Hermann Abendroth

1883 - 1956

Hermann Abendroth studierte bei Ludwig Thuille und Felix Mottl und galt bald als einer der führenden Dirigenten Deutschlands.

1915 Gürzenich-Konzerte
1918 GMD Köln
1922 Niederrheinisches Musikfest
1934-45 Gewandhaus Leipzig
1945 Weimar
1949 RSO Leipzig
1953 RSO Ost-Berlin

Abendroth, der zunächst als Buchhändler sein Brot verdient hatte, repräsentierte die deutsche Kapellmeistertradition in Reinkultur - seine Aufnahmen zeichnen sich durch dramatischen Atem und Leidenschaft aus, verraten aber auch perfekte Formbeherrschung. Daß er ein Zeitgenosse Furtwänglers war, ist deutlich zu hören - nicht nur auf den Mitschnitten der Meistersinger von Nürnberg von den Kriegsfestspielen in Bayreuth, die beide Kapellmeister im selben Jahr dirigiert haben.

Nach 1945 wurde Abendroth zu einem führenden Dirigenten in Ost-Deutschland. In Düsseldorf verwehrte man ihm einmal zu dirigieren, weil man ihn als überzeugten Kommunisten betrachtete. Die Sowjetunion lud Abendroth als ersten deutschen Dirigenten nach dem Krieg zu einem Gastspiel ein. Mit dem staatlichen Rundfunkorchester nahm Abendroth Beethovens Neunte Symphonie auf, ein Werk, das er immer wieder - und wiederholt auch vor Mikrophonen interpretiert hat; wann immer es ging mit heldischen Solotenören - darunter Ludwig Suthaus.

Die Studiotätigkeit Abendroths begann früh in der Schellack-Ära. Nebst Mainstream-Repertoire spielte er auch Novitäten wie → Ernst von Dohnányis Schleier der Pierette und - ein Gustostück, weil liebevoll einstudiert - die Hiller-Variationen von Max Reger ein. Nach dem Krieg machte er für das DDR-Label Eterna einige kernig-kraftvolle Klassiker-Aufnahmen, darunter Haydns Paukenwirbel-Symphonie, Mozarts Prager- und Jupiter-Symphonie sowie nebst anderen Beethoven-Werken eine intensive Neunte Symphonie, in der Bernd Aldenhoff eine bemerkenswert unerschrockene Interpretationen des Tenorsolos lieferte. Der unmittelbar anschließende Orchestersturm gehört zu den aufregendsten, die je auf Platte gebannt wurden.

Wiederum sind es einige Raritäten, die Sammler erfreuen, darunter Hans Pfitzners rare Kleine Symphonie in G-Dur und - erneut - Max Reger: eine koloristisch feine, sehr ausdrucksvolle Wiedergabe der → Tondichtungen nach Böcklin. Überdies stammt die einzig räsonable Aufnahme von Engelbert Humperdincks → Maurischer Rhapsodie von Abendroth.

Manche Aufnahmen Abendroths wurden in sensiblen Digitalisierungen in Japan auf CD herausgebracht, darunter Bruckners Vierte Symphonie, die »Romantische«, die in dieser Wiedergabe ihren Beinamen tatsächlich verdient. Neben Furtwängler und Bruno Walter gehört Abendroth zu den bedeutendsten Anwälten dieser Musik.

Der fliegende Holländer
RSO Berlin


Für Hartgesottene

Abendroths Kunst als Orchestererzieher dokumentiert eine CD, die auf dem Label Pristine erschienen ist: In akustisch penibel restaurierten und digitalisierten Neueditionen alter Schellack-Aufnahmen hört man, zu welchen virtuosen und klanglich unerhört differenzierten Leistungen dieser Dirigent die Berliner Staatskapelle in den Ungarischen Rhapsodien I und II von Liszt animiert hat; auch Regers Mozart-Variationen (allerdings ohne Schluß-Fuge!) sind zu hören, gespielt vom Pariser Koservatoriums-Orchester in feinsinnigster klanglicher Durchleuchtung - allerdings nur für Connaisseurs genießbar, die gelernt haben, durch die Patina der Oberflächengeräusche hindurch die Qualitäten einer Interpretation zu entdecken. Für diese lohnt sich die Hör-Exkursion!

↑DA CAPO