Ruslan und Ludmilla

Märchenoper mach Puschkin von Michail Glinka (1842)

»Für die Russen ist es unmöglich, dieses Werk zu akzeptieren. Genauso unmöglich ist es für sie allerdins, es abzulehnen,« befand Richard Taruskin über Glinkas Rusland und Ludmilla. Die Qualitäten dieses Werk und sein Inhalt sorgten für jahrzehntelange Diskussionen in Glinkas Heimat, ehe man es allgemein als den Opern-Klassiker Rußlands anerkannte.

Jenseits der russischen Grenze kennt man bis heute ledilgich die feurige Ouvertüre.

Glinka wälzte schon unmittelbar nach Abschluß der Arbeit an Das Leben für den Zaren Plänte, Puschkins Dichtung zu vertonen. Doch der Kompositionsprozeß zog sich über Jahre hin. Wie später Borodin oder Mussorgsky pflegte auch Glinka Freunden aus dem unvollendeten Werk vorzuspielen. Arien und Szenen aus Ruslan und Ludmilla waren Kennern also lange vor der Uraufführung bekannt.

Ein Zeitzeuge witzelte 1838, Glinka hätte seine Oper schon zur Gänze komponiert, aber das Libretto sei noch nicht geschrieben...

Die private Situation des Komponisten tat ein übriges zur langen Verzögerung: 1839 trennte Glinka sich nach kurzer Ehe von seiner Frau - und es begann ein langer, zermürbender Scheidungsprozeß.

Davor war er als Hofkapellmeister des Zaren viel zu beschäftigt, um sich dem Komponieren widmen zu können. Der Tod Puschkins, mit dem Glinka zuammenarbeiten wollte, bedeutete 1837 einen weiteren Rückschlag. Ohnehin wäre es fraglich gewesen, ob der Dichter bereit gewesen wäre, seine poetisch-leichte, mit viel ironischem Witz durchzogene Märchenerzählung in einen pathetischen Operntext zu verwandeln. Valery Schirkow unterzog sich dieser Aufgabe, zog sich aber 1841, ohne den Text vollendet zu haben, auf seinem Gut in der Ukraine zurück, sodaß Glinka selbst mit einigen Gleichgesinnten ans Werk gehen mußte. So waren an der Abfassung des Librettos insgesamt sechs Autoren beteiligt, und es blieben weniger Originalverse Puschkins übrig, als dem Stück vielleicht gut getan hätten.

Jedenfalls inspirierte die Handlung Glinka dank ihrer magischen Elemente zu für damalige Verhältnisse kühn-fortschrittlichen harmonischen Experimenten, die seinen melodischen, durchwegs von russischer Volksmusik inspirierten Eingebungen den aparten Rahmen schaffen.

Zur Schilderung der Zauberwelt des Cernomor bedient sich Glinka sogar der Ganztonleiter, die musikhistorisch betrachtet erst viel später zur Lingua franca für exotische Stimmungen werden sollte. Auch Elemente finnischer, türkischer, und arabischer Lieder bezieht der Komponist in seine Klangwelt ein, wodruch Ruslan und Ludmilla zu einer der richtungsweisenden Partituren der musikalischen Hochromantik wurde, formal gebändigt durch die souveräne Anverwandlung der Formenwelt der italienischen Oper und sogar des »Durchführungsprinzips« der deutsch-österreichischen Symphonik.

Die Einbindung des Klaviers als Orchesterinstrument - oft in phantasievoller Kombination mit der Harfe - tut ein übriges zur innovativen Kraft dieser Partitur.

Ungewöhnlich im Kontext der internationalen Opern jener Epoche ist auch die Verteilung der Stimm-Fächer: Der jugendliche Held ist ein Baß, der alte Magier Tenor. Abgesehen von Mozarts Don Giovanni treffen in dieser Oper wohl erstmals in der Musikgeschichte drei Bässe in Vokalensembles aufeinander.

Ende 1842 kam Ruslan und Ludmilla im großen Theater von St. Petersburg zur Uraufführung. Der Erfolg war durchwachsen. Viele hatten nach Ein Leben für den Zaren auf Glinkas neues Werk gewartet und waren enttäuscht, nicht eine Wiederauflage dieses Stücks zu erleben, sondern eine geradezu revoutionäre Novität zu erleben. Die Handlung der Oper ließ den im Vorgängerstück so offen zu Tage liegenden Patriotismus vermissen. Die Handlung insgesamt wirkte auf viele veworren, die Musik vielleicht allzu anspruchsvoll.

