Hans Swarowsky ist in die Geschichte eingegangen als der Dirigentenausbildner schlechthin.
Ein Großteil der gegen Endes des XX. Jahrhunderts aktiven Dirigentenelite konnte zumindest auf ein kurzes, wenn nicht ein umfassendes Studium bei ihm verweisen: Ob Abbado oder Mehta oder Jansons -- die meisten Pultvirtuosen erinnern sich an den Unterricht bei Swarowsky mit Gewinn.
Einer seiner Schüler, hat vor Jahren schon ein Buch herausgegeben, das unter dem Titel "Wahrung der Gestalt" Analysen und Sentenzen zusammenfaßt, die Swarowsky seinen Schülern mit auf den Weg gegeben hat. Klare Strukturanalysen der Werke, vor allem aber auch die Erfassung der Hintergründe und des tieferen Gehalts waren dem passionierten Lehrer wichtig.
Daran erinnern sich sämtliche ehemaligen Studenten gern. Swarowskys Witwe Doris weitet das Bild entschieden aus. Auch der Interpret gleichen Namens, so berichtet sie, war zu seiner Zeit eine Ausnahmeerscheinung.
"Wir haben uns," erinnert sie sich im Gespräch, "1946 das erste Mal gesehen. Das war anläßlich seines ersten Auftritts nach dem Krieg im Musikverein. Ich war noch ein Schulmädchen, bald aber Swarowskys Frau." "Seine Eroica", weiß sie noch genau, "kam einer Palastrevolution gleich." Denn Swarowsky war ein Pionier moderner Aufführungspraxis. Wobei das Wort "modern" für ein akribisches historisches Bewußtsein steht.
In der Eroica oder anderen klassischen Werken auf die originalen Tempovorschriften zu rekurrieren, das empfanden viele Wiener Musiker in den fünfziger und sechziger Jahren noch als Zumutung und als Verstoß wider den Geist der romantischen Aufführungstraditionen, wie sie zuletzt von Furtwängler und anderen Größen hochgehalten worden waren. Man war schockiert, den Trauermarsch einmal im vorgeschriebenen Marschtempo und nicht als langsame Totenklage zu vernehmen. "Er war", so die Witwe, "ein Prophet zur falschen Zeit."
Was heute bei Dirigenten wie Harnoncourt und vielen anderen als selbstverständlich gilt, betrachtete man damals als unmöglich. Swarowskys Karriere hat darunter gelitten, daß er auf seiner Überzeugung beharrte. Heute setzen alle ganz selbstverständlich diese Erkenntnisse in die Tat um. Nikolaus Harnoncourt hat denn auch des öfteren mit Hans Swarowsky über seine Ansichten konferiert, als er noch als Cellist bei den Symphonikern aktiv war. "Mahler und Schönberg haben mich zum Nonkonformisten gemacht", so lautete Swarowskys Selbsteinschätzung. Aber auch Richard Strauss schätzte den junge Kollegen sehr.
So sehr, daß er ihn in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs vor den Häschern des nationalsozialistischen Regimes versteckt und ihm so vermutlich das Leben gerettet hat.
Daß Swarowsky als perfekter Kapellmeister im klassischen Sinn mehr als 100 Opern "drauf" hatte, erklärte wohl auch, daß er nicht immer zur Höchstform auflaufen konnte.
"Mein Mann", so Doris Swarowsky, "war als Dirigent dann gut, wenn er von einem Werk hundertprozentig überzeugt war." Also bei Beethoven ganz gewiß, wohl auch bei den Symphonien Gustav Mahlers, für die er Pionierarbeit geleistet hat.
"Ein Pionier", ergänzt sein Schüler Manfred Huss, "war er freilich auch als Schallplattendirigent. Von ihm stammen die erste Gesamtaufnahme einer Haydn-Oper, des damals gerade entdeckten ,Orfeo', die erste einer Händeloper und des ersten kompletten italienischsprachigen Don Giovanni!"
In den USA kam außerdem eine LP-Serie mit zeitgenössischer amerikanischer Musik heraus.
Swarowsky war umtriebig als "Jäger und Sammler" wie auch als Vermittler. Und daß er in Wien, inspiriert von einer Bemerkung Schönbergs, einen Dirigentenkurs moderner Prägung eingerichtet hat, bleibt wohl Swarowskys bleibendstes Verdienst.