Annette Essipoff

1851 - 1914

Annette Essipoff war eine der größten pianistischen Begabungen des XIX. Jahrhunderts, hervorgegangen aus der legendären Klavierklasse Theodor Leschetitzkys, den sie später heiratete.

Für die interpretatorischen Qualitäten der Künstlerin sprachen Rezensionen aus berufenen Federn, voran von Komponisten wie Peter Iljitsch Tschaikowsky, der meinte,
ihr Spiel verbindet zwei große Vorzüge: makellose technische Sauberkeit und ausgereifte Interpretationskunst.
Wiens Kritiker-Papst Eduard Hanslick setzte sie 1873 nach den Wiener Aufführungen von Rubinsteins anspruchsvollem Klavierkonzert in d-Moll und des B-Dur-Trios von Franz Schubert auf eine Stufe mit der damals als bedeutendste Pianistin gefeierten Sophie Menter. Und Johannes Brahms schrieb im selben Jahr an den Dirigenten Hermann Levi:
Wenn Ihr eine Pianistin brauchen könnt, empfehle ich sehr Fr. Leschetitzky, frühere Annette Essipoff. Sie ist im Begriff, hier einigen Spektakel zu machen. Sie ist so unmusikalisch wie alle Klavierspielerinnen, spielt aber gehörig und ist ein Frauenzimmer, mit dem man’s ohne Klavier recht wohl aushält. – Nein, im Ernst, sie ist für Konzerte sehr zu empfehlen.

Selbst der ewig zynische George Bernard Shaw geriet nach Espippoffs Londoner Abschiedskonzert, 1893, ins Schwärmen:

Es gibt keine technischen Herausforderungen, die sie aus der Ruhe bringen könnten. So wirkt sie zuweilen interessiert und damit auch interessant, manchmal aber kalt und wenig engagiert. Immer aber wirkt ihre Kunst erstaunlich. Es heißt, die Frau des Schuster ist oft die jene Frau, die die schlechtesten Schuhe trägt, aber Leschetitzkys Frau ist zweifellos eine der größten Vertreterinnen seiner Technik in Europa ... sie schwebt durch ein Konzert, wie es eine Königin durch einen Festsaal.

Annette Essipoff wurde nach Ende ihrer Konzert-Karriere zu einer der gesuchtesten Klavier-Pädagoginnen der Welt. Sie übernahm die Klavierklasse ihres Mannes, unterrichtete aber auch in St. Petersburg, wo sie zur Lehrerin von Meisterpianisten wie Ignaz Jan Paderewski, Artur Schnabel und Sergej Prokofieff wurde. Daß sie auch komponiert hat, wußten schon die Zeitgenossen kaum. Das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien bewahrt das Manuskript ihres Liedes Die erwachte Rose auf.

Von Essipoffs pianistischer Kunst existieren einige, wenige Dokumente auf Welte-Mignon-Rollen: Stücke von Chopin, Arenskij und d-Albert, Schumanns Impromptus op. 5 und - nicht zuletzt - Liszts Rigoletto-Paraphrase.


↑DA CAPO