Juni 2012

Berislav Klobucar

Erinnerungen an einen echten Kapellmeister

Er ist weit über tausend Mal, genau an 1133 Abenden, am Dirigentenpult der Wiener Staatsoper gestanden. Schon das ist rekordverdächtig. Noch mehr die Zahl der unterschiedlichen Werke, die er aus dem Effeff beherrschte: 53 verschiedene Titel nennt das Nachschlagwerk des Hauses am Ring. Berislav Klobucar war das Gegenteil eines Spezialisten. Ob Verdi oder Wagner, Puccini oder Mozart, Smetana oder Tschaikowsky, Alban Berg oder Francis Poulenc, er ging ans Pult und dirigierte.

Das schreibt sich so leichthin, stellt aber für einen Dirigenten der modernen Generation eine Ungeheuerlichkeit dar. Klobucar hatte ja in den seltensten Fällen die Premieren jener Produktionen einstudiert, deren siebente, siebenundsiebzigste oder siebenhundertste Vorstellung er leitete.

Er dürfte seit seinem Debüt, 1953 im Theater an der Wien, überhaupt relativ wenige Proben absolviert haben, gemessen an der enormen Anzahl der von ihm dirigierten Vorstellungen. Er brauchte das nicht, er konnte auch vertrackte Partituren zwischen "Wozzeck" und "Gespräche der Karmeliterinnen" mit wenig Blickkontakt zur Partitur und viel Augenzwinkern in Richtung jener Orchestergruppen, die gerade einen Einsatz brauchten, mühelos über die Runden bringen.

Sein Handwerk hatte der kroatische Künstler zunächst in seiner Heimatstadt Agram und dann bei Vorbildern wie seinem Landsmann Lovro von Matacic und bei Clemens Krauss gelernt. Was wienerische Musizierkultur ist, erfuhr er spätestens bei diesem Erfinder des Neujahrskonzertes. Das Staatsopernorchester hat es spürbar geschätzt, wenn Klobucar ans Pult trat: Von seinen Lehrmeistern hatte er auch erfahren, dass man eine Musikergemeinschaft "spielen lassen" muss, wenn man sie erst einmal dazu animiert hat, gleichzeitig einzusetzen.

Das Hineinhören ins Orchester, das Mitatmen mit den Sängern - und die Koordination dieser beiden Tugenden, die hat er beherrscht. Als Chefdirigent pflegte er sie über die Jahre hin zunächst in Agram, denn Graz, in Stockholm und in Nizza - man holte ihn außerdem nach Bayreuth für den "Ring des Nibelungen" und an die New Yorker Met. Sicherlich hat dabei die Fürsprache einer Wagner-Heroine vom Format der Birgit Nilsson eine Rolle gespielt, die Klobucar zeitlebens als den angenehmsten Dirigenten bezeichnete, der ihr je begegnet sei.

Aber irgendwie war Klobucar ja doch im Wiener Haus am Ring daheim; auch als er längst nicht mehr auftrat, begegnete man ihm häufig auf dem Logengang und durfte in den Pausen mit ihm fachsimpeln; oder man fand ihn hinter der Bühne, wenn alles vorbei war und er den Sängern sein Lob aussprach. Das hatte immer etwas zu bedeuten, denn dieser Mann war geschätzter Partner aller großen Sängerpersönlichkeiten gewesen.

Wenige Wochen vor seinem 90. Geburtstag starb Klobucar in Wien.



↑DA CAPO