Michail Pletnev

* Archangelsk, 1957

Michail Pletnev machte als einer der begabtesten russischen Pianisten seiner Generation Karriere, wechselte dann aber ans Dirigentenpult, was ihm viel Ehre einbrachte, aber seine musikalische Entwicklung hemmte. Eine private Katastrophe sorgte für einen massiven Karriere-Einschnitt.

Geboren in Archangelsk, entwickelte sich Michail Pletnev zu einem der herausragenden Pianisten seiner Generation, messerscharfe Attacke und glasklare Artiukation sicherten ihm beim Tschaikowsky-Wettbewerb 1978 die Goldmedaille.

Tschaikowsky
Fedosejew - Pletnev (Virgin)


Im Verein mit Wladimir Fedosejew nahm Pletnev nicht nur in London die Tschaikowsky-Klavierkonzerte auf, sondern präsentiert mit dessen Moskauer Rundfunkorchester Anfang der Neunzigerjahre sämtliche Werke für Klavier und Orchester von Tschaikowsky auf Tournee (und für Video-Aufzeichnung) auf mehreren Stationen einer Tschaikowsky-Tour.

Doch zu diesem Zeitpunkt hatte Pletnev bereits Dirigier-Ambitionen, die ihm gute Kontakte zu den politischen Machthabern in Rußland nach dem Zusammenbruch des Kommunismus erleichterten. Pletnev konnte sein eigenes Orchester gründen und bekam sogar von der Deutschen Grammophon einen Exklusiv-Kontrakt angeboten, der es ihm ermöglichte, Aufnahmen - vor allem russischer Musik - zu produzieren.

Eine Zeitlang galt er als musikalischer Botschafter des neuen Rußland und er bereiste als solcher unter anderem auch die USA.

Versuche, als Pianist wieder Fuß zu fassen, gelangen nicht überzeugend.
→ Recital in Wien, 1996
Michail Pletnev war in Wien schon vor zehn Jahren erfolgreich. Sein rasanter, stahlharter Stil blendete seither nicht nur bei Musik wie jener von Prokofieff, sondern auch bei romantischem Passagenwerk, wie es Carl Maria von Weber verlangt.

Dazwischen hat Pletnev auch versucht, als Dirigent zu reüssieren, was ihm so wenig bekam wie den meisten Nebenberuf-Maestri seiner Zunft. Nun aber kehrte er - nota bene mit einem provokant kurzen Programm - in den Pianisten-Zyklus des Konzerthauses zurück, der Werkreihen gewidmet ist, die nach Art des "wohltemperierten Klaviers" durch alle Tonarten führen.

Pletnev wählte Alexander Skrjabins erste Serie von "Preludes", das Opus 11, und konfrontierte die 24 Piecen mit Chopins h-Moll-Sonate.

In beiden Hälften des Programms wußte der Interpret den Hörer durchaus zu verwirren.
Manierierte Temporückungen waren noch das Mindeste, womit er die Architektur klar strukturierter Stücke zum Einsturz brachte.
Des öfteren verschleierte er harmonische und melodische Vorgänge mit konsequentem Tritt aufs rechte Pedal.

Wie eine Melodie ertrinkt

Wo Kraft und Energie gefordert wird (es-Moll oder d-Moll-Prelude), donnerte Pletnev ungeschlacht drauflos, als ob es darum ginge, mit Überdruck zu kaschieren, was technisch gar nicht einwandfrei abläuft.

Im Gegenzug stilisiert er zartere Gebilde (F-Dur) zu bloßen Tongirlanden - wo etwa die Mittelstimme einheitsstiftend zu singen beginnt, die Hauptsache werden könnte, verweigert Pletnev jegliche Kantabilität. Die Melodie ertrinkt rettungslos im Gewirr des Verzierungsfiligrans.

Das muß man nicht mögen, widerspricht es doch vielem, was traditionell zur grundlegenden Tugend des Interpreten gezählt wird.

Prokofieff * Ravel
Argerich - Pletnev (DG)


In den Anfängen der Ära Wladimir Putins wurde Pletnev zweimal mit dem russischen Staatspreis ausgezeichnet, erntete auch etliche Schallplattenpreise, unter anderem für eine - allerdings rhythmisch ebenso brisante wie klanglich delikate - Aufnahme von Werken von Prokofieff und Ravel für Klavier zu vier Händen mit Martha Argerich.
2010 wurde Pletnev wegen angeblicher Verstöße gegen das Jugendschutzgesetzt in Thailand verhaftet. Ein Prozeß drohte, konnte aber zuletzt abgewendet werden.

↑DA CAPO