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Carl SCHURICHT

1880 - 1967

Ihm galt eine späte Liebe der Wiener Philharmoniker. Nicht das erste und nicht das letzte Mal in der Geschichte dieses Orchesters, fassten die Musiker zu diesem Dirigenten erst Zuneigung, als er bereits zu seiner eigenen Legende geworden war. Wie später im Falle eines Carlo Maria Giulini oder Georges Pretre dauerte es auch bei Carl Schuricht bis in seine letzten Lebensjahre, daß das Wiener Orchester ihn zu einem seiner bevorzugten Dirigenten kürte - und einige legendäre Aufnahmen mit ihm machte.

Die Zeitläufte haben das begünstigt, denn obwohl Schuricht so etwas wie der Inbegriff des deutschen Kapellmeisters war, hatte er sich in den frühen Vierzigerjahren mit dem NS-Regime überworfen. 1944 ging er in die Schweiz und wurde dort von seinem Kollegen Ernest Ansermet, der am Pult des Genfer Orchestre de la Suisse romande waltete, mit offenen Armen empfangen. Das öffnete Schuricht nach 1945 den Zugang zum frankophonen Raum - und ließ ihn zu einem der wenigen möglichen Dirigenten für die erste Tournee werden, die die Wiener Philharmoniker nach Ende des Zweiten Weltkriegs unternahmen. Schuricht galt als »unbelastet« und konnte daher neben André Cluytens die ersten philharmonischen Konzerte außerhalb Österreichs nach 1945 dirigieren.

In Paris war er gern gesehener Gast und nahm mit dem dortigen Konservatoriumsorchester nicht nur den ersten Beethoven-Zyklus auf, den ein Pariser Ensemble je für Schallplatten einspielte, sondern auch eine Reihe bemerkenswerter Einspielungen von Werken der deutschen Romantik, allen voran eine der schwungvollsten, beseeltesten Aufnahmen die je von Robert Schumanns Rheinischer Symphonie gemacht wurden.

Mit den Wiener Philharmonikern hat Schuricht dann vor allem einige Bruckner-Aufnahmen gemacht, die zu den bedeutendsten Dokumenten der Kunst dieses Orchesters zählen. Die Einspielung der Neunten gilt bis heute als Referenzaufnahme.

Auch die Aufnahme von Brahms' II. Klavierkonzert mit Wilhelm Backhaus und den Wiener Philharmoniker wurde zu einem Schallplatten-Klassiker.

Zeitgeschichte

Der Livemitschnitt eines Konzerts, das Carl Schuricht 1939 im Amsterdamer Concertgebouw dirigierte, wurde zu einem zeithistorischen Dokument: Mitten im letzten Satz, »Abschied« von gustav Mahlers Lied von der Erde mit Kerstin Thorborg hört man eine Frauenstimme (mit deutlich holländischem Zugenschlag) rufen:
Deutschland über alles, Herr Schuricht!
worauf hörbare Unruhe im Saal eintritt, Schuricht aber weiterdirigiert...



↑DA CAPO