Sir Charles Mackerras
(1925 - 2010)
Er hat mit großer Umsicht
und Kompetenz - auch bei den Salzburger Festspielen und am Pult der Wiener
Philharmoniker - Mozart interpretiert, er war in vielen bedeutenden
Musikzentren als Gestalter eines breiten Repertoires begehrt.
»Originale« Klänge
Sir Charles Mackerras hat sich von Anfang seiner Karriere an nie irgend ein stilistisches Mäntelchen umhängen lassen. Ihn interessierte Barockmusik ebenso wie die klassische Moderne, Mozart ebenso wie die italienische Belcantooper. Und wo immer er in Erscheinung trat, mußte man sich darauf gefaßt machen, daß er vor jeder Aufführung akribische Studien betrieb und daher nicht selten mit Aufführungsmaterial erschien, das erheblich von den gewohnten Noten abwich. Das erstaunte in der Regel nicht nur die Musiker, sondern oft auch das Publikum, etwa, als er in der New Yorker Metropolitan Opera Donizettis Lucia di Lammermoor einstudierte und Andrea Rost auf manche der gewohnten Spitzentöne und auch auf etliche Koloraturen verzichtete (oder verzichten mußte), weil sie nicht in der Partitur stehen. Mackerras war ein Originalklang-Fetischist ohne den missionarischen Sektierer-Eifer vieler Kollegen: Er wußte charmant zu überzeugen. Oft war er selbst überrascht über das Ergebnis seiner Forschungsarbeit. Als er Georg Friedrich Händels Feuerwerksmusik mit einem riesigen Bläser-Ensemble einstudierte, das genau jene der (Freiluft-)Uraufführung glich - mit einigen Instrumenten, die seit Jahrhunderten niemand mehr gehört hatte - bekannte er selbst:Es war ein Wagnis. Es hätte furchtbar schiefgehen können. Aber es klang herrlich!
Janáčeks Statthalter
Vor allem aber war Charles Mackerras der Statthalter Leoš Janáčeks, dessen Musik er liebte und verstand wie kaum ein Musiker, der außerhalb Mährens das Licht der Welt erblickt hat: Sir Charles Mackerras, der einen Teil seiner Studien in Prag absolviert hatte und es genoß, den großen Vaclav Talich bei der Arbeit mit der Tschechischen Philharmonie zu erleben, hat sich unschätzbare Verdienste um die Herausgabe »originaler« Partituren der großen Kompositionen Janáceks erworben, deren bester Anwalt er dann höchstselbst am Dirigentenpult sein konnte.
Wer etwa Jenufa-Aufführungen in der Wiener Staatsoper unter seiner Leitung erlebt hat, der erinnert sich dankbar - eben nicht an die Umsicht eines philologisch präzisen Musikforschers, der er auch war; sondern vielmehr an die Leidenschaft, an die dramatische Intensität, die eine Aufführung unter seiner Stabführung erreichen konnte.
Mackerras besaß die seltene Gabe, musikologisches Detailwissen und Theaterpranke zu vereinen. Bei ihm »stimmte« nicht nur, was in den Noten stand, sondern auch, was die Musiker daraus machten. So wurde der Australier, der einst auch das Opernhaus von Sidney eröffnete, zur internationalen Institution. Seine Diskographie ist von enormer Bandbreite und berücksichtigt viel Musik, die gern vernachlässigt wird. Nicht von ungefähr bemerkte der Dirigent im Gespräch mit der Zeitschrift »Gramophone« eines Tages:
Ich bin durchaus stolz auf meine umfangreiche Diskographie, aber ich wünschte, die Plattengesellschaften würden etwas empathischer Werbung machen: Sie promoten am liebsten die Aufnahmen, die sich ohnehin von selber verkaufen . . .