CLaudio ARRAU
* 1903 + 1991
Der aus Chile gebürtige Pianist Claudio Arrau, der als Wunderkind schon früher Noten als Bücher lesenkonnte, war pianistisch ein Sproß der deutschen Klavierschule. Ausgebildet beim Liszt-Schüler Martin Krause am Stern'schen Konservatorium in Berlin, gewann er den Ibach-Preis und den Genfer Grand prix international des pianistes.
Schon als Teenager bewältigte Arrau mühelos das technisch heikelste Repertoire bis hin zu Liszts Transzendenten Etüden und Brahms' Paganini-Variationen, zu schweigen von den grenzsprengenden Hervorbringungen eines Busoni oder Alkan.
Zeitlebens hatte Arrau jedoch keine Ambitionen, mit seinen pianistischen Fertigkeiten zu prunken, sondern konzentrierte sich auf inhaltlich komplexere und stilistisch heiklere Musik, deren strenger, völlig uneitler Anwalt er wurde.
Bach und Schubert in Zyklen
Das Berlin der frühen dreißiger Jahre war Schauplatz von aufsehenerregenden zyklischen Aufführungen des jungen chilenischen Pianisten. Arrau spielte Musik, von der selbst Kenner bestenfalls wußten, daß sie existierte, die aber kaum jemand je gehört hatte.
Das gesamte Klavier-Werk von Johann Sebastian Bach an zwölf Abenden.
Die Sonaten von Franz Schubert.
Die vier Klaviersonaten von Carl Maria von Weber.
Und sämtliche Klaviersonaten von Wolfgang Amadeus Mozart.
Kein Pianist jener Ära hat diese Musik jemals im Konzertsaal gewürdigt! Von Bachs Goldberg-Variationen wußte das Publikum vor Arraus Initiative vermutlich gar nichts.
Frühe Schallplattenaufnahmen
Nach seiner Emigration in die USA begann der Pianist, das seltene Repertoire für Schallplatten aufzunehmen.
Es ist ein Treppenwitz der Schallplattengeschichte, daß seine Pioniertat, die erste Aufnahme der Goldberg-Variationen auf einem modernen Flügel, die 1942 in New York entstand, erst Jahrzehnte später veröffentlicht wurde.
Wanda Landowska hatte bei der selben Plattenfirma darum angesucht, Bachs Variationen auf einem Cembalo aufnehmen zu dürfen. Der jüngere Kollege ließ, »noblesse oblige,« der großen Dame den Vortritt.
Mozart in Salzburg
Seine Mozart-Initiative versuchte Arrau im Mozart Jahr 1956 in New York fortzusetzen, doch sagte er die geplanten Konzerte mitten in der ausgiebigen Vorbereitungszeit ab. Seine Interpretationen wollten im Moment seinen Ansprüchen nicht genügen.
Doch gab Arrau im selben Jahr ein Mozart-Konzert bei den Salzburger Festspielen, dessen Mitschnitt hören läßt, woran der große Interpret damals arbeitete: Arrau stellt eseine immense Virtuosität in den Dienst einer vollkommen klaren Darstellung des Textes. Er ließ die Hörer spüren, daß Mozart einst selbst ein Musiker war, der die Zeitgenossen durch brillantes Spiel verblüffte, ohne dabei je in artistische Selbstgefälligkeit zu verfallen.
Immer - auch in den eloquenten, spritzigen Passagen der D-Dur-Sonate (KV 576), geht es um die klare, unverfälschte musikalische Linie.
Und es geht, wie denn auch anders bei einem Opernkomponisten?, um immanente Dramatik: Fantasie und Sonate in c-Moll erfahren hier eine atemberaubende psychologische Ausleuchtung. Das ist großes Theater für den Konzertsaal, geboren aus den inneren Spannungen der Musik, niemals aus Interpretatorischer Willkür...
Nach übereinstimmender Meinung der Kenner, gehört Arraus Gesamtaufnahme der Beethoven-Sonaten aus den frühen Sechzigerjahren (es folgte noch eine nicht ganz vollständige Serie in Digitaltechnik) - in ihrer rigorosen Haltung zu den Klassikern der Aufnahmegeschichte.
Und die romantische Literatur, allen voran Schumann, hat in ihm einen wunderbaren Exegeten gefunden, der ihr nichts Schwärmerisches oktroyiert, sondern die Poesie zwischen den Zeilen sucht - und findet.
"Florestan" und "Coquette"
aus Schumanns Carnaval.