Der Barbier von Bagdad
Komische Oper
Text und Musik von Peter Cornelius
ERSTER AUFZUG
Ein Zimmer in Nureddins Hause
Rechts und links Seitentüren. Rechts ein Ruhebett, zu dessen Seiten ein Tisch mit Medizinflaschen. Links ein zweiter Tisch nebst Stuhl. Es ist Morgendämmerung und wird während der ersten Szene allmählich Tag. Nureddin ruht auf dem Bett, seine Diener umgeben ihn mit Mienen voll Niedergeschlagenheit als einen Sterbenden.
ERSTER AUFTRITT
Nureddin. Diener Nureddins
DIENER NUREDDINS
Sanfter Schlummer
Wiegt ihn ein,
Lindert milde
Jede Pein.
Leise drum!
Still und stumm!
Weinet nicht!
Weckt ihn nicht!
Bald, ach bald verglimmt sein Lebenslicht.
Weinet nicht!
Weckt ihn nicht!
NUREDDIN
träumend
Margiana!
CHOR DER DIENER
Horch, er spricht!
NUREDDIN
zart gesteigert
Margiana!
CHOR DER DIENER
Weckt ihn nicht!
NUREDDIN
Margiana!
CHOR DER DIENER
Ihn umschwebt ein Traumgesicht.
NUREDDIN
Komm, deine Blumen zu begiessen, o Margiana!
Lass deines Blickes mich geniessen, o Margiana!
Bleib' ewig mir verschlossen Edens Tor,
Will sich dein Herz nur mir erschliessen, o Margiana!
CHOR DER DIENER
O hört ihn reden
Vom Garten Eden!
Ach! bald, ach!
Bald hat er ausgelitten,
Bald hat sein Fuss beschritten
Die Brücke des Gerichts.
In Strömen ew'gen Lichts,
In Paradieses Mitten
Ruht er beglückt.
Granaten pflückt
Und Datteln seine Hand
Im wonnigen Land;
An der Glückseligen Baum,
Am moschusduftenden Saum
Von Edenflüssen
Wiegt ihn mit Küssen
Der Huri Mund
In ewigen Liebestraum.
Dort ahnt er kaum,
Versenkt in Entzücken und Freuen,
Die Tränen seiner Getreuen.
NUREDDIN
Komm', deine Blumen zu begiessen, o Margiana!
Lass deines Blickes mich geniessen, o Margiana!
Margiana! Margiana! Margiana!
CHOR
In Strahlen ew'gen Lichts,
In Paradieses Mitten
Ruht er beglückt.
Granaten pflückt
Und Datteln seine Hand
Im wonnigen Land.
In der Glücksel'gen Baum,
Am moschusduftenden Saum
Von Edenflüssen
Wiegt ihn mit Küssen
Der Huri Mund
In seligen Traum.
Weckt ihn nicht, still!
Weckt ihn nicht!
Bald verglimmt sein Lebenslicht.
Der Chor zieht sich während der letzten Worte leise zurück.
ZWEITER AUFTRITT
Nureddin allein
NUREDDIN
fährt vom Lager empor, erhebt sich und tritt in den Vordergrund
So leb' ich noch?
So hat noch nicht
Der Liebe Feuer mich zerstört?
Margiana, der mein Herz gehört,
Margiana, meiner Seele Licht,
Muss ich vergehn in meiner Pein?
Kein Arzt kann Hilfe mir verleihn,
Umsonst erprobt ward alle Kunst;
Mich rettet einzig Liebesgunst.
Bostana kennet meinen Schmerz;
Sie sprach: „Noch blüht vielleicht dein Glück!
Erforschen will ich bald ihr Herz,
Und Kunde bring' ich dir zurück.“
Erscheinen will sie heute hier.
Tod oder Leben bringt sie mir.
Vor deinem Fenster die Blumen
Versengte der Sonne Strahl,
Du tränktest aus goldener Schale
Die Schmachtenden allzumal.
Doch als du die Blumen tränktest,
Ergriff mich heissglühende Pein,
Für die keinen Tau du mir schenktest
Der tauenden Lippen dein.
Nun prangen die Blumen und blühen,
Doch hoffnungslos muss ich erglühen,
Verwelken stumm und allein.
Und ist denn mein Herz keine Blume,
Und schmachtet es nicht nach dir?
O hege die Blume am Herzen,
Sie sei deine schönste Zier.
Von deinen Blicken getroffen
Im Innersten liebeswund -
Genesung kann es nur hoffen
Durch Labe von deinem Mund.
O lass es nicht welkend verderben,
O lass es nicht sinken und sterben,
O mache mein Herz gesund!
Er geht zum Tisch, setzt sich nieder und stützt den Kopf in die Hand, bis Bostana ihn anredet.
Bostana tritt durch die Seitentür links ein, alt aussehend und in etwas groteskem Kostüm.
DRITTER AUFTRITT
Bostana. Nureddin.
BOSTANA
im Ausdruck bald salbungsvoll, bald geschwätzig
Sei Allahs Frieden über dir, mein Sohn.
Sei Allahs Frieden, Allahs Frieden
Über dir, mein Sohn! -
Und denke an ein gut Geschenk für mich,
Ich komme eben von Margiana her.
NUREDDIN
Kommst du, ein Dämon, von dem Berge Kâf
Und führst du mich zum Garten des Entzückens?
Wie, oder harret mein der Qualen Abgrund,
Wo mir dass Hirn von ew'gem Feuer siedet?
BOSTANA
Beruh'ge dich, dass Wonne dich nicht töte,
Und denke an ein gut Geschenk für mich.
