Ossip Gabrilowitsch

1887 - 1937

Gabrilowitsch war Schüler von Anton Rubinstein und studierte bei Ljadow und Glasunow auch Komposition, vollendete sein Klavierstudium jedoch in Wien bei Theodor Leschetizky. Sein erstes bedeutendes Engagement erhielt er in Berlin: Sein Recital im Jahr 1896 macht ihn schlagartig berühmt. Arthur Nikisch holte ihn zu Konzerten in die Berliner Philharmonie und nach Leipzig. Berlin wurde zu einer wichtigen Stadt für den Pianisten Gabrilowitsch. Er präsentiert dort sein gesamtes, immenses Repertoire und musiziert in der Spielzeit 1912/13 einen eigenen Zyklus mit großen Klavierkonzerten - unter anderem an einem Abend beide Brahms-Konzerte. Die Kritik schwärmt: Zur technischen Makellosigkeit sei nun noch
gesteigerte Vertiefung und Verinnerlichung der Auffassung
gekommen, schwärmen die Signale für die musikalische Welt.

Die Rezensenten feierten Gabrilowitsch nicht nur als technisch meisterlichen Könner, sie stellten ihn als Vertreter des »romantischen Klavierstils« durchaus einem Sergej Rachmaninow an die Seite. Während dieser eine feurig-virtuose Spielweise vertrete, neige Gabrilowitsch dem Sentimentalen zu, heißt es in einer Kritik im Jahr 1922.

Pianist und Dirigent in den USA

1900 debütierte Gabrilowitsch in den Vereinigten Staaten, die bald zu seiner zweiten Heimat werden.

Als umfassend ausgebildeter und interessierter Musiker begeisterte er sich auch für Orchesterleitung und studiert eine Zeitlang bei Nikisch in Leipzig das Kapellmeisterhandwerk. Schon der große Violinpädagoge Leopold Auer hatte in St. Petersburg zu dem heranreifenden Pianisten gesagt:
Du bist ja ein wahrer kleiner Kapellmeister
, womit er auf die Tatsache anspielte, daß Gabrilowitsch als Teenager einer der gesuchtesten Begleiter für Sänger und Instrumentalisten war.

Vor seiner endgültigen Emigration aus Rußland wirkte Ossip Gabrilowitsch über vier Spielzeiten bis 1914 als ständiger Dirigent des Münchner Konzertvereins. In München wurde Gabrilowitsch 1917 Opfer einer Attacke bei antisemitischen Ausschreitungen, kam aber in der Folge selbst ins Gefängnis, aus dem ihn eine Petition des päpstlichen Nuntius' befreite.

Dennoch blieb Gabrilowitsch als politischer Mensch ein überzeugter Gegner jeglicher antideutschen Regung. Eine Einladung nach Paris schlug er 1923 wegen der französischen militärischen Aktionen im Rheinland aus und veröffentlichte einen offenen Brief an die Pariser Veranstalter.
In jener Zeit engagierte sich Gabrilowitsch neben Künstlern wie Olga Samaroff oder Alexander Siloti in Amerika für einen »Austro-German Musician's Relief Fund«, der sich zum Ziel gesetzt hatte, den in der Nachkriegszeit notleidenden Künstlerin im deutschen Sprachraum unter die Arme zu greifen.

