Felix Mottl

1856 - 1911

Felix Mottl war einer der bedeutendsten Dirigenten seiner Zeit und ging als Wagner-Interpret in die Geschichte ein, dessen Anmerkungen in der Dirigierpartitur von Tristan und Isolde den Zeitgenossen so bedeutsam erschienen, daß sie in die Druckausgabe aufgenommen wurden.

Den Tristan hatte Mottl bei den Bayreuther Festspielen 1886 in einer legendären Einstudierung erstmals im Wagner-Festspielhaus herausgebracht. Seine Erfahrungen mit dieser Partitur dienten Mottl dazu, eine orchestrierte Fassung von Wagners Wesendonck-Liedern herauszubringen, die bis heute die gebräuchlichste Aufführungsversion dieser Gesänge ist.

Ein Wiener Sängerknabe

Mottl war im Wiener Vorort Unter-Sankt-Veit bei Hietzing zur Welt gekommen und sammelte als Sängerknabe in der Hofkapelle seine ersten Aufführungs-Erfahrungen. Noch als Zögling des Wiener Konservatoriums, wo er unter anderem bei Anton Bruckner studierte, leitete Mottl erfolgreich Konzerte des Wiener Wagner-Verbandes. Hans Richter engagierte den 20-Jährigen daraufhin als Assistenten für die Einstudierungsarbeit der Uraufführung des Rings des Nibelungen bei den ersten Bayreuther Festspielen, 1876. Mottl war also noch zu Lebzeiten Richard Wagners im »Allerheiligsten« der Wagner-Interpretation aktiv und gehörte später zu den engsten Vertrauten Cosima Wagners, deren antisemitischen Kurs bei der Engagementpolitik er mittrug.

Von Karlsruhe in die Welt

1881 wurde er Erster Kapellmeister im Opernhaus von Karlsruhe und brachte neben Werken von Wagner und Berlioz auch Musik des vom Wagner-Clan favorisierten Emmanuel Chabrier heraus. Als Wagner-Dirigent absolvierte er Gastspiele in Amsterdam, London und an der New Yorker Metropolitan Opera. Die New York Times kündigte Mottls Debüt als Sensation an und verwies darauf, daß dieser Dirigent »nicht nur ein großer Künstler, sondern ein sehr fortschrittlicher Musiker ist, der es sich auch angelegen sein läßt, junge Komponisten zu entdecken und ihre Werke bekannt zu machen.« (4. Juli 1903)

Ab 1904 fungierte Mottl als Direktor der Berliner Akademie der Künste.

Von Mottls Interpretationskunst sind lediglich einige Welte-Mignon-Klavierrollen überliefert, die er im Jahr seiner Berufung zum Münchner Generalmusikdirektor, 1907, bespielt hat: Sie gelten ausschließlich Wagner-Fragmenten aus Lohengrin, Tristan, den Meistersingern und Parsifal.

Bei einer Aufführung des Tristan an der Münchner Hofoper, wo er als Kapellmeister bereits seit 1903 tätig war, erlitt Mottl während des Zweiten Aufzugs eine Herzattacke, an deren Folgen er wenig später starb. (Eine der gespenstischen Pointen der Interpretationsgeschichte ist die Tatsache, daß Joseph Keilberth Jahrzehnte später - ebenfalls in München - nahezu an derselben Stelle dasselbe Schicksal ereilte.)

Mottl als Komponist

Als Komponist versuchte Mottl zunächst mit Musiktheaterwerken Fuß zu fassen. Seine Agnes Bernauer (nach Hebbel) kam 1880 in Weimar heraus. Mit seiner ständigen Beschäftigung als Kapellmeister in Bayreuth, Karlsruhe und München gab er das Komponieren groß angelegter Werke jedoch auf. In der Saison 1884/85 stand er in Korrespondenz mit dem Dichter Conrad Ferdinand Meyer, dessen Hochzeit des Mönchs er zu einer Oper verarbeiten wollte. Doch im September 1885 schreibt er an Meyer:
Den »Mönch« habe ich weder aufgegeben, noch ist mir die Lust daran vergangen. Aber ich könnte mich zur Zeit nicht verpflichten, bei meiner Tätigkeit im Theater, das Werk in kürzerer Zeit fertig zu stellen. Glauben Sie, hochverehrter Herr, daher, daß es vorteilhaft ist, den Stoff an Andere zu überlassen, so möchte ich nicht im Wege sein.
Es kam danach zu verwirrenden Korrespondenzen zwischen dem Dichter und dem Musikverlag Bote und Bock, der das Mönch-Libretto für einen anderen Komponisten freibekommen wollte. Noch bis 1889 dauerte der sporadische Briefwechsel zwischen Mottl und Meyer an. Doch aus dem Projekt wurde nichts.

Auch die Oper Rama blieb Manuskript, doch entstand im Jahr 1904 noch ein Sreichquartett.

Wagners E-Dur-Symphonie

Richard Wagners Witwe Cosima hat dem Dirigenten 1886 ein Konvolut von Skizzen übergeben, die Wagner für eine Symphonie in E-Dur (es wäre nach der C-Dur-Symphonie die »Nr. 2« geworden) angefertigt, aber nie zu Ende beführt hatte. Cosima hatte das Manuskript nach des Komponisten Tod in einem Antiquariat gefunden und zurückgekauft. Mottl ergänzte die Aufzeichnungen und instrumentierte sie, sodaß nun zumindest ein Allegro con spirito und ein Adagio cantabile aufführbar sind. Neeme Järvi hat dieses Fragment mit dem Royal Scottish National Orchestra aufgenommen. (Chandos)

Für die Forschung ist Mottls Fassung dieser Symphoniesätze umso interessanter als das Manuskript Wagners nach einer Versteigerung im Jahr 1913 nicht mehr öffentlich einzusehen war und mittlerweile als verschollen gilt. Angeblich sollen vom zweiten Satz lediglich 30 Takte - mit einem Zitat aus der eigenen Klaviersonate in As-Dur - von Wagner selbset sein, also hat man hier vermutlich Musik von Felix Mottl vor sich, die von einer Wagnerschen Skizze inspiriert wurde.

Mottls Schubert-Arrangements

Federführend war Felix Mottl allerdings auch für die Wiederbesinnung auf musiktheatralische Werke von Franz Schubert, die seine Generation völlig in den Hintergrund gedrängt hatte. Mottl war der Dirigent der - allerdings stark gekürzten - Erstaufführung der Oper Fierrabras (Karlsruhe, 1897) und ließ im Jahr darauf ein Arrangement der Musik zu Zauberharfe folgen, die er allerdings einer Bearbeitung von Ferdinand Raimunds Die gefesselte Phantasie unterlegte; was einige Verwirrung unter den Theaterhistorikern stiftete - Anfang des XX. Jahrhunderts betrachtete man Mottls Arrangement als Originalwerk Schuberts und brachte es unter anderem in Wien am Burgtheater (1936) und noch Jahrzehnte später im Theater in der Josefstadt (1983) zur Aufführung.

↑DA CAPO