Ich bringe gute Botschaft.
NUREDDIN
Gute Botschaft!
So bist die Taube du, die nach der Sturmflut
Herniederfliegt zur Arche meines Herzens,
In dem des Grames Riesenschlange zischt,
Darin Verzweiflung wie ein Schakal wimmert
Und wilde Eifersucht, ein Tiger, heult
Und, ach, die Nachtigall der Sehnsucht flötet.
BOSTANA
So höre denn: Margiana will dich heilen,
Dich laben, ihren Lieblingsblumen gleich.
NUREDDIN
O sprich! Darf ich sie sehn?
BOSTANA
Heute noch!
Nun merke wohl auf alles, was ich sage,
Dass richtig du zum Stelldichein erscheinst.
BOSTANA UND NUREDDIN
letzterer Bostanas Worte wiederholend
Wenn zum Gebet
Vom Minaret
Um Mittag ladet der Muezzin Rufen,
Der Kadi dann,
Ein frommer Mann,
Herniedersteiget seines Hauses Stufen,
Dass zur Moschee
Er eilig geh',
Erfüllend streng die Lehre des Propheten,
Dann sei bereit,
Ich bin bereit,
Das ist die Zeit,
Margianens Zimmer sicher zu betreten.
Harre auf mich,
Ich harr' auf dich,
Ich leite dich,
Du leitest mich,
An ihren Blicken darfst du dann dich / darf ich dann mich sonnen
Von aller Pein
Dich / Mich zu befrein,
Wird süsse Liebe dir gewähren / spenden hohe Wonnen!
NUREDDIN
O fort! Zu ihren Füssen mich zu stürzen.
Bostana, komm, es muss schon Mittag sein.
BOSTANA
Wo denkst du hin, es ist noch früh am Tag,
Und du kannst doch nicht so vor ihr erscheinen,
Die schwere Krankheit hat dich ganz entstellt,
Du hast noch Zeit, ein stärkend Bad zu nehmen.
NUREDDIN
Nein! Versäumen könnt' ich sonst die Stunde ...
Weisst du vielleicht, wo ein Barbier zu finden?
BOSTANA
O ja, ich habe einen alten Freund,
Ein Heros jeder Wissenschaft und Kunst
Und im Barbieren auch ein Virtuos,
Den Abul Hassan Ali Ebn Bekar.
NUREDDIN
Wie? Abul Hassan Ali Ebn Bekar? ...
So sende eilig ihn hierher zu mir
Und harre pünktlich um die rechte Stunde.
BOSTANA
So hast du alles richtig auch verstanden?
NUREDDIN
O, jedes Wort ist mir ins Herz geprägt!
NUREDDIN UND BOSTANA
die jetzt wiederholt
Wenn zum Gebet
Vom Minaret
Um Mittag ladet der Muezzin Rufen,
Der Kadi dann,
Ein frommer Mann,
Herniedersteiget seines Hauses Stufen,
Dass zur Moschee
Er eilig geh',
Erfüllend streng die Lehre des Propheten.
Ich bin bereit,
Du bist bereit,
Das ist die Zeit,
Margianens Zimmer sicher zu betreten.
Ich harr' auf dich,
Harre auf mich,
Ich leite dich.
Du leitest mich.
BOSTANA
Tönet Muezzinruf, halte dich nah,
Denn die Stunde der Wonn' ist da.
NUREDDIN
Tönet Muezzinruf, bin ich schon da,
Wenn die Stunde der Wonne nah!
Begleitet Bostana bis zur Tür und verabschiedet sie; lebhaftes Gebärdenspiel von beiden Seiten.
BOSTANA
steckt den Kopf nochmals zur Tür herein
Und denk' auch an ein gut Geschenk für mich!
NUREDDIN
macht mit enthusiastisch abfertigender Bewegung der Tür hinter ihr wieder zu, reisst sie aber sogleich wieder auf und ruft ihr nach.
Vergiss den Barbier nicht!
VIERTER AUFTRITT
Nureddin allein
NUREDDIN
in leidenschaftlicher Bewegung mit entzückten Gebärden auf und ab schreitend
Ach, das Leid hab' ich getragen,
Wie ertrag' ich nun sein Glück?
Liebe, nimm dein Wort zurück,
Sieh mich beben, sieh mich zagen!
Lass mir all die sel'ge Trauer,
All den tödlich süssen Schmerz:
Der Erfüllung Wonneschauer
Überwältigt mir das Herz!
Doch dies ist ja nur ein Träumen,
Schon der Welt bin ich entflohn,
Pflücke ird'schen Leides Lohn
Dort in Paradieses Räumen.
Tragen muss ich Himmelswonnen
Wie der Erde Leid und Schmerz:
Leuchtet hell ihr Glückessonnen,
Überwältigt mir das Herz!
Er bleibt zu Ende des Gesanges in verzückter Stellung im Vordergrunde stehen
Abul tritt ein; in orientalischer Barbiertracht, ein buntes Damasttuch hängt ihm vom Gürtel hernieder, auf der ändern Seite ein metallnes Becken und ein kleiner Handspiegel, sowie ein Astrolabium. Er trägt einen kleinen Kasten mit Utensilien unter dem Arm. Aussehen: steinalt, sehr bleich, fast gelb, langer, weisser Bart.
