Don Giovanni

Giuseppe Gazzaniga

Opera buffa in einem Akt
Libretto: Giovanni Bertati
Uraufführung: Venedig, 1787

Wer heute Don Giovanni oder auch Don Juan sagt, meint in der Regel Mozart. Das »drammа giocoso« von 1787 hat sich ins Bewußtsein der Kulturwelt eingegraben als die ultimative theatralische Umsetzung eines Mythos. Allenfalls wissen die Kenner, daß es sich dabei um eine Oper handelt, der ein barockes Drama namens El burlador de Sevilla von Tirso de Molina zugrunde leigt, 1637 entstanden und Urbild alles späteren Bühnenerscheinungen des mythischen Frauenhelden. Molière und Goldoni haben sich bei Tirso bedient. Aber auch Lorenzo da Ponte, der Librettist von Mozarts Werk.

Da Ponte wiederum kannte mehrere Veroperung des Sujets, die erst kurz vor der Prager Uraufführung seiner (und Mozarts) Version Premiere hatten: In den Jahren nach 1770 kamen etliche Don Giovanni-Vertonungen heraus. Allein 1787 waren es neben Mozart und Da Ponte drei weitere Dichter und Komponisten, die sich des Themas annahmen. Am erfolgreichsten war die Oper aus der Feder des 1743 in Veгопа geborenen Giuseppe Gazzaniga. Über den Komponisten weiß man nicht allzu viel. Wie Haydn war er Schüler von Nicola Роrога (in Vendig und Neapel), geprägt war er auch vom erfolgreichen Opernmeister Niccoló Piccinni.

Der Komponist

Gazzanigas erste Oper erschien 1768 in Neapel auf der Bühne. In der Folge war Venedig seine Heimat - 18 Stücke komponierte er für die Bühnen der Lagunenstadt, ehe er 1791 zum Domkapellmeister von Crema wurde. Bis zu seinem Tod, 1818, schrieb Gazzaniga daraufhin vor allem geistliche Musik. Opern hatte er über 40 komponiert, unter anderem auch für Dresden. Wien sah im Figaro- Jahr 1786 Gazzanigas I lfinto cieco, für den Lorenzo da Ponte das Libretto geliefert hatte. Bei Gazzaniga war Don Giovanni mit dem Untertitel »II convitato di pietra« ein Einakter, der am 5. Februar 1787, acht Monate vor Mozarts Oer, in Venedig herauskam. Don Giovanni war kein Solitär für Gazzaniga in dieser Saison: 1787 brachte der Vielschreiber noch vier weitere Stücke heraus! Doch keines war so erfolgreich wie der Don Giovanni, der als Einakter - wie etwa Mozarts Schauspieldirektor - ursprünglich nur Teil eines theatralischen Karnevalsspektakels war, bald aber auch in Venedig und anderen Städten allein aufgeführt wurde. Nicht zuletzt 1794 in London, eine Produktion, für die Lorenzo da Ponte das originale Libretto Giovanni Bertatis umgeschrieben und Gazzanigas Partitur durch Einfügung anderer Musik wie ein Pasticcio zum abendfüllenden Werk ausstaffiert hat.

Der Librettist

Das originale Libretto stammt von Giovanni Bertati (1735 - 1815), der einer der fleißigsten und erfolgreichsten Theaterdichter seiner Zeit war. Er lebte und arbeitete bis 1791 vor allem in Venedig, ehe er Nachfolger Da Pontes als Hofdichter in Wien wurde. In die Geschichte eingegangen ist er als Librettist von Domenico Cimarosas Matrimonio segreto, uraufgeführt in Wien 1792. Bertati starb 1815 in Venedig.

Sein Libretto folgt deutlicher als jenes von Da Ponte der Vorlage Tirso de Molinas. Die Figur des Titelhelden steht im Fokus, alle anderen Partien sind nur so weit lebendig gezeichnet, als sie in direkte Beziehung zu Don Giovanni gesetzt werden moßten. Die in Da Pontes und Mozarts Dramaturgie so bedeutende Donna Anna erscheint in Gazzanigas Werk nur zu Beginn der Handlung. Die Darstellerin der Uraufführung wechselte in der Folge das Kostüm und sang auch noch das Bauernmädchen Maturina (bei Mozart: Zerlina), deren Bräutigam Biagio (Masetto) auch noch die Rolle des Komturs zu übernehmen hatte.

