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30. März 2011

Der Mann, der die Netrebko ins Kino führt

Im Gespräch. Evelino Pido, Dirigent der »Anna Bolena»-Premiere der Wiener Staatsoper, über die neu erwachte Freude der Wiener Musiker am Belcanto.

Kommenden Samstag fällt Wien - oder fallen zumindest Staatsoper und Umgebung - ins Belcanto-Fieber. »Anna Bolena« von Gaetano Donizetti steht auf dem Spielplan. Für das Wiener Haus am Ring eine Rarität, die man ansetzt, weil die Primadonnen Anna Netrebko und Elina Garanca sich dieses Stück ausgesucht haben.

Auf dem Schwarzmarkt werden astronomische Preise für die Eintrittskarten verlangt; aber Musikfreunde, die sich das nicht leisten wollen, gehen nicht leer aus. Mit Donizettis Königinnen-Drama beginnt wieder die Saison der Liveübertragungen auf den Karajan-Platz. 50 weitere Übertragungen von Ballett- und Opernaufführungen folgen bis Ende Juni. Live im TV und auf der Leinwand Wer der »Anna Bolena»-Premiere nur lauschen möchte, hat auf Ö1 Gelegenheit dazu. Die Aufführung am 5. April kommt dann - leicht zeitversetzt - ins Fernsehen (Arte und ORF2, ab 20.15 Uhr), und sogar in fast 100 Kinos von Russland bis Großbritannien.

Bemerkenswert, denn Wien und die Musik des italienischen Belcantos, das sind ja nicht gerade Synonyme. Obwohl Donizetti einst Hofkapellmeister war und und schon eine Generation zuvor sich Ludwig van Beethoven über den »Rossini-Rummel« ereiferte, ebbte die Spieltradition für Musik dieser Meister nach 1900 rasch ab.

Nach 1945 galt ein Gastspiel von Maria Callas (unter Herbert von Karajans Leitung) mit »Lucia di Lammermoor« als Eintagsfliege, und Versuche wie jener mit »Norma«, gesungen von der damals führenden Sopranistin dieses Fachs, Montserrat Caballe, scheiterten kläglich.
Erst das Interesse an Edita Gruberovas Koloratur-Hexenkünsten generierte ein Publikum für ein Genre, das zuvor gern pauschal als »Hm-ta-ta»-Musik desavouiert wurde.
Mit gewachsen ist damit offenbar auch das diesbezügliche Qualitätsbewusstsein des Wiener Staatsopernorchesters. Noch Riccardo Muti bezeichnete gesprächsweise die Wochen der Einstudierungsarbeit an »Norma« als »schlimmste Zeit meines Lebens».
Das war Mitte der Siebzigerjahre.

Evelino Pido, Dirigent der »Anna Bolena« 2011, hat ganz andere Erfahrungen gemacht. Er debütierte mit Bellinis »Sonnambula« vor wenigen Wochen und erntete exzellente Kritiken. Die Zusammenarbeit mit den Musikern bezeichnet er als »wunderbar». Von orchestraler Unlust hat er gar nichts bemerkt. Im Gegenteil. Begeistert von Donizetti Vielleicht liegt das auch daran, dass er selbst von Donizettis Musik begeistert ist und das glutvolle Drama darin in jeder Note aufspürt. Das gelingt nur, wenn man die gesamte Komposition so ernst nimmt wie eine Mozart- oder Wagner-Oper.

Als Spross einer Künstlerfamilie, die mehrere Generationen lang Maler hervorgebracht hat, empfindet er auch eine Donizetti-Partitur »wie ein Bild, das der Dirigent malen kann». Allerdings nur, wenn er vorher akribische Einstudierungsarbeit geleistet hat.

»Ich habe die Angebote von Direktor Holender immer abgelehnt, weil nie genug Zeit für Proben war. Ich mag Routine nicht. Auch nicht luxuriöse Routine.« Für Bellini hat man ihm nun Zeit gegeben, für den Donizetti mit den beiden Star-Sängerinnen erst recht. Ein Theater aus Klängen »Es lohnt sich«, sagt Pido, »wenn man überlegt, warum Donizetti bei einer bestimmten Phrase, die scheinbar herrisch ist, ,piano' vorschreibt. Wenn der König diesen Satz quasi zwischen den Zähnen hervorstößt, dann erhält die Szene eine explosive Dramatik!« Auf die Details kommt es an, nicht nur in den Arien, sondern auch in den sonst oft ungeliebten Rezitativen: »Ich sage immer: Die Rezitative: Die machen das Theater!»

Natürlich stehen die Eleganz und Geschmeidigkeit der Phrasierung im Zentrum der Einstudierungsarbeit - im Orchester wie bei den Solistenproben. Erst wenn in allen Teilen der Oper die nötige Flexibilität erreicht ist, tritt Pidos »malerischer« Effekt ein.

Dass er als absoluter Spezialist für Belcanto gilt, hat mit seinen exzellenten CD- und DVD-Aufnahmen zu tun und mit der Tatsache, »dass ich Italiener bin«, sagt er selbst und fügt gleich hinzu: »Ich dirigiere genauso gern deutsches Repertoire, mit dem ich vertraut bin, seit ich 1979/80 bei Karl Österreicher in Wien studiert habe.«

Dennoch ist er in Wien zunächst einmal belcantesk beschäftigt. Andererseits: »Demnächst dirigiere ich Premieren von ,Faust' an der Londoner Covent Garden Opera und ,Manon' in der Pariser Opera Bastille. Dass mir die Franzosen Massenet anvertrauen, darauf bin ich stolz.«


↑DA CAPO

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