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David Oistrach

1908 - 1974



Bei einem Geiger mit einem so satten, klangreichen Ton konnte in Zeiten der Originalklangbewegung Kritik nicht ausbleiben, wenn er sich an Barockem oder Klassischem versuchte. Und doch: Man muß nur den dezenten »Auftritt« der Solostimmen in Mozarts Sinfonia concertante KV 364 hören, die David Oistrach mit seinem Sohn Igor eingespielt hat, um zu wissen, mit wie viel Geschmack und Sinn für klangliche Delikatesse dieser Künstler an solche Aufgaben heranging. Da sind wir weit weg vom notorischen Tschaikowsky-Tonfall - und apropos: auch für den russischen National-Heiligen inszenierte Oistrach gemäßigtere, weniger theatralische Auftritte als mancher Kollege. Die »Canzoneetta« im Violinkonzert singt er in der klassischen Aufnahme mit der Dresdner Staatskapelle unter Franz Konwitschny wie ein Tenor mit großer Heldenstimme, der mit perfekter Technik in ein gehauchtes, aber eben tragfähiges Pianissimo zurückzunehmen imstande ist.

Große Romantik

Oistrachs satten, auch im Zartesten immer konsistenten, fülligen Ton kann man in den großen Konzertaufnahmen bewundern, die er mit so unterschiedlichen Dirigenten wie George Szell oder dem nicht minder strengen, aber noch ernster wirkenden Otto Klemperer gemacht hat - jeweils subtil auf den Partner eingehend, ohne die eigene Autorität jemals aufgeben zu müssen. Er konnte seine Wahrheit aus jeder musikalischen Windrichtung her begründen und glaubhaft untermauern. Ein und dieselbe Passage aus dem Brahms-Konzert, zuerst von Klemperer, denn von Szell dirigiert, läßt das einleuchtend hörbar werden.

Klassik mit Stil

Oistrachs stilistische Sicherheit bewunderte auch der in diesen Fragen besonders heikle Wiener Pianist Paul Badura-Skoda, mit dem der Geiger - die Wahl fiel wohl ganz bewußt - Mozarts Violinsonaten aufgenommen hat. Wie der Pianist bemerkte, ganz in jener
einmaligen Mischung von Heiterkeit und Ernst, Humor und Melancholie, zarter Kindlichkeit und männlicher Kraft,
die er sich für diese Musik erträumt hätte. Wobei die Kommentatoren in aller Welt jedenfalls die »männliche Kraft« stets für Oistrach in Anspruch genommen hatten . . .

Zeitgenossen

Was das - für ihn - zeitgenössische Repertoire betrifft, hat Oistrach neben den allseits gerühmten, sozusagen »grundlegenden« Aufnahmen der Werke Schostakowitschs oder Katschaturians vor allem zwei Stücke in unerreichter Qualität eingespielt, die etwas abseits der Aufmerksamkeit der Musikwelt liegen, von diesem Geiger aber nachdrücklich in den Rang von bedeutenden Meisterwerken ihrer Zeit gehoben wurden: Die Bartók-Sonate hat Oistrach mit Swjatoslaw Richter (für Melodia) in einer Genauigkeit examiniert, die quer zu stehen scheint zum geradezu musikantisch tönenden Ergebnis: eines der komplexesten Werke der klassischen Moderne, scheinbar mühelos entschlüsselt. Nicht die einzige, aber eine der Gelegenheiten, bei der David Oistrach seinen Kollegen die Latte in schier unerreichbare Höhe gelegt hat.

↑DA CAPO