FÜNFTER AUFTRITT
Nureddin. Abul Hassan Ali Ebn Bekar
ABUL
verbeugt sich
NUREDDIN
kehrt ihm noch den Rücken
ABUL
verbeugt sich wieder und räuspert sich laut
NUREDDIN
bemerkt ihn immer noch nicht
ABUL
nähert sich Nureddin und klopft ihn auf die Schulter; als dieser sich umwendet und ihn bemerkt, macht Abul nochmals eine tiefe Verbeugung
NUREDDIN
erwidert mit Kopfnicken seinen Gruss und gibt ihm einen Wink, sein Werk zu beginnen.
ABUL
Mein Sohn, sei Allahs Frieden hier
Auf Erden stets beschieden dir.
Heil dir, du Krankgewesener,
Du glücklich Neugenesener,
Du Übelüberwindender,
Dich wieder Wohlbefindender,
Dem Tode froh Entschlüpfender,
Durchs Leben rüstig Hüpfender,
Du jüngst noch Heiltrank Schlürfender,
Nun meiner Kunst Bedürfender,
Schwer unter Haarlast Ächzender,
Nach meinem Messer Lechzender!
setzt sich nieder
Ich komm' in aller Eiligkeit
Und wünsche dir Gedeihlichkeit,
Gesundheit, Glück und Überfluss
Und langer Jahre Hochgenuss,
Dir blühe stets -
NUREDDIN
Ich danke dir! Nur sei recht eilig!
Mich ruft ein dringendes Geschäft. Mach' schnell!
ABUL
Ich habe dir dein Horoskop gestellt;
Vernimm durch mich den Spruch der Sternenwelt:
Du hast gewählt die beste Zeit auf Erden,
Die man nur wählen kann, rasiert zu werden.
Er zeigt Nureddin das Horoskop. Nureddin macht eine abwehrende Handbewegung.
Dies Spiel wiederholt sich noch zweimal. Abul verfolgt Nureddin damit. Nureddin wird ungeduldig und weist ihn gebieterisch ab.
ABUL
zuckt die Achseln
Mars und Merkur
Schauen auf dich,
Wag' es drum nur,
Baue auf mich;
Doch droht Gefahr
Von goldner Schar!
Sei auf der Hut
Vor Sonnenglut!
Wenn Venus lacht,
Nimm dich in acht!
Geh' nicht hinaus!
Bleib' fein zu Haus!
NUREDDIN
Was kümmern die Sterne dich nur?
Mach schnell!
Danach frage ich nicht,
Beginne sogleich deine Schur, Gesell!
Eilig tu' deine Pflicht.
Fasle nicht weiter von der Sterne Schar,
Was du da schwatzest, ist ja doch nicht wahr.
Lasse das! Dämme deiner Worte hohe Flut,
Zu vieles Reden ist nicht gut.
Nicht so lang bedacht,
Schnell voran gemacht,
Eilig packe aus,
Sonst werf' ich dich zur Tür hinaus!
Sogleich ans Werk, sonst geh hinaus!
ABUL
Im Hause alles magst du heute wagen,
Doch bleib' zu Haus, sonst geht dir's an den Kragen.
NUREDDIN
Nicht will ich Rat von dir und Prophezeiung
Dein Werk vollende schnell und weiter nichts.
Drum kein Geschwätz - sonst ruf' ich einen andern.
für sich
Margiana, o Margiana, du mein Alles!
ABUL
O wüsstest du, Verehrter,
Was ich für ein Gelehrter,
Du wärst erstaunt darob
Und sprächest nicht so grob.
So höre denn, du Tröpfchen,
Du ungeschornes Köpfchen,
Was ich für ein Barbier,
Und freue dich mit mir.
Bin Akademiker
Doktor und Chemiker,
Bin Mathematiker
Und Arithmetiker,
Bin auch Grammatiker,
Sowie Ästhetiker,
Ferner Rhetoriker,
Grosser Historiker,
Astrolog, Philolog,
Physiker, Geolog,
Geograph, Korograph,
Topograph, Kosmograph,
Linguist und Jurist
Und Tourist und Purist.
Maler und Plastiker,
Fechter, Gymnastiker.
NUREDDIN
Margiana, o Margiana, du mein Alles!
ABUL
Tänzer und Mimiker,
Dichter und Musiker,
Grosser Dramatiker,
Epigrammatiker,
Scharfer Satiriker,
Epiker, Lyriker,
Dabei ein Sokrates
Und Aristoteles.
Bin Dialektiker,
Sophist, Eklektiker,
Zyniker, Ethiker,
Peripathetiker.
Bin ein athletisches,
Tief theoretisches,
Musterhaft praktisches,
Autodidaktisches
Gesamtgenie,
Ja, ein Gesamtgenie!
NUREDDIN
mit Humor
Nun sag' einmal, du unverschämter Schwätzer,
Wann endest du? Und wann beginnest du?
ABUL
O wie du mich verkennest,
Dass du mich Schwätzer nennest!
Ja, meine Brüder selig,
Die schwatzten unausstehlich.
Unausstehlich!
Bakbak, der Einäugige,
Bakbarah, der Dickbäuchige,
Alkuz, der Vielbräuchige,
Alnaschar, der Weinschläuchige,
Bukbuk, der Spatzenscheuchige,
Schakkabak, der Hustenkeuchige;
Doch ich, der jüngste der Familie,
Bin still und unschuldvoll wie eine Lilie.
NUREDDIN
geht ausser sich vor Ungeduld erst einige Schritte durch das Zimmer,
dann fasst er einen Entschluss, geht zur Tür, reisst sie auf und ruft seinen Dienern.
He! Ali, Sadi, Abbas, Achmet,
Zofar, Omar, Dschafar, Jezid,
Salem, Hussein, Mustein, Kajem,
Riza, Jusuff, Motawackel!
Werft ihn hinaus!
