Simplicius Simplicissimus
Karl Amadeus Hartmann (1905 - 1963)
Zwei Fassungen seiner aufrüttelnden Veroperung von von Grimmelshausens »Simplicius Simplicissimus« hat Karl Amadeus Hartmann vorgelegt. Beide sind auf Tonträgern greifbar.
Intensivstes Musiktheater gelang dem großen Expressionisten unter den deutschen Komponisten, der die Zeit des Nationalsozialismus in innerer Emigration verbrachte. Grimmelshausens Simplicius inspirierte Hartmann, angeregt von Hermann Scherchen, der auch das Szenarium entwarf, zu einer anklagenden Ballade gegen den Krieg. 1934/35, also prophetisch vollendet - Ende der Fünfzigerjahre noch einmal in Form gebracht.
Die Urfassung ist als Kammerspiel für ein minimales Orchester aus 20 Spielern gesetzt und nennt sich Des Simplicius Simplicissimus' Jugend.
Die Handlung
Einer Ouvertüre, deren wütende, von banalen Marschmotiven angeheizte Attacken der Komponist 1956/57 noch verstärkte, folgen ein gesprochener, rhythmisch skandierter Prolog über die Zustände während des Dreißigjährigen Kriegs -- und drei allegorische Bilder von sich verdichtendem groteskem Charakter.
I.
Der Hirtenknabe Simplicius, eine Figur auf halbem Wege zwischen Hofmannsthals »Jedermann« und Mussorgskys Gottesnarren aus dem »Boris Godunow« bewacht seine Schafe vor dem Wolf. Während er schläft, erblickt er im Traum den Baum des Lebens, auf dem die Menschheit lebt, ein Teil in Sicherheit, ein anderer Teil in unendlichem Leid.
Als er erwacht, muß er miterleben, wie der Landsknecht den Bauernhof zerstört und die Bewohner tötet.
II.
Die Begegnung mit einem Eremiten bedeutet für Simplicius die Konfrontation mit der bewußten Todeserfahrung: Er hilft dem Klausner, sein Grab zu schaufeln.
III.
Anläßlich eines Festes im Palast des Gouverneurs wird Simplicius zum Hofnarren gekürt und »inszeniert« eine Deutung seines Traums.
Mitschnitt aus Stuttgart
Die Urfassung des Werks kam in einer Inszenierung von Christof Nel in Stuttgart heraus, mit der exellenten Claudia Mahnke in der Titelpartie. Frank van Aken als Einsiedler und Michael Ebbecke als rechtschaffen bedrohlichem Landsknecht. Die Inszenierung betont in modernem Dekor die surrealistischen Aspekte der Handlung und zeigt das Finale zur »Vorstellung« des Simplicius als alles zerstörenden Aufstand, der von außen in das »Narrenhaus« hereinbricht.
Die zweite Fassung
Von der späteren, aufwendigeren Fassung der Oper, die 1957 in Mannheim uraufgeführt wurde, gibt es eine ausgezeichnete Gesamtaufnahme bei Wergo mit Helen Donath in der Titelpartie. Die TV-Version der konzertanten Aufführung mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Runfunks unter Heinz Fricke von 1986 kann bei → medici.tv gestreamt werden.
Für diese zweite Version hat Hartmann etliche der in der Urfassung gesprochenen Szenen vertont und größere Abschnitte für das nunmehr symphonische Orchester eingefügt.