Mehr Fall als Aufstieg
Mahagonny bei den Salzburger Festspielen, inszeniert von Peter Zadek
27. Juli 1998
Wie langweilig darf politisches Engagement auf dem Theater werden?
Bert Brecht wollte man in Salzburg einstens zum wichtigen Theatermann küren, entschied sich aber dann doch dafür, ihn unmöglich zu machen. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny als Eröffnungspremiere des Festivals, das ist in der Ära Mortier also durchaus als hintergründiger Akt zu werten. Wobei dieses Projekt bei vielen Zuschauern im großen Festspielhaus heftige Zweifel an der künstlerischen Potenz der beiden Autoren herbeigeführt haben könnte. Mahagonny nämlich ist, inszeniert von Peter Zadek, nicht nur lähmend langweilig, sondern wirkt in manchem Moment gar wie ein stümperhaftes Machwerk. Und das kommt so: Dennis Russell-Davies erscheint vor dem in Hemdsärmeln aufspielenden Orchester des ORF, hebt den Taktstock zur durchaus zündend musizierten Nummer eins der Partitur, und eh man sich's versieht, nehmen hoch über dem Bühnenportal zwei Leuchtschrift-Souffliermaschinen ihr schimmerndes Werk auf, eine in englischer, eine in deutscher Sprache. Ja, allen Ernstes auch in Deutsch, in jener Sprache, in der mehrheitlich gesungen und gesprochen wird. Es dauert nicht lange, bis das Staunen des Publikums der Erkenntnis weicht: Auch die deutschen "Übertitel" haben ihren Sinn, mehr noch, sie sind lebenswichtig für den Organismus dieses Theaterabends, denn sie sind das einzige, was diese Vorstellung zusammenhält. Von den Sängern, Schauspielern und der bezaubernden Ansagerin versteht man bestenfalls einzelne Wörter, Satzfetzen, kann sich hier und da aus Silben zusammenreimen, worüber auf der weitläufigen Bühne gerade verhandelt wird, in vielen Fällen versteht man gar nichts und liest also die der Verknappung wegen sorgsam simplifizierten Brecht-Texte.
Wer sich anläßlich der Festspielpremiere eines berühmten Stückes bei solchen Gedanken ertappt, ahnt, daß da irgend etwas gründlich schiefgelaufen sein muß. Nachdem wir heutzutage ja ernsthaft einem Brecht, einem Weill nicht mit dem Vorwurf des Dilettantismus begegnen dürfen, andererseits wissen, daß Mahagonny nicht nur an der Wiener Volksoper auch schon immer wieder sehr erfolgreich gewesen ist, bleibt der Schluß zu ziehen: Die Salzburger Festspiele haben ein vollkommen falsches Team ausgewählt, das nicht imstande ist, Brechts Text prägnant und wirkungsvoll zu servieren, das überdies Weills Musik mit untauglich spätromantischem Operngestus begegnet und also nicht im geringsten ahnen läßt, von welcher Art ästhetischer Erneuerung die Autoren geträumt haben könnten. Wobei die verzweifelten - und erstaunlich angestrengt klingenden - Versuche von Catherine Malfitano (Jenny) und Jerry Hadley (Jimmy), die spröden Weillschen Melismen zu tristanesken Duetten umzubiegen, nicht weniger irrtümlich anmuten als die dräuenden Versatzstücke aus Elektra-Monologen, die Dame Gwyneth Jones als Leokadja Begbick gewohnheitsmäßig zwischendurch zu servieren scheint.
Noch schwerer wiegt, daß eine Heroine wie diese, die unter den Händen von Patrice Chereau schon auch einmal zur höchst beweglichen, ausdrucksstarken Singschauspielerin mutieren konnte, von Peter Zadek geradezu paralysiert wirkt und wie die meisten Kollegen im Salzburger Festspielhaus zur unauffälligen Figur wird. Nur in ganz wenigen Momenten, in denen auch das Orchester zu einer spritzigen Gangart findet, scheinen alle Mitwirkenden auf dem Bühnenareal zu einem in sich funktionierenden theatralischen Netzwerk gebunden, in dem Dynamik, organisierte Bewegung und dramaturgische Sprengkraft regieren. Solche Ansätze zu Höhenflügen brechen jedoch in sich zusammen, sobald sie erste Lebenszeichen von sich gegeben haben. Gleich herrscht wieder Statik, ungelenkes Arrangement, wird der Blick freigegeben auf die praktikabel verschiebbaren, Trostlosigkeit vermittelnden Kulissen Richard Peduzzis. Da ist noch der Staatsopernchor, den Winfried Maczewski präzis vorbereitet hat und der an einigen Stellen durch prägnante Einwürfe für sich einnimmt. Sonst liefert das Salzburger Mahagonny die Kulisse zu einer unausgesetzten »Proletendämmerung«, von der mangels dramaturgischer Schlüssigkeit niemand sagen könnte, zu welchem pädagogischen Zweck man sie über sich ergehen lassen sollte. In diesem Mahagonny absolviert einen Aufstieg nur der Vorhang. Mit seinem Fall läßt er sich unerträglich lange Zeit.