Die Diener treten schon auf den ersten Ruf einzeln nacheinander ein, sind also bei den Worten „Werft ihn hinaus“ schon alle auf der Szene. Es ist wünschenswert, dass der zuletzt erscheinende Motawackel eine besonders auffällige Figur sei. Entweder sehr kolossal und dick, einen guten halben Kopf höher als die übrigen, oder, im Fall eine solche Persönlichkeit fehlt, ein sehr kleiner Knabe, der als Zwerg ausstaffiert wird, eine Art Ausläufer, Lakai.
SECHSTER AUFTRITT
Nureddin. Abul. Nureddins Diener
CHOR DER DIENER
Hinaus! Hinaus! Hinaus!
Aus Hof und Haus!
Du Schelm, du Wicht,
Du Galgengesicht!
Du Narr, du Schwätzer,
Du Messerwetzer,
Du Beckenträger,
Du Haarabsäger!
Hinaus! Hinaus! Hinaus!
Aus Hof und Haus.
Du Hungerleider!
Du Pflasterschneider!
Du Pulverreiber!
Du Giftverschreiber!
Hinaus! Hinaus! Hinaus!
Aus Hof und Haus!
Du Haarseilwinder,
Du Leuteschinder,
Du Gurgelschwenker,
Du Armverrenker!
Hinaus! Hinaus!
Du Salbenwischer,
Du Pillenmischer,
Du Wundenstecher,
Du Beinzerbrecher!
Hinaus! Hinaus! Hinaus!
Du Pulsbefasser,
Du Aderlasser,
Lanzettenritter
Und Leichenbitter!
Hinaus! Hinaus! Hinaus!
Du Zähneauszwacker,
Du Placker, du Racker,
Du Sternbegucker,
Du Schlucker, du Mucker!
Hinaus! Hinaus!
Aus Hof und Haus!
Hinaus! Hinaus!
Während des Nachspiels drängen die Diener den Barbier in den Hintergrund bis an die Tür, dort macht er sich aber los, eilt in den Vordergrund, zieht ein Barbiermesser hervor und schwingt es drohend.
ABUL
Wehe! Wehe! Wehe!
Wie bin ich empört,
Zertreten, zerstört,
Beschimpft unerhört!
CHOR DER DIENER
Hast du nicht gehört?!
ABUL
Verwünscht! Verrucht!
Verdammt! Verflucht!
Hab' ich dich gesucht?
CHOR DER DIENER
Ergreife die Flucht!
ABUL
Du wolltest mich schier,
Du sandtest nach mir,
So bin ich nun hier!
CHOR DER DIENER
Was willst du noch hier?
ABUL
Du aber vernimm
Des Gütigen Stimm'.
Nicht reize den Grimm
Des Abul Hassan Ali Ebn Bekar!
CHOR DER DIENER
Nun geht es dir schlimm!
ABUL
Auf Muselmanns Wort.
Nicht wehren den Ort
Die Elenden dort!
CHOR DER DIENER
Nun packe dich fort!
ABUL
Und zittert die Welt
Und wankt und fällt
Und bricht und zerschellt -
CHOR DER DIENER
Nun räume das Feld!
ABUL
Du hast keine Wahl,
Es glättet mein Stahl
Den Kopf dir kahl!
CHOR DER DIENER
Hinaus aus dem Saal!
ABUL
Drum Ali, Sadi, Abbas, Achmet,
Zofar, Omar, Dschafar, Jezid,
Salem, Hussein, Mustein, Kajem,
Riza, Jusuff, Motawackel!
Packt euch hinaus!
Nureddin gibt den Dienern einen Wink, sich zu entfernen Sobald Abul sieht, dass er gewonnenes Spiel hat, behandelt er die Diener als Sieger und trägt mehreres zu ihrer Hinausbeförderung bei. Besonders lässt er Motawackel seinen Zorn fühlen.
SIEBENTER AUFTRITT
Nureddin. Abul
NUREDDIN
beiseite
Ich seh', durch Strenge werd' ich ihn nicht los,
Versuch' ich denn, durch Schmeicheln ihn zu kirren.
zu Abul
Erhabner Freund, du Krone der Barbiere,
Du Bruder Bakbaks, Bukbuks, Bakbarahs
Und Alkuz', Alnaschars und Schakkabaks,
Du Alleswisser und du Alleskönner,
Mich ruft ein dringendes Geschäft von hinnen;
Du würdest ganz unendlich mich verbinden,
Wenn du nun endlich so geneigt sein wolltest -
ABUL.
O wie die Rede süss vom Mund dir träuft!
Nun sitze nieder; sanft wie Zephirhauch
Soll meine Klinge übers Haupt dir streifen.
Er wendet sich schon während der letzten Worte zum Tisch, breitet seine Utensilien aus, nimmt sein Becken vom Gürtel und schlägt Schaum
NUREDDIN
setzt sich während der folgenden Worte auf einen Stuhl in die Mitte der Bühne
Heil mir, so wird er endlich nun beginnen;
Das wird ein Stelldichein mit Abenteuern!
Margiana, o Margiana, du mein Alles!
ABUL
nimmt das Damasttuch von seinem Gürtel, hängt es Nureddin um und singt dabei halblaut in den Bart brummend
Margiana, o Margiana, du mein Alles?
Haha! Ich merk', er ist verliebt. Nun wart'!
Noch eh' du glatt geschoren, weiss ich alles.
Lass dir zu Füssen wonnesam mich liegen, o Margiana!“
NUREDDIN
emporspringend
Margiana!?
