Christophe Colombe

Darius Milhaud

Berlin, 1930
Eine der gigantomanischen Theatervisionen Max Reinhardts stand am Beginn von Darius Milhauds großer Oper über Christoph Columbus. Ein bombastisches Spektakel sollte es werden, 2000 Mitwirkende, davon mindestens 200 Orchestermusiker - Dutzende Projektoren, die Filmsequenzen und Fotos als bewegte Bühnenbilder auf Leinwände  werfen sollten. Paul Claudel war Reinhardts auserwählter Textdichter - er schaffte es zuletzt, sich aus dem Projekt davonzustehlen, hinterließ aber 1928 Darius Milhaud, seinem Sekretär aus der Zeit als französischer Geschäftsträger in Brasilien, einen Text, der vor allem die christliche Mission der Entdeckung und Eroberung Amerikas herausarbeitete: Nicht um Geld und Gold sollte es gehen, sondern um den Sieg des Kreuzes über das Heidentum.

Milhaud war begeistert über „Die große Vielfalt der Szenen und den enormen rhythmischen Elan, der dieses Drama vorantreibt“. Von Max Reinhardts Gigantomanie blieb die Forderung nach Zuspielung von mehr als vierzig Minuten an Filmsequenzen und hunderten von Dias. Die Lust der Opern-Intendanten, ein solch aufwendiges Spektakel zu produzieren hielt sich daher stets in Grenzen. Obwohl die Uraufführung in Berlin - unter der Leitung von Erich Kleiber - ein eminenter Erfolg war. Dieser Premiere waren über 100 Chorproben vorangegangen - die Anforderungen an die Chorsänger sind enorm, ein weiterer Grund für die zögerliche Akzeptanz des höchst effektvollen Stücks.

Die Großform der „Christophe Colombe“ ist auf den ersten Blick dagegen vergleichsweise simpel. Das Werk ist in viele kleine Szenen aufgeteilt, die durch gesprochene Dialoge und - ganz im Stil der Ära Bert Brechts -  kommentierende Moderationen verbunden werden.

Bemerkenswerterweise haben wenig später auch Werner Egk (1932) und Arthur Honegger die Figur des Columbus in ähnlich strukturierten Rundfunk-Opern in den Fokus gerückt. Doch keiner von beiden Komponisten treibt die Ansprüche an den Chor auch nur annähernd in so heikle Regionen wie Milhaud - der ursprüngliche Plan, das Werk in Paris herauszubringen, scheiterte daran!

Die Effekte die Milhaud, immer ausgehend von einfachen Grundmustern erzielt, sind enorm: Oft verwirren sich die zunächst simplen motivischen Strukturen im Zuge der dramatischen Situation heillos - Schlüsselszenen wie die Meuterei, in deren Tohuwabohu ein jäh hereinbrechender B-Dur-Akkord den Aufschrei: „Land in Sicht!“ begleitet ist so eindrucksvoll wie die harmonisch ausschweifende Schilderung des tosenden Meers, das von den heidnischen Gottheiten zur Vernichtung der christlichen Seefahrer aufgewühlt wird. Vergebens, versteht sich, denn Columbus führt das Zeichen des rechten Glaubens voran.

Da die einzelnen Szenen nicht musikalisch miteinander verbunden sind, konnte der Komponist in späteren Bearbeitungen Umstellungen vornehmen, die neue dramaturgische Überlegungen widerspiegeln. Für die Premiere in Buenos Aires, 1952, fertigte Milhaud eine Fassung seines Werks an, die nicht mit dem Tod des Titelhelden, sondern mit der Entdeckung Amerikas schließt. Claudel hatte eine Rahmenhandlung vorgesehen, um Columbus’ Lebensweg an seinem Totenbett als Vision noch einmal Revue passieren zu lassen.



Im Mai 1956 kam es - spät, aber doch - zur Erstaufführung des Werks (in der Fassung von 1952) in Paris, konzertant durch die Kräfte des französischen Rundfunks unter der Leitung von Manuel Rosenthal. Robert Massard sang den Columbus, Janine Micheau die Königin Isabella. Das Rundfunkband diente 50 Jahre später als Grundlage für die erste CD-Edition. (ina)



↑DA CAPO