Die Norweger als Gipfelstürmer

Mit Oslo Philharmonic feierte Mariss Jansons seinen Einstand bei den Salzburger Festspielen
9. August 1993
Die Frage, ob die musikalischen Aufsteiger aus dem Norden die Konkurrenz mit den Salzburger philharmonischen Hausorchestern aufnehmen können, ist nun beantwortet: Sie können.

Mit Mariss Jansons haben die norwegischen Musiker längst den Sprung zur Weltspitze geschafft. Sie demonstrierten das bei den Festspielen mit einem bildhaften Beispiel: der gipfelstürmenden "Alpensymphonie" von Richard Strauss.

Das Werk ist im Festspielhaus vorbelastet. Herbert von Karajan demonstrierte anhand der für über 120 Musiker instrumentierten, technisch anspruchsvollen tönenden Bergwanderung die Meisterschaft und Reife, die er in seinen letzten Jahren mit den Berliner Philharmoniker erreicht hatte. Auch wer sich daran noch lebhaft erinnern kann, durfte frohen Herzens in den demonstrativen Schlußjubel für die Osloer Gäste einstimmen. Sie hatten die schwere Prüfung glänzend bestanden.

Ovationen gab es an diesem Vormittag in ungewöhnlicher Heftigkeit bereits nach dem Einleitungsstück, der Suite aus dem "Feuervogel" von Igor Strawinsky. Hoher Schule der Orchestererziehung, wie Jansons sie offenkundig bei der Vorbereitungsarbeit geritten hatte, folgte das interpretatorische Pendant auf dem Fuß.

Der Dirigent ist, zeigt sich bei solchen Gelegenheiten, ein Stilist von Graden. So sehr er für Richard Strauss die Kunst des vielfach schattierten Mischklangs beherrscht, so konkret läßt er die einzelnen Stimmen bei Strawinsky herausmodellieren. Selbst die "himmlischen" Celesta-Akkorde, die der Russe zu dieser Zeit noch notiert, tönen nicht wie ein Nachhall spätromantischer Reizklänge, vermischt mit allen anderen Farbwerten, sondern als ganz bewußt und für sich gesetzte, punktuelle Valeurs. Strawinsky nicht als Traditionalist, sondern als kommender Umstürzler.

Dabei verzichtet Jansons keine Sekunde lang auf kunstvoll inszenierte Steigerungen. Die rhythmische Präzision, die er seinem Orchester abtrotzt, dient ihm dabei als schier unerschöpfliche Energiequelle. So entfalten sich die behutsam fließenden Harmonien des Wiegenlieds ebenso wie die Eruptionen von Kaschtscheis wildem Höllentanz. Das hymnische Finale entwickelt sich in stetigem, durch keine Irritationen getrübtem Crescendo, vom traumhaft schön geblasenen Hornsolo bis zum allgemeinen Fortissimo. Auch hier trennt Jansons klar die einzelnen Orchestergruppen voneinander, die instrumentale Schichtung bleibt bis zum letzten Moment transparent - es ist Strawinsky, der da jubelt.

Richard Strauss erhält für seinen "Almrausch" dann viel weichere Konturen. Zwischendrin das Bratschenkonzert, das wirklich nicht von Bart'ok ist, sondern von Tibor Serly nach spärlichen Skizzen ungefähr spielbar gemacht wurde, wobei weder der formale Ablauf, noch - schon gar - Details von Stimmführung, Harmonie und Instrumentation annähernd präzise zu rekonstruieren waren. Weshalb man das Werk nicht spielen sollte; höchstens dann, wenn - wie diesmal - ein blendender Solist vom Range Yuri Bashmets zu Verfügung steht und mit dunkel leuchtendem "Zigeunerton" den zartfühlendmelancholischen Momenten des Adagios ebenso wie den heftig gestikulierenden Tanzfiguren des Finales Profil gibt.

Das Orchester begleitete vor allem den Mittelteil mit sanften, zärtlich getönten Streicherakkorden, was immerhin Stimmung aufkommen ließ. Eine Ahnung vielleicht von dem, was Bart'ok wirklich wollte. Der Rest war ein Triumph für viele, virtuose Gäste und ihren künstlerischen Leiter, der nach diesem Konzert durchaus ein bißchen glücklich sein darf.

↑DA CAPO

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