ABUL
Was willst du denn? Ich sing' ein Liebeslied,
Das ich dereinst in meinen jungen Jahren
Gedichtet und auch in Musik gesetzt.
NUREDDIN
setzt sich wieder
So singe nur, doch mache, dass du endest!
ABUL
Nureddins Kopf einseifend
Lass dir zu Füssen wonnesam mich liegen, O Margiana!“
NUREDDIN
jedesmal wiederholend
O Margiana!
ABUL
im Rasieren
„An deine Hand die Lippe trunken schmiegen,
O Margiana!
Auf deinem Munde lachet holde Fülle süsser Labe,
Lass nur den Hauch mich nippen still verschwiegen,
O Margiana!
Wonnen der Liebe gleichen bunten flücht'gen Sommerfaltern,
Lasse sie kosend um die Stirn uns fliegen,
O Margiana!
Die Welt versinkt, es leuchten helle goldnen Äthers Wogen,
Wir sind empor zum Eden schon gestiegen,
O Margiana! O Margiana!“
NUREDDIN
einstimmend
O Margiana!
Wonnen der Liebe - o Margiana!
Die Welt versinkt - o Margiana!
Abul vertieft sich in die Kadenz des Liedes; er hat bis darin Nureddins Kopf halb rasiert, während der Kadenz aber vergisst er das Geschäft vollständig. Er tritt mit Messer und Becken in den Vordergrund und vertieft sich ganz in die Erfindung der Rouladen, freut sich mit sichtbarem Wohlgefallen seiner Stimme. Zuletzt als Nureddin ihn beim Arm packt, ist er ganz wie aus den Wolken gefallen, schrickt sichtbar zusammen.
NUREDDIN
begleitet die Kadenz mit den Gebärden der bittersten Verzweiflung; ihn unterbrechend, in der höchsten fieberhaften Aufregung
Mein teurer Abul! Deiner Stimme Klang,
Voll bebenden Gedenkens einst'ger Zeit,
Verrät mir, dass auch du einmal geliebt!
So höre denn und lass dein Herz bewegen.
Ich liebe! Und Margiana heisst auch sie!
Zum Stelldichein liess mich Margiana laden,
Wenn Mittag ist und die Muezzin rufen.
Die Stunde naht, und ich versäume sie.
Drum, wenn ein Funke menschlichen Gefühls,
Wenn je ein Hauch von Liebe dich durchdrungen,
Auf meinen Knieen hier beschwör' ich dich: Rasiere mich!!
Er sagt diese Worte in flehender ergebenster Stellung, als mache er Anstalten, wirklich niederzuknien.
Bei den Worten „Rasiere mich“ verliert er die Besinnung und fällt in Abuls Arme.
ABUL
feierlich, gerührt, väterlich zärtlich
Du liebst?! Du liebst!? O fühl' an diesem Herzen,
Dem neunzigjähr'gen, ob auch ich geliebt!?
Bei diesen Worten zieht Abul Nureddin ans Herz. Kurze Pause einer enthusiastischen Umarmung
NUREDDIN UND ABUL
mit jubelnder Begeisterung
O Liebe! Liebe! Seligstes Gefühl!
Lass dir zu Füssen wonnesam mich liegen,
O Margiana!
An deine Hand die Lippe trunken schmiegen,
O Margiana!
Von deinem Munde lachet holde Fülle süsser Labe,
Lass nur den Hauch mich nippen still verschwiegen,
O Margiana!
Wonnen der Liebe gleichen bunten flücht'gen Sommerfaltern,
Lasse sie kosend um die Stirn uns fliegen,
O Margiana!
Die Welt versinkt, es leuchten helle goldnen Äthers Wogen,
Wir sind empor zum Eden schon gestiegen,
O Margiana!“
Während des Nachspiels eilt Nureddin wieder zum Stuhl
ABUL
während er eifrig rasiert
Und sprich, wo wohnet sie? Wer ist ihr Vater?
NUREDDIN
Der Kadi Baba Mustapha.
ABUL
Nicht möglich!
Der Schurk'! Ich hass' ihn tödlich!
NUREDDIN
Und warum?
ABUL
Mög' Allah ihn verderben!
NUREDDIN
Und weshalb?
ABUL
Die Pest auf den Barbaren!
NUREDDIN
Sprich, weswegen?
ABUL
Ei denk' dir nur - der Kerl rasiert sich selber!
NUREDDIN
Ha ha ha ha!
ABUL
O lache nicht! Nimm dich in acht vor ihm.
NUREDDIN
Was kümmert mich der Vater denn? Er geht
In die Moschee - ich zu Margiana.
ABUL
Herrlich.
Doch denke an die drohende Gefahr!
Ich werde dich geleiten, dich beschützen.
NUREDDIN
Mein teurer Abul, nein, ich geh' allein!
ABUL
O Nureddin, misstraue deinem Stern.
NUREDDIN
Mein Stern ist Liebe, sie wird mich beschützen.
ABUL
ist fertig; er verbeugt sich, nimmt den Spiegel von seinem Gürtel und hält ihn Nureddin vor
Nun bist du fertig. Schone dieses Haupts,
Das neu verherrlicht ist durch meine Kunst.
NUREDDIN
Nimm meinen Dank. Ich gehe, mich zu kleiden,
Du aber geh' zu deinen andern Kunden.
Wenn ihrer viele auf dich warten,
Wird auch der Tage längster, fürcht' ich, dir zu kurz.
Er eilt in das Nebengemach
ACHTER AUFTRITT
Abul allein
ABUL
So schwärmet Jugend, achtet nicht Gefahr,
Ja nicht den Tod, wenn nur die Liebe winkt.