Zudem ordnete der Zar an, für die folgende Saison eine italienische Operntruppe nach St. Petersburg zu engagieren, sodaß die russische Nationaloper par exzellence zunächst keine Chance hatte, sich im Repertoire zu verankern. Die jüngeren Komponisten bis hin zu Nikolai Rimskij-Korsakow nahmen freilich an Glinkas Partitur Maß. Sie steht am Beginn der eigentlichen Entwicklungsgeschichte der russischen Oper.

Personen der Handlung Svetozar, Großprinz von Kiev (Baß) Lyudmila, dessen Tochter (Sopran) Ruslan, Ritter aus Kiev (Baß) Farlaf, Varangianischer Ritter (Baß) Ratmir, ein Khazar-Prinz (Alt) Gorislava, Ratmirs alte Liebe (Sopran) Finn, ein gütiger Zauberer (Tenor) Naina, eine böse Hexe (Mezzosopran) Bayan, ein Barde (Tenor) Tschernomor, ein böser Gnom (stumme Rolle)
Erster Akt
Ritter Ruslan heiratet Ludmilla, die Tochter des Großfürsten von Kiew. Der sagenhafte Barde Bajan stimmt das Loblied auf das Brautpaar an, in das sich aber dunkle Zukunftsvisionen mischen. Der Khazarenfürst Ratmir und der stolze Ritter Farlaf hören diese Botschaft mit Wohlgefallen. Beide hat Ludmilla bei der Brautwahl abgewiesen. Bayans Prophezeiungen bestätigen sich rasch: Noch während der Hochzeitsfeierlichkeiten, unmittelbar vor der Vermählung, wird die Braut entführt. Ludmillas Vater verspricht demjenigen die Hand seiner Tochter, der sie heil wieder heimführt. Die Ritter begeben sich auf die Suche.

Zweiter Akt
Rusla sucht den weisen Einsiedler Cernomor in seiner Klause auf. Der weiß, daß die Entführung Ludmillas auf das Konto des Kobolds Tschernomor geht, der mit der Hexe Naina im Bunde sei. Naina hat indessen Farlaf geweissagt, ihn im Kampf gegen Ruslan zu unterstützen. Ruslan kämpft gegen den Kopf eines enthaupteten Riesen, der einen alten Kampfplatz bewacht, auf dem sich wundersame Waffen finden lassen. Der Sturm, den der Held entfesselt, bringt den Kopf zum Sprechen: Er gehörte einst dem Bruder des Gnoms Tschernomor, der einmal durch einen Hieb seines Schwertes ums Leben kommen würde.

Akt III

Im Zauberschloß der Naina muß Gorislava, Ratimirs verflossene Liebe, mitansehen, wie wie ihr Geliebter und Ritter Ruslan von den Zaubergesängen der Mädchen Nainas anggelockt werden und in Gefangenschaft geraten. Doch weiß der gütige Zauberer Finn Rat: Er bringt Nainas Schlioß zum Verschwinden. Die Ritter dürfen ihre Suche fortsetzen.
Akt IV

Ludmila muß sich des bösen Kobolds erwehren, der sie mit Tänzen und Musik zu umgarnen versucht. Ein Trompetensignal warnt vor ungebetenen Gästen. Da versetzt Tschernomor das Mädchen in Schlaf. Ruslan kann ihn besiegen, aber Ludmilla nicht erwecken.
Akt V

Gorislava konnte ihren Ratmir wieder umgarnen, der nun bereit ist, an Ruslans Seite zu kämpfen. Da erreicht ihn die Nachricht, Ludmilla sei erneut entführt worden. Wieder erweist sich der Zauberer Finn als Retter: Er überreicht Ratmir einen magischen Ring, der Tschernomors Bann brechen kann. Diesmal ist Farlaf der Entführer. Er hat Ludmilla zu ihrem Vater heimgeführt - und sie damit gewonnen. Es ist aber Ruslan, dem Ratmir den Zauberring überlassen hat: Er kann Ludmilla erwecken - und darf nun endlich Hochzeit mit ihr feiern.

Aufahmen


Die früheste Aufnahme des Werks stammt natürlich aus Moskau: Samuel Samosud führt die Kräfte des Bolschoitheaters mit Valeria Barsova und Mark Reizen in den Titelrollen. Technisch weitaus besser - und fulminant dirigiert - ist die 1952 entstandene Aufnahme unter der Leitung des jungen Kirill Kondrashin mit Vera Firsova und Ivan Petrov, in der sich überdies Georgi Nelepp und Sergej Lemeschew die Tenor-Partien teilen!

Es gibt auch mehrere DVD-Versionen, von denen jene unter der musikalischen Leitung von Vladimir Jurowski vorzuziehen ist, wo neben Albina Shagimuratova und Mikhail Petrenko in den Titelrollen vor allem Alexandrina Pendatchanska als Gorislava und Elena Zaremba als Naina brillieren.


↑DA CAPO