Alexander Brailowsky

1896 - 19

Alexander Brailowskys erster Lehrer war sein eigener Vater, der als ausgebildeter Pianist seinen Sohn bei seinen kindlichen Versuchen am Klavier unterstützte. Mit acht Jahren kam Brailowsky im heimatlichen Kiew unter die Obhut des Leschetizky-Schülers Wladimir Puchalsky, der später auch Horowitz unterrichten sollte. Rachmaninow hörte den Zögling des Kiewer Konservatoriums und sagte ihm eine große Zukunft voraus. Nach Abschluß seiner Studien in Kiew ging Brailowsky zu Leschetizky nach Wien, um sich zu vervollkommnen. In Wien absolvierte er 1913 sein offizielles Konzert-Debüt.

In der Folge gaben Ferruccio Busoni in Zürich und Planté in Paris entscheidende Anregungen. Brailowsky wurde französischer Staatsbürger. 1919 absovlierte er sein erstes Recital in Paris, wo er in der Folge einen spektakulären Chopin-Zyklus absolvierte: Teils auf dem Flügel des Komponisten musizierte er an sechs Abenden sämtliche Soloklavierwerke Chopins, eine Parforce-Tour, die Brailowsky bald in Zürich und Brüssel, aber auch in einigen südamerikanischen Metropolen wiederholte.

Mit dem Namen Chopin war der Name des Pianisten in der Folge auch eng verknüpft, obwohl Brailowsky von Bach bis zu zeitgenössischen Werken über ein eminentes Repertoire verfügte. Seine US-amerikanischen Konzertreisen, die ihn ab 1924 wiederholt von Küste zu Küste führten, wurde zu Sensationen. In der Spielzeit 1946/46 schlugen Brailowskys Recitals alle Kassenrekorde in New York.

Üppige Konzertprogramme

Der integrale Chopin-Zyklus stand über die Jahre hin immer wieder auf dem Programm, zuletzt 1960 noch einmal in Paris und Brüssel. Berühmt wurde der Künstler auch für ausladende Programmfolgen. Liszts Transzendente Etüden, der Zyklus gilt heutzutage als abendfüllend, war bei Brailowsky stets eine Konzert-Hälfte . . .

1967 zog sich Alexander Brailowsky mit einem Programm in der New Yorker Carnegie Hall von den internationalen Podien zurück. Er starb am 25. April 1976.

Aufnahmen

In Berlin entstanden 1928 Brailowskys erste Schellack-Aufnahmen für Polydor. Mit Julius Prüwer und den Berliner Philharmonikern realisierte er die weltweit erste Aufnahme von Chopins E-Moll-Klavierkonzert. Einige wenige Studiositzungen absolvierte er nach 1938 für HMV in London, ehe die dauerhafte Zusammenarbeit mit RCA Victor, die bis in den späten Fünfzigerjahre eine reiche Ernte einbrachte. Die spätesten Studioaufnahmen entstanden für American Columbia 1961.

In Brailowskys Spiel herrscht durchwegs eine kristalline Klarheit, die anfangs oft irritierend wirken mag, denn es scheint die analytische pianistische Brillanz über jeglichem Ausdruckswillen zu stehen. Doch entfaltet Brailowskys Kunst für den geduldigen Hörer einen eigenen Zauber, wenn er sich Zeit nimmt, zu erlauschen, was zwischen den Zeilen mitschwingt - vom verschmitzten, wenn auch melancholisch umflorten Humor in mancher Chopin-Mazurka bis zu dämonischer Leidenschaft bei Liszt, dessen Totentanz Brailowsky Anfang der Fünfzigerjahre mit Fritz Reiner atemberaubend für Schallplatten realisiert hat.

Der »moderne« Pianist«

Schon 1936 befand eine Wiener Rezensentin nach dem ersten Abend Brailowskys im Großen Musikvereinssaal:
Brailowsky hat ein romantisches Klavier-Programm gewählt, hat Klavierkonzerte von Chopin und Tschaikowsky und den Lisztschen »Totentanz« vorgetragen, ist aber kein Romantiker. Er ist moderner Klavierspieler, sehr elegant, sehr präzis, der Mann eines stählernen Rhythmus, einer geistreichen Klarheit, kein Träumer und kein Schwärmer.
Offenbar fanden die Zeitgenossen schon die äußere Erscheinung Brailowskys höchst zeitgemäß. »Der Tag« schrieb 1935 über den Stil des Pianisten:
Er hat nicht, wie die Konzertpianisten der Liszt-Schule, romantische Allüren, trägt nicht romantische Locken, sieht nicht im geringsten verträumt oder versponnen aus, sondern kommt, wie aus einem modernen Modejournal, aufs Podium und sieht aus ein ein Attaché oder ein Tanzlöwe. ... Er fuhr in den Schumannschen Wald auf einer glatten Automobilstraße und in den Traum im eleganten Acht-Zylinder ... ein interessanter Künstler aus einer Zeit, in der Träume unmodern geworden sind.
Umso bemerkenswerter, welche Wirkung Brailowskys Spiel offenbar auf seine Hörer ausübte. Der Wiener Rezenent eines Chopin-Abends im November 1937 bemerkte während des langsamen Satzes der b-Moll-Sonate
lange Reihen von Gesichtern ..., auf denen der Ausdruck hypnotischer Entrücktheit lag.

↑DA CAPO