Ach meine Brüder! Eurer denk' ich weinend,
Auch euch hat Liebe in den Tod geführt.
Was hat euch, Brüder, in den Tod getrieben?
Lieben!
Was ist der Grund, dass keiner mir geblieben?
Lieben!
Dass Bakbaks Busen musst' in Staub zerstieben?
Lieben!
Dass Bakbarah erlag so vielen Hieben?
Lieben!
Dass Alnaschar sich Rattengift verschrieben?
Lieben!
Dass Alkuz ward gehängt mit andern Dieben?
Lieben!
Dass Schakkabak der Husten aufgerieben?
Lieben!
Was half dich, Bukbuk, in die Grube schieben?
Lieben!
Was quält auch mich, den jüngsten von den Sieben?
Lieben! - O!
Nureddin tritt in prächtigem Anzuge auf, geht mit raschen Schritten quer über die Szene in den Vordergrund, dann erst wendet er sich nach rechts und erblickt Abul.
NEUNTER AUFTRITT
Nureddin. Abul
NUREDDIN
So hat der Satan dich noch immer hier?
ABUL
Ich bin dein Engel, Freund, ich folge dir!
NUREDDIN
Wirst du nun gehn? Soll ich zum Ärgsten schreiten?
ABUL
Wirst du nun gehn? Ich will dich treu begleiten!
NUREDDIN
Ich rate dir, nicht hemme meinen Schritt!
ABUL
Ich rate dir, o Jüngling, nimm mich mit.
NUREDDIN
Der Alte ist toll,
Ich rase, ich wüte!
Er weicht keinen Zoll,
Wie sehr ich mich mühte.
Voll liebender Glut
Versprach ich mir Wonnen,
Die teuflische Brut
Nun hält mich umsponnen!
Wie wend' ich die Not?
Wie halt' ich ihn ferne?
O, lag' er doch tot
In tiefer Zisterne!
Nicht weiss ich fürwahr
Vor Wut mich zu fassen:
O Narr, der ich war,
Mich scheren zu lassen!
ABUL
Ich bin ja so voll
Von Liebe und Güte,
Ich hege nicht Groll
In meinem Gemüte.
Ich bin dir so gut,
So freundlich gesonnen,
Da hast du mit Wut
Und Ärger begonnen.
Dich haben bedroht
Die tückischen Sterne;
Mein Freundesgebot,
Erfüll es doch gerne!
Doch lohnst du sogar
Mein Lieben mit Hassen,
Ich darf in Gefahr
Dich nimmer verlassen!
NUREDDIN
Doch halt! Mich zu befrein,
ällt mir ein Mittel ein:
Diener, herbei, herein!
Er hat die letzten Worte zur Mitteltür hinausgerufen
DIE DIENER
erscheinen, Motawackel beschliesst den Zug
ABUL
Aha, nun lenkst du ein,
Du willst vernünftig sein?
Was aber soll das Schrein?
Was willst du denn?
ZEHNTER AUFTRITT
Nureddin. Abul. Nureddins Diener
NUREDDIN
zu den Dienern, auf Abul deutend
O sehet den Armen,
Wie bleich zum Erbarmen!
Sein Leben vergehet,
Sein Atem verwehet,
Das Fieber ihn schüttelt
Und ziehet und rüttelt;
O sehet ihn wanken
Und beben und schwanken.
O eilt, ihn zu retten,
Ihn wohlig zu betten,
Die Diener umringen den Barbier, der während des Folgenden vergebliche Anstrengungen macht, sich von ihnen loszumachen
Ihn nieder zu strecken,
Mit Kissen zu decken.
Ihn müssen Arzneien
Vom Übel befreien.
O gebt von den Flaschen
Dem Armen zu naschen,
Mit Tränken und Pillen
Das Übel zu stillen,
Mit Salben und Säften
Zu helfen nach Kräften.
Und mag er nicht nehmen,
Er muss sich bequemen,
Man kann zum Verschlingen
Mit Schlägen ihn zwingen.
Man rufe Doktoren,
Noch eh' er verloren,
Herbei mit dem Bader,
Er lass ihm zur Ader;
Ertränkt den Patienten
In Medikamenten!
Er eilt ab, Abul reisst sich los, will ihm nach
CHOR DER DIENER
Abul zurückhaltend und umringend
So lasset uns eilen,
Den Kranken zu heilen,
Die starrenden Glieder,
O strecket sie nieder!
Abul will entfliehen, eine entgegenstehende Gruppe fängt ihn auf
CHOR DER DIENER
Wir brauen die besten
Arzneien aus Resten
Und wollen dazwischen
Die Pillen dir mischen.
Nimm ein ohne Schrecken,
Es möge dir schmecken;
Nicht mucken und zucken!
Nur ducken und schlucken!
ABUL
sucht aufs neue zu entfliehen, wird aufgehalten
CHOR DER DIENER
Wir wehen dir Kühle,
Zu lindern die Schwüle;
Doch Frost wir vertreiben
Durch heftiges Reiben.
Abul sucht wieder nach einer andern Seite zu entrinnen, wird aufgehalten
CHOR DER DIENER
Lasst spanische Fliegen
Am Halse ihm liegen
Und Pflaster ihm prangen
Auf Stirne und Wangen.
Neuer Fluchtversuch, Abul wird festgehalten und in den Vordergrund gezogen
CHOR DER DIENER
Bringt Wasser in Menge,
Dass man ihn besprenge,
Und Opium Pfunde,
Damit er gesunde.
Dein Bart ist im Wege,
Wir holen die Säge.
Motawackel eilt ab
Hier deine Lanzetten,
Sie müssen dich retten.