In den USA war Gabrilowitsch einige Zeit vorrangig als Dirigent tätig: Das Orchester von Detroit leitet er von seiner Gründung, 1918, bis zum Jahr 1936. Detroit bot ihm alle Möglichkeiten künstlerischer Entfaltung:
In echt amerikanischer Großzügigkeit wurden alle meine Forderungen erfüllt. Man stellte mir ein hundert Künstler starkes Orchester zur Verfügung, baute ein prachtvolle Konzerthalle, die zu den bestausgestatteten der Welt gehört, und entschloß sich sogar, bei der Errichtung dieses Gebäudes eine Kirche niederzureißen, die man ganz genau so an anderer Stelle wieder erstehen ließ. Was sich in dieser Zeit künstlerisch in Detroit zugetragen hat, ist für mein Leben bestimmend geworden.
Doch das Klavier blieb Gabrilowitschs künstlerische Domäne. Als das Philadelphia Orchestra unter Leopold Stokowksi in New York sein 25-jähriges Bestehen mit einer Serie von Konzerten feierte, war Gabrilowitsch der auserwählte Solist in Tschaikowskys b-Moll-Klavierkonzert, Publikum und Kritik tobten vor Begeisterung:
Einen so hervorragenden Solisten und einen Begleitungskünstler wie Stokowski zusammen zu hören, bildete in der Tat einen unvergeßlichen Genuß.
Die Beziehungen zum Philadelphia Orchestra gipfelten in einer Residenz des Dirigenten Gabrilowitsch in der Saison 1929/30. 1930 nutze der Pianist Gabrilowitsch seine Popularität, um im Verein mit dem Geiger Mischa Elman in New York ein ertragreiches Benefizkonzert zugunsten der Errichtung des neuen Opernhauses in Tel Aviv zu geben. Im Jahr darauf dirigierte er, stets an Raritäten und einer Erweiterung des Repertoires interessiert, die Erstaufführung einer Symphonie aus der Feder Friedrichs des Großen mit New York Philharmonic in der Carnegie Hall.

»Romantischer Klavierstil«

Als Pianist war Gabrilowitsch einer der raffiniertesten Vertreter eines klanglich subtil schattierten romantischen Stils. Seine Anschlagskultur war legendär - zu hören etwa in dem symbiotischen Klavierduo mit dem nicht minder feinsinnig artikulierenden Harold Bauer: Die gemeinsame Aufnahme des Walzers aus Anton Arenskis Suite für zwei Klaviere gehört zu den grandiosesten Dokumenten hochartifizieller Spielkultur.

Die zeitgenössischen Rezensenten preisen aber stets auch Gabrilowitschs Fähigkeit, bedeutende Werke des großen Repertoires in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Nach einer Aufführung von Brahms' B-Dur-Konzert unter Bruno Walter in der Saison 1931/32 in New York hieß es:
Wenige Pianisten sind in gleichem Maß dazu berufen, dieses Konzert so all-erschöpfend zu interpretieren. Die gewaltige Größe des Werks, seine Poesie, sein Ideenreichtum, seine reine Schönheit, dies alles sind Elemente, die an die feinfühlige Künstlernatur Gabrilowitschs appellieren. In der Tat, das Werk wurde zu einer Offenbarung und seine magische Wirkung einer seelischen Läuterung machte sich in höchstem Maße geltend.

Gustav und Alma Mahler

Den Memoiren Alma Mahlers ist zu entnehmen, daß eine nach Ansicht Almas harmlose Koketterie mit Gabrilowitsch, der unter anderem an den Vorbereitungen zur Uraufführung von Mahlers Siebenter Symphonie in Prag teilgenommen hatte, zu einer tiefen Irritation Mahlers geführt hat. Nicht eben schmeichelhaft, zitiert Alma in eine angeblich Aussage des Anatoms Zuckerkandl über Gabrilowtischs Physiognomie:
Er sieht aus wie ein Kischinever Jude nach einem Pogrom.
Um selbst zu kommentieren:
Alles in seinem Gesichte stand schief. Aber da war es eben, dieses Fremde, um dessentwillen ich ihn damals suchen mußte, vermutlich er auch mich. - Diese jugendliche Kameraderie hatte mir mein Selbstbewußtsein wiedergegeben.

Gabrilowitsch heiratete 1909 die Sängerin Clara Clemens, die Tochter des Schriftstellers Mark Twain, mit der er häufig aufgetreten ist. Kennengelernt hatten sich die beiden Künstler in Wien. Die gemeinsame Tochter Nina, letzte Nachfahrin Mark Twains, starb 1966 an Alkohol- und Tablettenmißbrauch.


↑DA CAPO