Ulisse

Luigi Dallapiccola, 1967

Die Reaktionen auf die Uraufführung von Dallapiccolas einzigem abendfüllenden Bühnenwerk, die Lorin Maazel in Berlin 1968 dirigierte, waren gespalten. Den Kritikern war die Musik zu rückwärtsgewandt, zu weit entfernt vom avantgardistischen Mainstream jener Jahre. Für Dallapiccola aber war Ulisse so etwas wie das Summum Opus, die Bilanz seiner schöpferischen Tätigkeit. Die Werke, aus denen Elemente in dieser Partitur herüberklingen, waren zum Teil Jahrzehnte alt, Kleiner dimensionierte Kompositionen siedeln in Dallapiccolas Werkkatolog rund um die Entstehung der Odysseus-Oper. Selbst der noch futuristische Volo di notte aus den Dreißigerjahren klingt hier nach. Die Musiksprache des Komponisten, der isoliert zwischen den Traditionalisten und den Avantgardisten Italiens stand, nutzt bei rigoroser (symmetriebetonter) Formgebung serielle Verfahren ebenso wie expressionistische Gesten und verfeinerte harmonisch-farbliche Texturen. Eklektisch ist auch der Text, der sich nicht nur auf Homer bezieht, sondern auch Beziehungen zu Antonio Machado und Thomas Mann herstellt.

Ein Traumspiel

Ein Traumspiel die Begegnungen mit dem Seher Tiresias und der Mutter im Hades, mit der zauberin Circe und mit Prinzessin Nausikaa; aber auch die Heimkehr zu Penelope, der er körperlich nah kommt, geistig aber fern bleibt - sein Los ist die Suche nach Transzendenz, nach der Begegnung mit seinem Schöpfer auf den endlosen Weiten des Meers. Das prophezeit bereits Calypso in weit ausladenden Kantilenen im Prolog des Werks.

Szenenfolge: Prolog

Die Nymphe Calypso klagt über die endlosen Fahrten des Odysseus übers Meer.
Poseidon zwingt durch einen jäh entfesselten (orchestralen) Sturm die Landung des Helden auf der Insel der Phaeaken. Prinzessin Nausikaa und ihre Begleiterinnen empfangen Odysseus.

Erster Akt

Nausikaas Vater, König Alcinous, und die Adeligen seines Reichs lauschen den Gesängen des Barden Demodocus von den Helden der Trojanischen Kriege. Als Odysseus in Tränen ausbricht, ist er enttarnt. Chöre aus allen Richtungen fordern ihn auf, seine Abenteuer zu erzählen. Die Bühne wird zum Ort der Selbstreflexion. In den Geschichten vom Circe, die Frau, die ihn wissend gemacht hat, in den Begegnungen mit dem Schatten seiner Mutter im Hades, deren Herz gebrochen ist, weil der Sohn sie verlassen hat, findet er sich selbst und beschließt, nach Ithaka heimzukehren. Nausikaa läßt ihn ziehen.

Zweiter Akt

Odysseus' Gemahlin Penelope ist längst von zahllosen Freiern umlagert, die den zerlumpten Fremden verachten. Doch die Kurtisane Melantha erkennt in den ausdrucksstarken Augen einen übermächtigen Gast: Der besiegt die Freier. Das Zeichen ist gesetzt: Odysseus ist heimgekehrt. Doch es kommt zu keiner innigen Vereinigung mit Penelope mehr. Odysseus weiß sich eins mit dem Meer und den Sternen:

Wie oft, unter wie vielen Himmeln habe ich euch beobachtet und über eure pure, vibrierende Schönheit nachgedacht . . .

Eine analytisch klare Rundfunkproduktion des Werks entstand im Mai 1975 unter der Leitung von Ernest Bour für Radio France kurz nach dem Tod des Komponisten. Claudio Desderi sang den durchschlagskräftigen Odysseus. Der Chor von Radio France brilliert in der heikel auszubalancierenden Unterwelt-Szene.

Ein Mitschnitt der Uraufführung vom September 1968 - in deutscher Sprache - unter Lorin Maazels Leitung exisitert, ist allerdings technisch nicht auf der Höhe der Pariser Rundfunkproduktion. (Stradivarius)

DA CAPO