Wir lassen, o Bader,
Dir selber zu Ader!
Eine Gruppe von Dienern hat Abul zum Ruhebett hingezogen. Er wird ausgestreckt und so in Kissen gehüllt, dass man nur noch Mütze und Bart sieht. Einige Diener halten Abul fest, andere bewaffnen sich mit Lanzetten und Rasiermessern; einer bürstet ihm die Füsse mit einer grossen Bürste; einer weht Kühle mit einem grossen Tuche; einer schüttet den Rest der Medizinflaschen in ein grosses Glas und macht Miene, ihm einen Löffel voll einzuzwängen. Bei den Worten „Zofar, Dschafar“ bekommt er ein grosses schwarzes Pflaster auf Stirn und Nase gesetzt, und bei dem Rufe „Motawackel“ ist dieser schon mit einer Handsäge wiedergekehrt, fasst den Bart beim Ende an und will ihn in der Nähe des Kinnes durchsägen.
ABUL
spricht dumpf stöhnend aus der dichten Hülle von Kissen und Decken hervor
Ali, Sadi, habt Erbarmen!
Abbas, Achmet, lasst mich Armen!
Mustein! Hussein!
Muss Verdruss sein?
Zofar, Dschafar,
Motawackel,
Ihr tötet mich!
CHOR DER DIENER
Abul Hassan Ali Ebn Bekar,
Wir retten dich!
Während sich alle an ihre verschiedenen Funktionen begeben, fällt der Vorhang.
ZWEITER AUFZUG
Ein reiches, geräumiges Frauengemach im Hause des Kadi Baba Mustapha
Im Hintergrunde eine grosse Mitteltür. Rechts eine Tapetentür, links eine mit Gardinen verhängte Nische. Rechts Ottomane und Kniebank neben einem mit prächtigen Blumen verzierten Tisch. Links in der ersten Kulisse ein Fenster. Dem Fenster schräg gegenüber, in der zweiten Kulisse rechts, eine Seitentür.
ERSTER AUFTRITT
Margiana. Dann Bostana. Dann der Kadi. Dann vier Diener. Zuletzt drei Muezzin hinter der Szene.
MARGIANA
aus der Tür rechts auftretend
Er kommt! Er kommt! O Wonne meiner Brust!
Wie werd' ich jubeln, ihn zu sehen!
Bezähm', o Herz, das Wallen deiner Lust,
O lass mich vor Entzücken nicht vergehen!
Den nie im Leben ich geschaut,
Geahnt allein in holden Träumen:
Gleich ist er hier in diesen Räumen,
So schön, so hold, so süss und traut.
Er kommt! Er kommt! O Wonnelaut!
BOSTANA
durch die Mitteltür eintretend, zu Margiana
Er kommt! Er kommt! O wonnigliche Lust!
Wie wird er staunen, dich zu sehen;
Wie wird entzückt das Herz in seiner Brust
Vor eitel Glück und Wonne schier vergehen,
Der, seit er einmal dich geschaut,
Nur dich gesehn in wachen Träumen:
Gleich ist er hier in diesen Räumen
Und nennt dich seine holde Braut.
Er kommt! Er kommt! O Wonnelaut!
KADI
durch die Mitteltür hereineilend, einen Brief und einen Schlüssel in der Hand
Er kommt! Er kommt! O wonnigliche Lust!
Wie wirst du staunen, ihn zu sehen!
Wie wird entzückt das Herz in deiner Brust
Vor lauter Glück und Wonne schier vergehen!
Ein Schatz, wie du ihn nie geschaut,
Ja kaum geahnt in allen Träumen:
Gleich ist er hier in diesen Räumen,
Freund Selim schenkt ihn seiner Braut.
Er kommt! Er kommt! O Wonnelaut!
Vier Diener des Kadi tragen eine grosse, stattliche Kiste herein, setzen sie auf die Seite des Fensters dem Blumentisch gegenüber, nieder und entfernen sich wieder.
KADI
Ja, frohe Kunde bring' ich, meine Tochter!
Mein alter Jugendfreund und Spielgenoss,
Der würd'ge Selim, fordert dich zum Weib,
Kommt von Damaskus bald, um dich zu holen.
Sieh, diese Kiste, sie ist voll von Gaben,
Die er zur Morgengabe dir gesandt.
MARGIANA
zum Kadi
Dein Wille, Herr und Vater, ist der meine;
Gehorsam danket deine Tochter dir.
zu Bostana
So hast du meinen Willen ihm verkündet,
Dass nach der Liebe Leid ihm Wonne winkt?
BOSTANA
Ich sagt' ihm alles, er vergeht vor Liebe
Und stirbt vor Sehnsucht, bis die Stunde naht.
KADI
hat indessen die Kiste aufgeschlossen und mehrere Stoffe herausgenommen und entfaltet, die er dann über den Rand der Kiste herniederhängen lässt
Sieh, diese Stoffe - Seide, Sammet, Atlas -
Den Purpurschal mit Goldbrokat verbrämt!
MARGIANA
zum Kadi
Welch eine Pracht, mein Vater, ich erstaune!
zu Bostana
Und wird die rechte Zeit er nicht versäumen?
BOSTANA
Wenn von den Türmen die Muezzin rufen
Und wenn der Kadi ging, lass' ich ihn ein.
KADI
Sieh diese reichen Kaftans und Dualmas!
Nicht Gleiches tragen des Kalifen Fraun.
MARGIANA
zum Kadi
Wie wird mich die Agraffe herrlich kleiden.
zu Bostana
Sag' an, er ist wohl bleich von Liebessehnen?
