Leonard Bernstein
Eine Biographie zum 100. Geburtstag bietet einen raschen Überblick über das Leben des vulkanösen Dirigenten-Komponisten
Diesen Kuß der ganzen Welt . . .
Um die herzliche Umarmung kam keiner herum, der sich in seinem allernächsten Umfeld nach einem Konzert befand - der Konzertmeister zu allererst wurde geherzt und geküsst, ob nun gerade die trostlos verhallenden Pianissimo-Pizzicati der Kontrabässe im Ausklang von Tschaikowskys "Pathetique" oder der jubelnde Final-Wirbel von Mahlers Erster Symphonie verklungen war. Leonard Bernstein umarmte seine Musiker, wie er seinem Publikum das Gefühl gab, es würde von der Musik umarmt.
Mauern abzubauen, Grenzen zu sprengen, der Wahrheit nahe zu kommen - das waren die Markenzeichen des amerikanischen Superstars, von dem man einmal ganz richtig bemerkt hat, er wäre der einzige Dirigent, dem das Wörtlein "genial" wirklich zukomme, denn er hätte ja immerhin die "West Side Story" komponiert.
Das Phänomen Bernstein eroberte ab den Sechzigerjahren Europa und vor allem: das Wiener Musikleben. Er war zur Stelle, als das Idol Herbert von Karajan die Stadt im Zorn verließ. Er setzte hier aus tiefster Überzeugung die Musik eines Meisters durch, den die Wiener ein halbes Jahrhundert zuvor vertrieben hatten: Gustav Mahler.
Wie er sich überhaupt für die Gerechtigkeit einzusetzen wusste, auch wenn es etwa um die Frage ging, ob die Konservatorien und Orchester in seiner Heimat nicht endlich schwarze Musiker ausbilden und beschäftigen sollten. Ob er sich in gesellschaftliche Grenzgebiete begab, war ihm dabei stets egal - ob es um Konzerte für Kinder ging oder tabuisierte Zonen des menschlichen Zusammenlebens. Er kannte kein: Das geht nicht, das gibt es nicht.
Dieser schillernden Persönlichkeit auf den Grund zu kommen, rechtzeitig bevor es den 100. Geburtstag zu feiern gilt, hat sich Michael Horowitz aufgemacht. Als Grundlage seiner Recherche diente ihm natürlich das ausführliche Buch von Humphrey Burton, Produzent von Hunderten von Bernstein-Filmen.
Die Fakten nicht in einem Riesenwälzer, sondern einem knapp und spritzig formulierten, noch dazu reizvoll bebilderten 240-Seiten Band niedergelegt zu haben, ist die eine gute Eigenschaft dieser Jubiläumsausgabe. Die andere: Der gut vernetzte Journalist Horowitz hat Weggefährten Bernsteins ausführlich befragt und so die bekannten Fakten und Lebensdaten durch ganz neue Perspektiven kräftig aufgemischt.
Die amüsanten, zuweilen nostalgisch-wehmütigen, hie und da kritischen, immer hintergründigen Erzählungen von Kapazitäten wie Gundula Janowitz, Christa Ludwig oder Otto Schenk lassen Erinnerungen an den Tausendsassa und grandiosen Musikvermittler noch einmal lebendig werden. (Erschienen bei Amalthea.)