Hans Knappertsbusch

1888 - 1965

Er war der deklarierte Liebling der Orchestermusiker - und des Publikums. Probiert hat er selten. Seine Maxime lautete: Sie kennen das Stück, ich kenn' den Saal.
In der Regel genügte das, um inspirierte Aufführungen, oft auch Sternstunden zu generieren. Bei »Kna«, wie er liebevoll genannt wurde, reagierten die Musiker auf jeden kleinsten Wink, auf jeden kurzen Blick. Und wenn er sich von seinem Hocker erhob, dann ereigneten sich bei Bruckner-Symphonien oder Wagner-Opern Steigerungen, wie sie - nach übereinstimmender Aussage von Zeitzeugen - kein anderer Dirigent hervorzurufen imstande war.

Man muß zu Livemitschnitten greifen, um ahnen zu können, welche Energien eine solche Knappertsbusch-Aufführung freisetzen konnte. Im Schallplattenstudio war er auf Grund der genannten Eigenschaften nicht zu brauchen. Der legendäre Produzent John Culshaw berichtet in seinen Erinnerungen Schauergeschichten über »Knas« Unwilligkeit, Passagen ein zweites Mal aufzunehmen, weil ein paar kleine Schmisse passiert waren. Dergleichen störte ihn bei Liveaufführungen nicht, weil das große Ganze stimmte. Auf Schallplatte waren die Fehler unverzeihlich. Das wollte der Dirigent nicht wahrhaben. Deshalb unterblieben große Projekte wie die Gesamtaufnahme des Tristan oder der erste Ring des Nibelungen, den dann Sir Georg Solti aufnahm.

Immerhin ein großes Pionierprojekt gelang - und das nachhaltig: Die Gesamtaufnahme der Meistersinger von Nürnberg mit Paul Schöffler als Sachs, ist bis heute in ihrer Gesamtheit nicht egalisiert worden. Sie entstand in drei Etappen. Man begann 1951 mit dem Mittel-Akt, einem der ersten Projekte für die neue Technologie der Langspielplatte. Die beiden Außen-Akte folgten bis Mitte der Fünfzigerjahre. Die Aufnahme erschien zunächst in drei Akte geteilt auf insgesamt sieben, dann in einer Kassette auf sechs und schließlich - mit einem Schnittfehler im zweiten Aufzug, der sich bis in die Digitalisierung gehalten hat - auf fünf Schallplatten. Daß diese Aufnahme in großen Zügen entstanden ist, sichert ihr den großen Atem, der charakteristisch für Knappertsbuschs Aufführungen war. Daß man nicht nachschneiden konnte, ist bis heute zu hören: Der Wechsel vom Vorspiel zum Eingangschor des ersten Aufzugs ist ein mißlungener Schnitt, der nicht zu reparieren war. Dennoch will kein Wagner-Freund auf diese Meistersinger verzichten.

Ebensowenig wie auf Knappertsbuschs Bayreuther Parsifal-Aufnahmen. Auf dieses »Bühnenweihfestspiel« war der Kapellmeister aus Barmen-Elberfeld quasi abonniert. Er hat es über Jahre hin in beinahe allen Bayreuther Festspieljahren seit 1951 dirigiert. Fast Jahr für Jahr wurde die erste Vorstellung übertragen, sodaß es eine Menge Parsifal-Livemitschnitte gibt. Zwei Mal waren Schallplattenfirmen zugegen: Telefunken zeichnete die Aufführung mit Ramon Vinay und Martha Mödl 1951 auf, → Philips Anfang der Sechzigerjahre mit Jess Thomas und Irene Dalis - die spätere Aufnahme ist in Stereo, die erste in Mono - und doch gilt ihr die Liebe des Publikums:

Die Intensität, die Martha Mödl in der zentralen Szene des Zweiten Aufzugs erreicht, ist - im Verein mit Knappertsbuschs Orchesterführung - zumindest vor Mikrophonen nie wieder erreicht worden.

Bedauerlich, daß aus vertragsrechtlichen Gründen der ebenfalls professionell aufgezeichnete Livemitschnitt der Götterdämmerung aus dem selben Festspieljahr nie freigegeben wurde. Er ruht in den Archiven der Decca. John Culshaw schwärmte von der Vorstellung noch viele Jahre danach . . .

Livemitschnitte bewahren auch am besten die Kunst dieses Dirigenten, ganz Opernakte zu spannenden Gesamtereignissen werden zu lassen:

Die Siedehitze in der Münchner Aufführung von Tristan und Isolde läßt sich hörend noch nachvollziehen.

Schwerer haben es die »Nachgeborenen« mit mancher Studioaufnahme dieses Dirigenten. So fangen die drei Bruckner-Aufnahmen, die mit den Wiener Philharmonikern für Decca entstanden, gewiß nur einen Bruchteil des Faszinosums Knappertsbusch ein - und sind zudem für den heutigen Geschmack beeinträchtigt durch die korrumpierten Spielfassungen, die dieser Dirigent den damals schon vorliegenden, kritischen Ausgaben vorgezogen hat - daß am Ende der Fünften Symphonie Becken und Triangel zum Bläserchoral treten, befremdet den Hörer ein halbes Jahrhundert später ziemlich.

Doch findet man unter den Live-Aufnahmen auch im symphonischen Bereich etliche hörenswerte Mitschnitte, die allerdings in vielen Fällen erst Knappertsbusch-geeichte Musikfreunde anhören sollten. Um den Witz und die satte Klangfülle in Beethovens Achter Symphonie bei Knappertsbuschs oft provokant ruhigen Tempi recht genießen zu können, braucht es guten Akkommodations-Willen. Bringt man den auf, wird man reich beschenkt.

Übrigens hat Thomas Bernhard diesen Dirigenten als einen der Lieblingsdirigenten der Wiener Musikfreunde verewigt, indem er »Voss« in seinem Stück Ritter Dene Voss ausdrücklich eine Schallplatte von Beethovens Eroica unter Knappertsbusch auf den Plattenteller legen und abspielen läßt.

Gehört haben muß man die Walzer-Aufnahmen, die Knappertsbusch mit den Wiener Philharmonikern gemacht hat - hier ist nachvollziehbar, mit welcher Lust am satten, farbenprächtigen Klang das Orchester unter der Leitung dieses Dirigenten gespielt hat: Die Auftakte in Karl Komzáks Badner Madln sind legendär - und das zu Recht.
So lustvoll greifen die Philharmoniker nicht alle Tage in die Saiten.



↑DA CAPO