Fritz Reiner

1888-1963

Neben Georg Szell, Leopold Stokowski und Sergej Kussewitsky der führende Garant für die Hochblüte der US-amerikanischen Orchester im XX. Jahrhundert.

Seinen ersten Auftritt absolvierte der gebürtige Budapester mit 13 Jahren, mit 16 hatte er sein Diplom von der Budapester Musik-Akademie in der Tasche. Mit 21 engagierte die Komische Oper der ungarischen Hauptstadt den virtuosen Pianisten als Korrepetitor. Im Jahr darauf war Fritz Reiner bereits Kapellmeister am Nationaltheater in Laibach, wo er eine der frühesten Aufführungen von Wagners Parsifal außerhalb Bayreuths nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist dirigierte.

Über die Budapester Volksoper ging es dann nach Dresden, wo Reiner nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Musikchef aufstieg. Aus jener Epoche resultiert seine enge Beziehung zu Richard Strauss, der neben Artur Nikisch zu seinem größten Vorbild wurde. Strauss' Opern genossen an der Semperoper Heimatrecht, sein karger Dirigierstil hat Reiner entscheidend beeinflußt.

Knappe Dirigierbewegungen

Zeitlebens pflegte Fritz Reiner nach Strauss' Vorschrift die kleinstmöglichen Bewegungen. Ein Bonmot besagte, daß eine Fliege, die sich zu Beginn einer Vorstellung auf seinen Taktstock setzt, diesen Platz erst nach dem Finale wieder verläßt.

Umso mehr verließ sich Reiner auf den Blickkontakt mit seinen Musikern, denen er nicht den kleinsten Fehler durchgehen ließ und die er zu strengster Disziplin erzog. Nach seiner Übersiedlung in die USA wurde er zunächst Chefdirigent in Cincinnati (1922 - 1931), danach Leiter der Abteilungen für Orchester und Oper am Curtis Institute in Philadelphia - wo erstaunlicherweise der heftig bewegte Pultvirtuose Leonard Bernstein zu seinen Schülern zählte - und wirkte von 1938 bis 1944 als Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra. Seit 1928 war Reiner amerikanischer Staatsbürger.

Die Zeit in Chicago

Untrennbar ist Reiners Name aber von der Geschichte des Chicago Symphony Orchestra, das er von den Fünfzigerjahren bis zu seinem Tod mit stählernem Griff und einem auf jede kleinste harmonische Unsauberkeit gereizt reagierenden, unfehlbaren Ohr zu einem der brillantesten Orchester der Welt macht.

Aufnahmen

Die ersten Studioaufnahmen unter Fritz Reiners Leitung kamen auf Schellackplatten 1938 in den Handel, neben Wagner-Vorspielen galten sie zweien der Nocturnes und dem Prélude á l'aprés-midi d'un Faune von Debussy.

Am Pult des Pittsburgh Symphony Orchestra erlebte Reiner den Wandel von der Schellack- zur Langspielplatten-Ära. Einer seiner Allzeit-Klassiker aus jenen Jahren ist die 1949 erschienene Aufnahme von Beethovens Zweiter Symphonie, die an Energie und Transparenz kaum je übertroffen wurde.

Begleiter großer Solisten

Gesucht war Reiner als Dirigent für Orchesteraufnahmen bedeutender Solisten. Mit dem eigens zu Aufnahmezwecken gegründeten RCA Victor Orchester erarbeitete er Konzert-Einspielungen mit Vladimir Horowitz (Rachmaninow III und Beethoven V), die bald Kultstatus erlangte, eine atemberaubende Wiedergabe von Franz Liszts Totentanz mit Alexander Brailowsky und ein hinreißend schwungvolles Saint-Saens-Cellokonzert mit Gregor Piatigorsky. Solchen Solisten den roten Orchesterteppich auszubreiten, bereitete dem Alpha-Tier Reiner kein Problem.

Am Pult seines Chicago Symphony Orchestra eroberte er dann einen Spitzenrang als Dirigent des beginnenden Stereo-Zeitalters. Mit den exzellenten RCA-Technikern spielte er für das Label »Living Stereo« einige Aufnahmen ein, die bis heute nicht nur in interpretatorischer Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die Aufnahmetechnik singulären Rang beanspruchen durften.

Orchestrale Bilderbücher wie Ottorino Respighis Pini di Roma und Fontane di Roma sind nie bunter und leuchtkräftiger gemalt worden wie bei diesen - in aller Regel dank akribischer Vorbereitung in kürzester Zeit entstandenen - Aufnahmen. Wobei die Erstpressung dieser Stereo-Pionieraufnahme aus dem Handel genommen werden mußte, weil der Ehrgeiz der Produzenten in Sachen dynamischer Bandbreite zu weit gegangen war: Die Nadeln auf den Schallplattenspielern der erste Hörer warf es bei den »Pinien auf der Via Appia« buchstäblich aus der Spur . . .

Die Bandbreite des Reiner-Repertoire, das via Tonträgern erhalten blieb, ist enorm. Es reicht von launig-geistreichen Haydn- und Mozart-Aufnahmen über einige - nicht alle! - Beethoven-Symphonien

Zur vollen Blüte entfaltete sich der Klang des Orchesters im modernen Repertoire. Strawinsky nannte Reiners Orchester »das präziseste und flexibelste«, Debussys und Ravels Musik schillert in allen Farben, und mit Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta (aber auch mit dem Konzert für Orchester) gelang Reiner ein Aufnahmeklassiker von nie wieder egalisierter Verve und rhythmischer Prägnanz.

Die Jahre an der »Met«

Daß Reiner bei aller leidenschaflichen Gestaltungskunst auch erstaunliche Präzision anläßlich von Repertoireaufführungen im Opernhaus zu erreichen wußte, dokumentieren die erhaltenen Livemitschnitte von Vorstellungen an der New Yorker Metreopolitan Opera, wo der Dirigent von 1949 bis 1953 regelmäßig zu erleben war. In Häusern, in Europäischen Opernhäusern stießt sein rigider Probenstil nach dem Zweiten Weltkriegs auf wenig Gegenliebe. Zwar holte der Kurzzeit-Direktor Karl Böhm den Kollegen anläßlich der Wiedereröffnung des renovierten Opernhauses 1955 für eine Einstudierung von Wagners Meistersingern von Nürnbergnach Wien. Doch das blieb ebenso Episode wie einige Gastspiele in London oder Mailand.

↑DA CAPO