Leo BLECH

1871 - 1958

Leo Blech, photographiert von Nikolaus Perscheid

Leo Blech war einer der führenden Dirigenten Berlins in der Zwischenkriegszeit und eine fixe Größe in der deutschen Musikszene. Nicht einmal der Machtantritt der Nationalsozialisten konnten diesen bedeutenden jüdischen Künstler so leicht aus dem Sattel heben. Blech, zum Zeitpunkt der Angelobung Hitlers bereis im 62. Lebensjahr, blieb noch vier Jahre in Berlin, ehe er 1937 emigrieren mußte.

Dieses schauerlich-bemerkenswerte Detail einer außergewöhnlichen Biographie wirft ein Licht auf die Wertschätzung, die Leo Blech genoß.

Auf sein musikalisches Talent war Franz Wüllner aufmerksam geworden, der dem 20-jährigen gelernten Tuchhändler ein Zeugnis schrieb, das ihm sogleich einen Platz in der Kompositions-Klasse der Berliner Musikakademie verschaffte. Zwar war der dortige Kompositionslehrer keineswegs überzeugt von seinem Studenten, aber als Pianist erreichte der junge Mann auch in der Meinung der Professorenschaft höchste Qualitätstufen. Das Komponieren ließ sich Leo Blech freilich nicht nehmen. Bis ins hohe Alter hat er Opern und Operetten geschrieben, die letzte, Mister Wu instrumentierte nach Blechs Tod Eugen d'Albert, dessen Opern Tiefland und Flauto solo Blech als Dirigent uraufgeführt hatte.

Blechs erfolgreichste eigene Oper erschien mit der Komödie Versiegelt 1908 in Hamburg unter Blechs Leitung - und wurde vielfach nachgespiekt.

Nach dem Ausscheiden aus der Berliner Hochschule nahm sich Engelbert Humperdincks des jungen Kollegen an und sorgte für eine gründliche theoretische Ausbildung.

Zu diesem Zeitpunkt hatten aufmerksame Beobachter der Musikszene das Talent längst entdeckt: Blechs erste Oper, der Einakter Aglaja hatte 1893 in Aachen unter der Leitung des Komponisten ihre Uraufführung erlebt und führt zum Engagement des jungen Komponisten als Korrepetitor und Kapellmeister des Aachener Symphonieorchesters, dessen Mitglieder immer wieder auch im Opernhaus ihren Dienst versahan.

So wurde aus Leo Blech rasch ein versierter Opernkapellmeister. Der erste bedeutende Karrieresprung des Dirigenten Blech führte 1899 ans Prager Deutsche Opernhaus. Von dort kam Blech 19o6 nach Berlin, wo man ihn 1913 zum »Generalmusikdirektor auf Lebenszeit« machte. Etliche Probleme mit den jeweiligen Intendanten führten aber dazu, daß Blech lieber an anderen Häusern als der Lindenoper arbeitete. Das Publikum liebte Blech - mit den erstaunlichen Folgen in den Jahren nach 1934, in denen der Dirigent des persönlichen Schutz Hermann Görings und des allmächtgen Generalintendanten Heinz Tietjen genoß.

Nach der Zwangs-Pensionierung 1937 arbeitete Blech erfolgreich im Baltikum. In Riga prägte er das Musikleben auch nach der Machtübernahme durch die Sowjetunion die - vergeblich - versuchte, den berühmten Mann nach Moskau einzuladen. Der Einmarsch der deutschen Truppen führte für Blech und seine Frau, die Sopranistin Martha Frank, zu einer lebensbedrohlichen Situation, die aber durch die Intervention Tietjens entschäft wurde: Mit Görings Genehmigung durfte das Ehepaar Zuflucht in der schwedischen Gesandtschaft suchen, um von dort aus nach Stockholm zu emigrieren.

In der schwedischen Metropole war Blech längst hoch angesehen und sogar mit dem Titel des Hofkapellmeisters geehrt worden. Dennoch zog er es nach Ende des Zweiten Weltkriegs vor, wieder nach Deutschland zu gehen. Der hochbetagte Künstler wurde dort freudig wieder empfangen und feierte seine Rückkehr nach Berlin mit einer Neueinstudierung von Bizets Carmen- Zum 80. Geburtstag wurde er mit einer Neueinstudierung seiner beiden Opern-Einakter Versiegelt und Das war ich geeehrt.

Aufnahmen

Leo Blech war dank seiner Popularität einer der führenden Dirigenten des Schellack-Zeitalters. Seine vermutlich berühmtesten Aufnahme waren jene der Violinkonzerte von Beethoven und Brahms mit Fritz Kreisler, die enorme Verkaufszahlen erreichten. Da waren zwei außerordentliche Interpreten-Temperamente zusamengekommen.

Blechs zündende, dabei immer höchst differenzierte Aufführungen konnten elektrisierende Wirkung erzielen. Ein Stück wie Carl Maria von Webers Oberon-Ouvertüre ist nicht einmal von Toscanini dermaßen rasant dirigiert worden. Ohne daß man bei Blech jemals das Gefühl bekäme, die Musiker würden in ein Korsett gezwängt - die einzelnen Stimmen entfalten sich völlig natürlich und frei.

Das machte Blech zum idealen Opern-Kapellmeister, dessen Kunst zumindest in einigen Ausschnitten aus einer Berliner Aufführung der Meistersinger von Nürnberg zu studieren ist. Der legendäre Hans Sachs des Friedrich Schorr ist in diesen Fragmenten zwar nur ungenügend berücksichtigt, doch insgesamt sorgt Blech für eine lebendige Umsetzung von Wagners Notentext: noch die kleinste Nuance ist ausdrucks- und wandlungsfähig. Der Pinselstrich des Illustrators bleibt flexibel noch im Setzen von Punkten und kürzesten Linien.
Es gab bei dieser Aufnahme einige Verwirrung um mißverständliche Dirigenten-Angaben bei einigen der Tonträger, es scheint sich aber bei der Angabe: »Musikalische Leitung: Erich Kleiber« um die Nennung des damaligen Berliner Chefdirigenten der Lindenoper zu handeln; ziemlich zweifelsfrei sind die Aufführugnen, bei denen hier Fragmente mitgeschnitten wurden, von Blech dirigiert worden.


Viel diskutiert wurde Blechs Einspielung von Schuberts Großer C-Dur-Symphonie mit London Symphony (1927 - wieder aufgelegt auf Pristine). Es war die erste Gesamtaufnahme dieses Werks auf Schellackplatten und läßt eine völlig unverzärtelte, ungemein dramatische Wiedergabe hören, die vor allem in Sachen Tempo-Dramaturgie aus einer anderen Welt in unsere Zeit herüberragt. Derlei interpretatorische Kunst wird 100 Jahre später gern als subjektivistisch gebrandmarkt und doch bringt sie Qualitäten ein, die unwiederbringlich verloren scheinen - ob sie nicht doch Relikte der Geisteshaltung Schuberts bewahrt hatten?

Eine Nachkriegs-Aufnahme desselben Werks liegt noch mit dem RIAS-Orchester vor (1950, wiederuafgelegt von Audite), ruhiger, einer »moderneren« Sichtweise näher - doch trotz steteren Tempi immer noch »con brio« musiziert.

↑DA CAPO