Semyon Bychkov
Der Dirigent im Gepräch im Dezember 1997
Dresdens flotter neuer Opernchef
Semyon Bychkov, einst Karajans liebster Nachfolgekandidat, hat es vorgezogen, behutsam Karriere zu machen. Jetzt bekleidet er wichtige Chefpositionen. Der Dirigent im Gespräch.
Er war kaum dreißig, als Herbert von Karajan meinte, dieser junge Russe käme als Chef der Berliner Philharmoniker in Betracht. Auch wenn das auch nicht gleich in die Tat umgesetzt wurde: Der Name Semyon Bychkovs war plötzlich in aller Munde. Daraus hätte sich Kapital schlagen lassen. Aber der junge Mann war schlau genug, zu wissen, daß in der Musik Blitzkarrieren auch relativ schnell wieder zu Ende gehen können. Er zog es also vor, sein Können langsam und stetig zu entwickeln, war zuletzt führend beim Maggio musicale in Florenz und leitet das Orchestre de Paris - immerhin war auch das einmal ein Karajan-Ensemble!
Auch mit seinen Auftritten in den Zentren der internationalen Musik macht sich Bychkov rar. So hat man nach höchst erfolgreichen Gastspielen in Wien, Mitte der achtziger Jahre, ein Jahrzehnt auf die Wiederbegegnung warten müssen: Vor kurzem dirigierte Bychkov dann einen Konzerthaus-Abend mit dem Gustav Mahler Orchester und erntete Jubelstürme für seine aufwühlend-großartige Auffassung der Fünften Schostakowitsch. Sein Staatsoperndebüt mit Wagners "Tristan" ist für übernächstes Jahr geplant. Semyon Bychkov läßt sich also Zeit.
Jetzt scheint er sich reif für große Aufgaben zu fühlen: Soeben hat er zwei Kontrakte unterschrieben. Der eine bindet ihn ab sofort an das WDR-Orchester in Köln, der andere führt ihn ab 1999 an die Sächsische Staatsoper, Dresden. Im Gespräch gibt sich der Künstler locker und voll Witz. Er beleuchtet die Hintergründe des Erfolgs (und des möglichen Mißerfolgs) im Interpretengeschäft: "Es gibt zwei Ideen, die in der Kunst wichtig sind, aber gefährlich. Das eine ist die Demokratie, das andere die Tatsache, daß das Musizieren auch Spaß machen soll. Beides ist OK. Aber es kommt darauf an, wie man es umsetzt." Noch Arturo Toscanini, im Leben ein glühender Demokrat, fand, daß in der Kunst die Diktatur zu herrschen habe. Für Bychkov hat sich in unseren Tagen die Aufgabenstellung verändert; nicht nur im Hinblick auf den Umgang der Musiker miteinander: "Schauen Sie sich die Pop- und Rockmusiker an: Die glauben an das, was sie machen. Und nur dann, wenn das Publikum merkt, daß auch zum Beispiel bei symphonischer Musik die Leute auf dem Podium wirklich engagiert sind, gehen sie mit. Vor allem die Jungen. Die wollen nicht gelangweilt werden. Die Vorstellung, daß in der sogenannten Klassik alles immer ungeheuer ernst zugehen muß, ist ja lächerlich. Ernst schon, was die Grundlagen betrifft und das, was hinter einer Interpretation steht. Aber nicht im Hinblick auf die Präsentation."
Und das schließt mit ein, daß der Interpret mit großem Ernst an seine Aufgabe herangehen solle, aber nicht allein im Hinblick auf die Frage, wie perfekt er seine Partitur zu realisieren versteht. "Die Zeiten der Obsession der technischen Perfektion sind für mich vorbei", sagt Bychkov. "Schauen wir, was hinter den Noten steht, die Musik muß ihre Geschichte erzählen. Nur die ist interessant, nicht die Sprache, in der sie erzählt wird." Es scheint, die altehrwürdige Dresdner Oper bekommt einen flotten Erneuerer.