SINKOTHEK          

Teodor Currentzis



Beethovens Fünfte
auf Langspielplatte
Sony    2020

Bewundert viel und viel gescholten, leistete der Dirigent mit seiner MusicAeterna einen Beitrag zum Jubiläumsjahr und produzierte die Fünfte.

Teodor Currentzis ist so etwas wie ein Popstar unter den Klassikinterpreten. Wenn er im Jubiläumsjahr die Fünfte Beethoven auf CD und LP und für Streaming-Dienste herausbringt, dann sperrt die ganze Welt ihre Ohren auf: Wie wird das sein?

Die einen feiern ja den griechischen Wahlrussen, der hinter dem Ural als unerbittlicher Orchester-Erzieher ein Ensemble ganz nach seinem Willen geformt hat, als eine Art Erlöserfigur. Die anderen verdammen ihn als Scharlatan, der mit diktatorischen Mitteln eine Musikergemeinschaft knechtet, um ausschließlich seiner Selbstdarstellung zu frönen.

Extremist als Rattenfänger

Welcher Lehrmeinung man immer anhängen mag, die Frage bleibt: Was fesselt eine Menge Menschen an den Interpretationen dieses Mannes? Immerhin verraten die CD-Verkäufe und Klickraten, dass er auch viel Publikum anlockt, das sonst mit Klassik kaum in Berührung kommen dürfte. Und die Veranstalter freuen sich, dass sie regelmäßig das „Ausverkauft“-Schild affichieren dürfen, wenn Currentzis auftritt.

Nun gibt es für eine Überprüfung der Fakten wohl kein besseres Stück als Beethovens Fünfte. Die berühmteste aller Symphonien mit dem allerberühmtesten aller Symphonie-Anfänge. Schon an der Frage, wie diese fünf Takte gespielt werden sollen, haben sich endlose Diskussionen entzündet. Wie lang sind die beiden Fermaten zu halten? Warum hängt Beethoven an die zweite noch einen Verlängerungs-Takt? Und vor allem: Was heißt „Allegro con brio“ – wie rasch soll dieser erste Satz gespielt werden? Wie lang dauert die ganze Symphonie?

Wie lauten nun die Antworten des Teodor Currentzis? Wie klingt „seine“ Fünfte?

Ein Blick auf das Timing verrät: Der Vielgeliebte und Vielgeschmähte bleibt seinem Ruf als interpretatorischer Extremist nichts schuldig: Die neue Fünfte ist vielleicht nicht die schönste, aber bestimmt die schnellste im ganzen Klassikland. Die Aufnahme hätte früher einmal mühelos auf eine Schallplattenseite gepasst und schlägt selbst die Einspielungen von Rekordhaltern wie Toscanini oder Karajan noch um Längen, pardon: Kürzen.

Tatsächlich schlägt die Attitüde hier und da auch in eine gewisse Kurzatmigkeit um. Das gehört aber offenbar dazu. Ohne Kalkül passiert bei Currentzis gar nichts. Da darf man sicher sein.

Jedenfalls kann der Hörer gar nicht genug bewundern, wie dieser Dirigent die Musiker seiner MusicAeterna an die Kandare genommen hat. Das muss man ja erst einmal schaffen, ein Orchester zu einer solchen Disziplin anzuhalten.

Wüsste man es nicht aus Live-Erlebnissen besser, könnte man angesichts des TGV-Con-Brios, das hier vorgelegt wird, eine technische Manipulation vermuten. Man erinnert sich an den Rezensenten des englischen „Gramophone“-Magazins, der einst meinte, er hätte die Geschwindigkeit seines Plattenspielers versehentlich auf 45 statt 33 Umdrehungen geschaltet, als er Karajans Berliner Aufnahme von Brahms' „Ungarischen Tänzen“ zum ersten Mal abspielte.

Da pocht kein Schicksal mehr

Wie dort, so hier: Die spielen wirklich so schnell. Und sie verhaspeln sich nicht dabei. Durcheinander kommt nichts. Und eins ist gewiss: Auf die Idee, die Fünfte „Schicksalssymphonie“ zu nennen, kommt niemand mehr. Da pocht kein Schicksal an die Pforten. In der Durchführung des ersten Satzes hüpfen die Holzbläser wie Mendelssohns Elfen im „Sommernachtstraum“.

Aber mit bildhaften Assoziationen ist es ohnehin vorbei. Der Klang des Ensembles hat, apropos Technik, etwas Künstliches, als käme er aus dem Synthesizer. Zäsuren klingen wie Schnitte zwischen kurzen Aufnahme-Takes. Kein Klang, eher ein „Sound“ holt Beethoven in die akustische Sampling-Welt der Popbranche.

Ob es daran liegt, dass mancher Zeitgenosse es nun doch auch einmal mit einer Symphonie versucht? Vielleicht kommt dann einmal der Moment, in dem der eine oder andere probeweise sogar aus der Cyber-Ästhetik auszubrechen versucht, um nachzuhören, wie die Großväter-Generation Beethoven verstanden hat.

Dann würde er sich wundern, was Musik noch alles kann.

Oder muss man schon sagen: konnte?

↑DA CAPO