Paul Tortelier

1914 - 1990

Paul Tortelier ist der rare Fall eines bedeutenden Musikers, der seinen Beruf nicht aus Neigung wählte, sondern weil die strenge, selbstbewußte Mutter ihn zum Cellisten bestimmt hatte bevor er geboren wurde! Der Eindruck, den das Spiel eines Cellovirtuosen auf Frau Tortelier gemacht hatte, war so stark, daß sie für ihren Sohn diese Laufbahn auserkor.

Tatsächlich zeigte der kleine Paul Talent und absolvierte sein Studium am Pariser Konservatorium schon mit Sechzehn bravourös mit einem Ersten Preis. In der Folge schrieb er sich noch für das Theoriestudium ein und erlangte in Harmonielehre ebenfalls einen Ersten Preis - ex aequo mit seinem Studienkollegen, dem Komponisten Henri Dutilleux.

Das gelungene Konzertdebüt mit dem Lalo-Konzert im Rahmen der Concerts Lamoureux hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich gebracht. Ab seinem Engagement als Solocellist des Pariser Rundfunkorchesters, 1932, war Tortelier Kennern des französischen Musiklebens ein Begriff. In den späten Dreißigerjahren konnte er in den USA Fuß fassen und wirkte als Solocellist in Serge Kussevitzkys Boston Symphony Orchestra. Er war in dieser Funktion dabei, als Kussevitzky die Uraufführung des Cellokonzerts von Paul Hindemith dirigierte - mit Gregor Piatigorsky als Solisten. Das Hindemith-Konzert sollte zu einem der wichtigsten Repertoirestücke Torteliers werden. Er musizierte unter anderem auch die deutsche Erstaufführung des Werks nach dem Krieg und spielte es bis zum Ende seines Lebens immer wieder. 1967 nahm er es unter Edward Downes mit dem Philharmonia Orchestra in London auf und gab während der Probenarbeit auch einen Meisterkurs, den er diesem Werk widmete - ein Ausschnitt daraus ist auf der Neuedition der Einspielung zu hören. (BBC Music)

Viel gerühmt wurde Torteliers noble Interpretation des Don Quixote von Richard Strauss, den er unter Rudolf Kempe für die Gesamteinspielung der Strauss-Tondichtungen im Studio erarbeitete, aber auch live in einer besonders stimmungsvollen, dabei völlig unsentimentalen Wiedergabe mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks musizierte. (Orfeo)

Eine Freundschaft verband Tortelier mit seinem großen Cellisten-Kollegen Pau Casals, mit dem er Seite an Seite bei den Festivals von Prades und Perpignan wirkte. Dort entstand unter anderem eine erstmals 1952 veröffentlichte, wunderbar musikantische Aufnahme von Mozarts selten gespieltem Oboen-Quartett (KV 370) mit dem Oboisten Marcel Tabuteau und den Streicherkollegen Isaac Stern (Violine) und William Primrose (Bratsche).

Mit Stern und dem Pianisten Artur Rubinstein entstanden einige hörenswerte Trio-Aufnahmen. Unter anderem eine mitreißende Wiedergabe von Schuberts B-Dur-Trio, live mitgeschnitten beim Israel Festival 1967.

Zur Feier des 40-Jahr-Jubiläums von Casals' Festival reiste Tortelier 1990 ein letztes Mal an, um die Solo-Suiten von Johann Sebastian Bach zu musizieren. Wenige Wochen zuvor hatte ihm ein englischer Herzspezialist eröffnet, er hätte nur zwei Möglichkeiten: Sich einer Operation zu unterziehen oder sein sein Leben dem Schicksal zu überlassen. Die Wahl Torteliers fiel auf das Schicksal. Kurz nach den Bach-Konzerten beim Casals-Festival starb er.

Der Lehrer

Unterrichtet hat Tortelier mit Leidenschaft während seiner gesamten Solistenkarriere, die mit Ende der Vierzigerjahre nach einer Zeit im Pariser Konservatoriums-Orchester unter Charles Munch größere Dimensionen annahm.

Der Lehrer Tortelier wirkte am Pariser Konservatorium, an der Folkwang Schule in Essen und in Nizza. Seine wohl prominenteste Studentin war Jacqueline du Pré, deren Trauzeuge bei der Heirat mit Daniel Barenboim Tortelier war. Der Tod riß den sechsundsiebzigjährigen Cellisten mit einer Herzattacke mitten aus einem Meisterkurs im Jahr 1990 in Chaussy (Val-d’Oise).

Der Komponist

Für Aufführungen an der Seite seiner Frau, der Cellistin Maud Martin, schrieb Tortelier ein Konzert für zwei Celli und Orchester. Von seinen kleineren Kompositionen wurde der Pitre aus den »Trois P'tits tours« als Zugabestück populär. Komponierend verbrachte Tortelier auch sein Sabbatical 1955/56 in einem israelischen Kibbuz und schrieb die Israel Symphony.

Der vielseitige Künstler, der immer wieder auch dirigiert hat - und dieses Talent auf seinen Sohn Yves-Pascal vererbte - schrieb eine Autobiographie in Dialogform und erfand einen speziellen Cello-Standfuß, den er ala »Pique Tortelier« patentieren ließ. Er ermöglicht die extrem flache Haltung des Instruments, wie Tortelier sie pflegte.

↑DA CAPO