Bert Brecht wollte man in Salzburg einstens zum wichtigen Theatermann küren, entschied sich aber dann doch dafür, ihn unmöglich zu machen. Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny als Eröffnungspremiere des Festivals, das ist in der Ära Mortier also durchaus als hintergründiger Akt zu werten. Wobei dieses Projekt bei vielen Zuschauern im großen Festspielhaus heftige Zweifel an der künstlerischen Potenz der beiden Autoren herbeigeführt haben könnte. Mahagonny nämlich ist, inszeniert von Peter Zadek, nicht nur lähmend langweilig, sondern wirkt in manchem Moment gar wie ein stümperhaftes Machwerk. Und das kommt so: Dennis Russell-Davies erscheint vor dem in Hemdsärmeln aufspielenden Orchester des ORF, hebt den Taktstock zur durchaus zündend musizierten Nummer eins der Partitur, und eh man sich's versieht, nehmen hoch über dem Bühnenportal zwei Leuchtschrift-Souffliermaschinen ihr schimmerndes Werk auf, eine in englischer, eine in deutscher Sprache. Ja, allen Ernstes auch in Deutsch, in jener Sprache, in der mehrheitlich gesungen und gesprochen wird. Es dauert nicht lange, bis das Staunen des Publikums der Erkenntnis weicht: Auch die deutschen "Übertitel" haben ihren Sinn, mehr noch, sie sind lebenswichtig für den Organismus dieses Theaterabends, denn sie sind das einzige, was diese Vorstellung zusammenhält. Von den Sängern, Schauspielern und der bezaubernden Ansagerin versteht man bestenfalls einzelne Wörter, Satzfetzen, kann sich hier und da aus Silben zusammenreimen, worüber auf der weitläufigen Bühne gerade verhandelt wird, in vielen Fällen versteht man gar nichts und liest also die der Verknappung wegen sorgsam simplifizierten Brecht-Texte.
Untaugliche Spätromantik
Auf diese und die akustischen Bruchstücke, die von der Bühne her verständlich werden, macht man sich den Reim, den auch der Autor einst für Mahagonny fand. Und inmitten der Buchstabierarbeit habe ich, ich gestehe es offen, mehrmals den Eindruck gewonnen, Brecht hätte hier manchmal wie ein blutiger Dilettant mit unterentwickeltem Sprachgefühl agiert. Und Kurt Weill hätte dazu eine Musik gemacht, die sich zwar ganz simpel, schlagerverbunden gibt, aber jedes dritte Mal mit der Einteilung der musikalischen Phrasen nicht fertig wird und diese, dem Tonfall der gewählten Melodik zuwider handelnd, künstlich verkürzt oder zerdehnt, oder die Sänger zu zungenbrecherischer Vokalakrobatik anhält.Wer sich anläßlich der Festspielpremiere eines berühmten Stückes bei solchen Gedanken ertappt, ahnt, daß da irgend etwas gründlich schiefgelaufen sein muß. Nachdem wir heutzutage ja ernsthaft einem Brecht, einem Weill nicht mit dem Vorwurf des Dilettantismus begegnen dürfen, andererseits wissen, daß Mahagonny nicht nur an der Wiener Volksoper auch schon immer wieder sehr erfolgreich gewesen ist, bleibt der Schluß zu ziehen: Die Salzburger Festspiele haben ein vollkommen falsches Team ausgewählt, das nicht imstande ist, Brechts Text prägnant und wirkungsvoll zu servieren, das überdies Weills Musik mit untauglich spätromantischem Operngestus begegnet und also nicht im geringsten ahnen läßt, von welcher Art ästhetischer Erneuerung die Autoren geträumt haben könnten. Wobei die verzweifelten - und erstaunlich angestrengt klingenden - Versuche von Catherine Malfitano (Jenny) und Jerry Hadley (Jimmy), die spröden Weillschen Melismen zu tristanesken Duetten umzubiegen, nicht weniger irrtümlich anmuten als die dräuenden Versatzstücke aus Elektra-Monologen, die Dame Gwyneth Jones als Leokadja Begbick gewohnheitsmäßig zwischendurch zu servieren scheint.
Noch schwerer wiegt, daß eine Heroine wie diese, die unter den Händen von Patrice Chereau schon auch einmal zur höchst beweglichen, ausdrucksstarken Singschauspielerin mutieren konnte, von Peter Zadek geradezu paralysiert wirkt und wie die meisten Kollegen im Salzburger Festspielhaus zur unauffälligen Figur wird. Nur in ganz wenigen Momenten, in denen auch das Orchester zu einer spritzigen Gangart findet, scheinen alle Mitwirkenden auf dem Bühnenareal zu einem in sich funktionierenden theatralischen Netzwerk gebunden, in dem Dynamik, organisierte Bewegung und dramaturgische Sprengkraft regieren. Solche Ansätze zu Höhenflügen brechen jedoch in sich zusammen, sobald sie erste Lebenszeichen von sich gegeben haben. Gleich herrscht wieder Statik, ungelenkes Arrangement, wird der Blick freigegeben auf die praktikabel verschiebbaren, Trostlosigkeit vermittelnden Kulissen Richard Peduzzis. Da ist noch der Staatsopernchor, den Winfried Maczewski präzis vorbereitet hat und der an einigen Stellen durch prägnante Einwürfe für sich einnimmt. Sonst liefert das Salzburger Mahagonny die Kulisse zu einer unausgesetzten »Proletendämmerung«, von der mangels dramaturgischer Schlüssigkeit niemand sagen könnte, zu welchem pädagogischen Zweck man sie über sich ergehen lassen sollte. In diesem Mahagonny absolviert einen Aufstieg nur der Vorhang. Mit seinem Fall läßt er sich unerträglich lange Zeit.