Charakterkopf und Mann zwingender Gesten

Horst Stein

1927 - 2008

Seine Erscheinung war von rarer Prägnanz: Kein großer, charismatischer Maestro mit eleganter Zeichensprache, eher gedrungen und mit dem charakteristischen runden Kopf waltete er mit eigenwillig tremolierenden, doch eindeutigen Bewegungen am Pult. Wenn er dasaß, war ein reibungsloser Ablauf auch der kompliziertesten Partitur garantiert.

Enorme Spannweite des Repertoires

Ob "Don Giovanni" oder "Die Walküre", ob "Elektra" oder "Wozzeck", Horst Stein beherrschte das Opernrepertoire wie seine Westentasche. Mehr als 500 Mal ist er allein in der Wiener Staatsoper ans Pult gegangen. Die Bandbreite war enorm. Allein die Premieren, die er dirigierte, umfassen die historische Spanne von Glucks "Iphigenie auf Tauris" (1969) über Verdis "Don Carlos", der 1970 den letzten Wiener Auftritt Franco Corells mit sich brachte, über Cherubinis "Medea" bis zur Uraufführung von Gottfried von Einems "Besuch der alten Dame" (1971) und der Erstaufführung von Henzes "Jungem Lord" (1978).

Doch assoziieren Musikfreunde Steins Namen vor allem mit dem Werk Richard Wagners. Bei den Bayreuther Festspielen war es Stein, der als Erster den Rekord von Hans Knappertsbusch brechen konnte. 138 Mal waltete Stein im "mystischen Abgrund" des Festspielhauses. Wolfgang Wagner vertraute ihm unter anderem den von ihm inszenierten "Ring des Nibelungen" Mitte der Siebzigerjahre an. In Salzburg stand Stein bei den Festspielen am philharmonischen Pult, als es galt, Richard Strauss' letzte Oper, "Capriccio", in der bis heute denkwürdigen Deutung durch Johannes Schaaf einzustudieren.

Über alledem vergisst man leicht, dass der Dirigent, der im Theater des heimatlichen Wuppertal sein Handwerk von der Pike auf erlernt hatte, auch im Konzertsaal triumphierte, unvergeßlich vor allem, wie er ein schwieriges Stück wie Franz Schmidts "Buch mit sieben Siegeln", für das er sich ein Leben lang engagierte, zu überwältigender Wirkung zu steigern wusste.

Auch im Konzertsaal souverän

So war er denn neben seinen Opernverpflichtungen, die ihn während der Siebzigerjahre eine Zeit lang eng an die Wiener Staatsoper banden, auch Chef von bedeutenden Konzertorchestern, so des Orchestre de la Suisse romande in Genf und der Bamberger Symphoniker, mit denen er über 500 Auftritte absolvierte.

Am vergangenen Sonntag starb Horst Stein, Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper und Ehrendirigent des NHK-Orchesters von Tokio, im Alter von 80 Jahren in seinem Haus in der Schweiz. Sein Leiden war lang, doch durfte er, wie es hieß, zuletzt "friedlich einschlafen".

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↑DA CAPO