Tarare
(Axur, Re d'Ormus)

Antonio Salieri

Das veritable Gegenstück zu Mozarts Figaro - wieder angeregt durch Beaumarchais.

1787 Paris/→ 1788 Wien

→ DIE HANDLUNG

Musikhistorisch gesehen eines der interessantesten Werke der Zeit unmittelbar vor der französischen Revolution - und in gewisser Weise ein Schwesterstück zu Mozarts Figaro.
Wie das ein Jahr ältere Werk stammt die Vorlage aus der Feder von Pierre Augustin Carron de Beaumarchais. Nur, daß der aufmüpfige Poet in diesem Fall direkt an der Produktion der Oper beteiligt war.

Beaumarchais Text

seine Folle Journée, aus der in Lorenzo da Pontes Bearbeitung der Figaros Hochzeit wurde, hält auch Tarare der herrschenden Klasse des Ancien Régime einen Spiegel vor. Nicht von ungefähr klingt der Name des Titelhelden nach einem frechen Trara. Frech bürstet Beaumarchais in seinem Textbuch auch alle althergebrachten Klischees der Huldigungsoper gegen den Strich

Und Antonio Salieri, der Wiener Hofkapellmeister, bürstete mit. Er war ursprünglich nicht der Adressat von Beaumarchais Text; obwohl der Dichter doch ihn meinte. Er dachte sein Libretto dem Autor der erfolgreichen Danaiden zu, die in Paris als Oper von Altmeister Christoph Willibald Gluck angekündigt wurden

Tatsächlich stammte Les Danaides aber auch Salieris Feder. Als sich das herausstellte, nahm Beaumarchais mit Salieri Kontakt auf und bot ihm Tarare zur Komposition.

Während der Arbeit an dem Werk lebte Salieri in Beaumarchais Pariser Domizil und beobachtete mit Staunen, wie es sein Librettist verstand, durch Lesungen und sonstigen Werbeaufwand Reklame für ihr gemeinsames Werk zu machen und die Neugier darauf zu schüren.

Axur, Re d'Ormus

Beaumarchais war schon im Falle des Figaro ein genialer Promotor seiner selbst gewesen.

Die Reaktion auf Tarare ließ dann nichts zu wünschen übrig, eine Einstudierung der Novität in Wien sollte unter dem Titel Axur, Re d'Ormuswenige Monate nach der Uraufführung über die Bühne gehen - und wieder war es Da Ponte, der es verstand, den Kaiser von der Unbedenklichkeit des durchaus aufmüpfigen Sujets zu überzeugen. Wie schon im Falle der Folle Journée schrieb er Beaumarchais Text kräftig um, fügte einen erklärenden Einleitungsakt hinzu, beließ aber genügend Zündstoff für Diskussionen in der Handlung, einen ganz und gar selbstsüchtigen, nicht auf das Wohl seiner Untertanen bedachten Herrscher und einen neuen König wider Willen, der im Finale seine Ketten nicht abnimmt, von denen er eigentlich befreit wurde - zum Zeichen, daß wahre Größe auf Erden nur durch Charkater und Tat, niemals durch Geburt zu erringen sei  . . .

Eine erstaunliche Wahl als Hochzeitsoper für den Erzherzog und nachmaligen Kaiser Franz!

Salieris Kunst bestand darin, zur modernen, gegen alle Gesetze der hehren Opera seria verstoßenden Handlung eine ebenso moderne, unerhörte Musik zu schreiben. Im Gefolge von Glucks Opernreform und parallel zu ähnlichen Tendenzen bei Mozart setzt er auf große Strecken orchesterbegleiteter Rezitative, die oft unmittelbar in - formal meist völlig frei gestaltete - ariose Abschnitte übergehen. Die Mischung aus Ernst und Satire, im französischen Original fast durchwegs spürbar, in der Wiener Fassung ein wenig eingedämmt, aber nach wie vor vorhanden, sicherte dem Stück immensen Erfolg. Bis 1805 stand Axur mehr als 150 Mal auf dem Spielplan des Burgtheaters bzw. des Theaters am Kärntnertor.
In Deutschland gab man eine Neufassung mit Dialogen, in die wieder mehr Elemente aus Beaumarchais französischem Original Eingang fanden. Heinrich Heine und E. T. Hoffmann beziehen sich in diversen Texten auf Salieris Werk.

Postrevolutionäre Retuschen

Beaumarchais versuchte das erfolgreiche Werke über die revolutionären Ereignisse hinaus zu retten und paßte den Text den neuen Zeitumständen an. Spätere Revisionen ließen von der ursprünglichen Version kaum noch die Umrisse erkennen.

Aufnahmen

Die französische Originalfassung haben Les Talens Lyriques unter Christophe Rousset für das Label Aparté aufgenommen, eine spritzige, dramaturgisch brillant austarierte Wiedergabe.

Szenisch kam die Urfassung in Koproduktion mit der Pariser Oper bereits 1988 bei den Festspielen von Schwetzingen in einer Inszenierung von Jean-Louis Martinoty unter der Leitung von Jean-Claude Malgoire heraus. Die Aufführung wurde für DVD mitgeschnitten.


INHALT

Das Werk ist in seiner Originalgestalt eingefaßt in eine allegorische Handlung - die Parallelen zu den Huldigungsfestspielen Marke Lully sind offensichtlich, doch geht es in diesem Fall nicht um eine Verbeugung vor dem Monarchen, sondern ganz im Gegenteil um eine Hinterfragung aller alten Werte.

La nature und Le génie du feu unterhalten sich über die Natur des Menschen und verabreden, ihren Gestalten 40 Jahre Zeit zu geben, um danach zu sehen, wie sie sich entwickelt hätten.

Die unmoralische Haupthandlung beginnt dann damit, daß Atar, den Tarare vor dem Ertrinken gerettet hat, Astasie, die Frau seines Retters, entführen läßt.


Der König kann es nämlich nicht ertragen, seinen General glücklich zu sehen, solang er selbst sich unglücklich fühlt. Nicht genug mit der Entführung, plant Atar Tarare auch noch ermorden zu lassen.

Zwischendrin sorgt ein Komödianten-Duo für bizarre Auflockerung: Tarares Begleiter sind der Eunuch Calpigi und dessen Frau Spinette, zwei versklavte Mitglieder eines italienischen Opernensembles.

Auf dem Höhepunkt des Intrigenspiels stehen Tarare und Astasie Hand in Hand ihrer Hinrichtung entgegen; doch im letzten Moment erscheint das von Calipigi gegen Atar aufgewiegelte Heer.

Da führt Tarare noch einmal großmütig eine Wendung herbei: Er erinnert die Soldaten an ihren Eid gegenüber Atar.
Beaumarchais kühnste Volte gegen die althergebrachte Happy End Struktur, die von der Großmut und Milde des Herrschers singen sollte, ist der bizarre Schluß dieser Oper: Atar tötet sich selbst, weil er nicht einer Intervention seines Untergebenen seine Rettung verdanken will.
Tarare besteigt den Thron - aber in Ketten, um ein Zeichen zu geben.

↑DA CAPO