrelang, zeitigen dann aber bemerkenswete Früchte: So war Zimerman 1988 der Solist der Uraufführung von Witold Lutoslawskis Klavierkonzert, dann widemete er sich Solo-Literatur und Kammermusik aus der Feder von Grazyna Bacewicz.

2020 nahm sich Zimerman aus Anlaß des Beethoven-Jahres zum zweiten Mal aller fünf Klavierkonzerte des Meisters an: »Unvergleichlich und geistvoll«, hieß es in einer Rezension der Aufführung sämtlicher Beethoven-Klavierkonzerte durch Krystian Zimerman und das London Symphony Orchestra unter Simon Rattle anläßlich des Komponisten-Jubiläumsjahres in London. Die CD-und LP-Edition der Aufnahmen dieser Konzerte erschien 2021 und markierte im reichen Katalog dieses Pianisten doch eine bemerkenswerte Station. Die Beethoven-Konzerte stellen ja doch eine der herausragenden Aufgaben für einen Klassikinterpreten dar; hier läßt sich nicht mit blanker Virtuosität protzen. Das Publikum hat nach wie vor ein feines Gespür für die Zwischentöne, die Nuancen, die das Stilbewußtsein eines Pianisten ausmachen. Und da hat Krystian Zimerman über die Jahrzehnte seiner Karriere doch immer überzeugen können.

Selbstkritik

Zwar bekennt er selbst immer wieder, es sei jede seiner Aufführungen anders als alle vorangegangenen. Und wirklich zufrieden sei er nie. Aber hie und da kommen die Ansprüche, die er an sich selbst stellt, und die, mit denen er auch seine Musizierpartner konfrontiert, über weite Strecken zur Deckung. Achtzig Prozent von dem, was er sich erträume, habe, so meinte der Pianist im Gespräch für das Magazin des Linzer Brucknerhauses, Sir Simon Rattle in der Zusammenarbeit bei den Beethoven-Aufnahmen erreicht. Für einen so strengen Zensor interpretatorischer Fragen, der notabene auch mit sich selbst hart ins Gericht geht, ist das allerhand.

Außerdem ist die Aussage typisch für Zimerman, der nie ein Hehl aus seinen Meinungen macht und unangenehme Tatsachen und Erkenntnisse nicht umschreibt, sondern beim Namen nennt. Hie und da ist er dann Mißverständnissen ausgesetzt. Sein Publikum weiß, daß es bei manchen Auftritten Krystian Zimerman nicht nur als Musiker, sondern auch als Verkünder politischer oder moralischer Standpunkte erleben kann. Oft staunt man nicht schlecht über die Ansprachen, die er vom Podium aus hält-in den USA gab es einige Verwirrung nach einem Statement über die amerikanischen militärischen Interessen in Europa. Die Los Angeles Timesv berichtete darüber, wobei Zimerman Informationen zu haben meint, der Rezensent sei zum Zeitpunkt seiner Aussagen gar nicht mehr im Saal gewesen. So sei die Legende entstanden, er hätte damals verkündet, nie wieder in den USA auftreten zu wollen. Wie auch immer: Ein paar Monate später stand mein Haus im Flammen, erklärt der Künstler im Brucknerhaus-Interview. Was sind dagegen schon die vielen Anekdoten, die sich im Klassikbetrieb um diesen Pianisten ranken?

Exzentrik

Intendanten können ein Lied davon singen, wie schwer es ist, Zimerman zu engagieren. Man verkehrt mit ihm via SMS-und hofft, daß er antwortet. Manchmal sagt er dann spontan einen Konzerttermin zu. Was er dann spielen wird, bleibt meist bis zur Drucklegung des Programmhefts geheim. Der Künstler nimmt den Standpunkt ein, sein Publikum möge nicht zur »Mondscheinsonate« pilgern, sondern zu ihm, er hätte seine Hörer noch nie enttäuscht. Das dürfte stimmen, da ja der eigene Qualitätsanspruch in höchste Höhen geschraubt ist. Und apropos schrauben: Zimerman reist immer mit seinem Lastwagen und dem eigenen Steinway-Flügel inklusive verschiedener Tastaturen. Auf den Podien wird das Klavier vor den Konzerten rigoros abgeschirmt, damit niemand zuschauen kann, wie der Pianist sein Instrument eigenhändig präpariert. Er hämmert und schraubt, wie man hören kann; was dabei genau geschieht, bleibt ein Geheimnis, konsequenter gehütet als die abendlichen Konzertprogramme, die immerhin rechtzeitig vor Druck der Programmhefte feststehen.

Rituale

Rituale wie diese gehören zum ungewöhnlichen Künstlerleben dieses Mannes, der schon nach seinem Sieg beim renommierten Chopin-Wettbewerb in Warschau 1975 - da war er 18 Jahre jung - gegen die Mühlen des internationalen Musikbetriebs aufbegehrte. Engagements gab es nach dem Triumph selbstredend sogleich und in rauhen Mengen. So rauh, daß Zimerman überlegte, auch gleich wieder aufzuhören. Eine akribische Arbeit an den Meisterwerken der Musikgeschichte war so nicht zu erreichen, dachte er.

Karajans Angebot

Doch da kam ein Angebot Herbert von Karajans für Konzerte bei den Salzburger Osterfestspielen und in der Berliner Philharmonie. Der Rest ist nicht nur Interpretations-, sondern auch Schallplattenlegende. Nach Aufnahmen unter Karajan folgten die Wiener Philharmoniker und Leonard Bernstein. So entstand unter anderem der erste Aufnahmezyklus der Beethoven-Klavierkonzerte im Wiener Musikverein, der für Audio-und Videoverwertung mitgeschnitten wurde. Seither konnte und kann Krystian Zimerman sich erst recht aussuchen, wenn er was mit welchen Partnern aufführen möchte.

Viel Kammermusik ist dabei, denn das, so meint der Pianist, sei die Grundlage für jedes ernsthafte Musizieren-auch die großen Klavierkonzerte der Romantik zählt er in Wahrheit zu diesem Genre; da müsse man nur die rechten Dirigenten und Orchester finden, um die Werke so zum Klingen zu bringen, wie er sie hören möchte. Dabei die Achtzig-Prozent-Marke zu erreichen, ist ohnehin allerhand . . .


↑DA CAPO