Die Handlung

Doch die Handlungsfolge gleicht Mozarts Werk in den Grundzügen vollkommen: Don Giovanni wird beim Versuch, sich nächtens Donna Anna zu nähern, von deren Vater gestellt. Don Giovanni tötet ihn im Duell. Anna und ihr Verlobter Ottavio schwören Rache. Bis zur Erfüllung des Schwurs zieht Anna sich ins Kloster zurück.
Auf der Suche nach neuen Abenteuern begegnet Don Giovanni Elivar, seiner verlassenen Geliebten, deren Illusionen Pasquariello (Leporello) durch Preisgabe von Giovannis Sündenregister zerstört. Inzwischen schwört Don Giovanni Donna Ximena ewige Treue, sucht aber dann mit der Bauern-Braut Maturina ein launiges Intermezzo, nachdem er deren Bräutigam Biagio mit Schlägen vertrieben hat.

Elvira tritt dazwischen An Stelle es psychologischen Quartetts bei Mozart findet das Verwirrspiel bei Gazzaiga im Duett der beiden Frauen einen komödiantischen Höhepunkt, dem die sinistre Szene imo ab der Grabstätte des Komturs folgt. Das Standbild nimmt Don Giovannis freche Einladung zum Abendessen an und erscheint tatsächlich während der flehentlichen Versuche Elviras, Don Giovanni ins Gewissen zu reden. Auf die Höllenfahrt des Titelhelden folgt, wie in Mozarts Scena ultima ein Finale, in dem Pasquariello und der Koch Lantema beschreiben, was vorgefallen ist. Der abschließende Rundgesang entbehrt aber jeglicher moralisierender Note. Da geht eine launige Karnevalsoper zu Ende.

Auf eine tiefer lotende Seelenbespiegelung, wie Da Ponte und Mozart sie in ihrem Don Giovanni so atemberaubend gelungen ist, verzichtet Bertatis Libretto vollständig. So blieb denn auch die Musik Gazzanigas dem traditionellen Duktus der damals modernen Opera buffa verhaftet - allerdings beherrschte der Komponist sein Handwerk perfekt, bleibt seinen erfolgreichen Zeitgenossen, Mozart einmal ausgenommen, nichts schuldig. Die Musikwissenschaft hat mehr als einmal festzustellen versucht, ob Mozart nicht in manchen Details - etwa in der Duellszene des ersten Akts oder in der Friedhofsszene Elemente aus Gazzanigas Stück wiederhallen läßt.

Anders als Mozarts Titelheld, darf Gazzanigas Don Giovanni, er ist ein Tenor, sogar eine veritable Liebesarie singen. Die gönnt Mozart - zumindest in der Wiener Fassung seiner Oper - nur dem Don Ottavio, der wie Donna Anna bei Gazzaniga eine Nebenfigur bleibt.







Hintergründe

Die Wurzeln der beliebten Theater- und Opernversionen des Don Juan-Stoffes liegen neben Tirso de Molinas Dramatisierung auch in den Fastnachtspielen, in denen das lasterhafte Leben und die Höllenfahrt des überheblichen Edelmannes als Volks- und Belehrungstheater populär waren. Im deutschsprachigen Raum spielten die Puppentheater ihre Don Juan-Komödien. Dem entsprangen in späteren Opernversionen Figuren wie Don Juans Diener, der in seinen Grundzügen noch bei Da Ponte und Mozart ein rechter Harlekin oder Hanswurst ist. Die Chance auf ein atemberaubendes Finale mit der Erscheinung des Steinernen Gastes ließen sich die Komödianten des XVII. und XVIII. Jahrhunderts nicht entgehen. Die drastische Mixtur aus Posse und tragischen Untertönen haben die Fantasie von Librettisten und Komponisten besoders gereizt.







↑DA CAPO