BOSTANA
Ja, er ist bleich, doch hört er deines Namens Klang,
Wird wie von Purpur die Wang' ihm rot.
KADI
Die Ringe, sieh, für Finger, Ohr und Arme!
Sind alles Diamanten und Smaragden.
MARGIANA
zum Kadi
Und die Rubinen! ach! rot wie die Liebe!
für sich
Bald ist er hier und heilen soll ihn Liebe!
BOSTANA
Dem alten Selim lasse du die Schätze,
Ein junger Liebster ist der beste Schatz.
MARGIANA
für sich
Für alle Leiden spendet
Die süsse Lieb' Ersatz.
Komm, dass dein Weh sie endet,
Mein holder Schatz.
BOSTANA
zu Margiana
Schon lauschet er und wendet
Nicht einen Fluss vom Platz,
Bis du mich hingesendet;
Der liebe Schatz!
KADI
Sieh, welche Strahlen spendet
Der Diamantbesatz!
Wie das die Augen blendet!
O welch ein Schatz!
MUEZZIN
hinter der Szene von verschiedenen Türmen. Der erste (Bass) in der Nähe der Rückwand, also wie einer dem Hause nahegelegenen Moschee; der zweite (Tenor) entfernter; der dritte (Tenor) in grosser Ferne, so weit wie möglich im Hintergrund
Allah ist gross, und Mahomet sein Prophet.
Versammelt euch, ihr Gläub'gen, zum Gebet.
DER KADI, MARGIANA UND BOSTANA
geben das ausfüllende Spiel, das sie noch während des Muezzinrufs eingehalten, auf und nehmen eine andächtige Stellung an
Allah ist gross, und Mahomet sein Prophet.
Die Gläubigen all, sie eilen zum Gebet.
MARGIANA
Nun komm', mein Schatz. Der fromme Kadi geht.
BOSTANA
Ich hol' den Schatz - der fromme Kadi geht.
DER KADI
u schöner Schatz! - Ich eile zum Gebet!
DRITTER MUEZZIN
Versammelt euch, ihr Gläubigen!
Der Kadi wirft noch einen entzückten Blick auf die Kiste, winkt seiner sich ehrfürchtig verneigenden Tochter einen Gruss zu und geht ab.
Bostana verschwindet, sobald er fort ist, durch die Tapetentür.
Margiana bleibt allein auf der Bühne, sieht einen Augenblick durch das Fenster, wendet sich dann zu der Seite des Blumentisches.
Bostana führt Nureddin herein und zieht sich zurück.
ZWEITER AUFTRITT
Margiana. Nureddin. Abul vor dem Fenster
NUREDDIN
O holdes Bild in Engelschöne,
Oft, wenn in Träumen ich dich angeschaut,
Da fand ich Worte, fand ich Töne,
Da hab' ich innig dir mein Herz vertraut.
Nun fühl' ich alles mir entschwinden,
Was ich geträumt, gedacht - entwich;
Vor deinem Anblick wonniglich
Ist alles nur ein seliges Empfinden;
Ein Wort nur kann ich wiederfinden,
Das eine Wort: „Ich liebe dich!“
MARGIANA
Wohl hab' ich Grüsse dir ersonnen,
Blumen zum Strausse dir gereiht,
Wie holde Lieb' in Weh und Wonnen
Gern sie zu ihrem Boten weiht.
Doch du erscheinst, und ach, es neigen
Die Blumen demutvoll und zagend sich.
Sie nimmt eine blühende Rose vom Zweig
Kühn nimmt die Rose nur das Wort für mich,
Den hohen Sinn zu künden, der ihr eigen;
Ob auch die Schwestern alle schweigen,
Die Rose sagt: „Ich liebe dich!“
Sie gibt ihm die Rose
NUREDDIN UND MARGIANA
So mag kein andres Wort erklingen,
Als das die blüh'nde Rose sprach;
Kein Lied in unsre Seele dringen,
Als das aus Träumen tönte nach;
Und wenn des Lebens Traum entschwunden
Und wenn der Rose Glut verblich,
Dann tön in Eden ewiglich,
Wo Rosenketten uns umwunden,
Wo ew'ger Traum uns hält verbunden,
Das eine Wort: „Ich liebe dich!“
ABUL
vor dem Fenster
O Nureddin, geniesse froh dein Glück!
Sei ohne Furcht, es wacht vor diesem Fenster
Dein Abul Hassan Ali Ebn Bekar.
BOSTANA
eilt herein
DRITTER AUFTRITT
Die Vorigen. Bostana
BOSTANA
Der Abul Hassan Ali Ebn Bekar.
NUREDDIN
schreckt auf, noch halb weltentrückt
Wie? Abul Hassan Ali Ebn Bekar?
BOSTANA
Der tolle Kauz singt drüben vor dem Haus
Von Liebesglück und nennet deinen Namen.
NUREDDIN
Verwünschter Kerl! Erdrosseln möcht' ich dich!
BOSTANA
Ich geh, zu lauschen, ob der Kadi kommt.
Seid unbesorgt; noch kehrt er nicht zurück.
Sie zieht sich wieder zurück
VIERTER AUFTRITT
Nureddin. Margiana. Abul vor dem Fenster
Nureddin und Margiana lauschen noch einige Zeit, ob kein neuer Lärm entsteht. Es bleibt alles still, Nureddin geleitet Margiana zu dem Sitze am Blumentisch und kniet auf den Schemel zu ihren Füssen.
NUREDDIN
Dass nicht die laute Welt uns störe,
Schweige der Liebe leises Wort!
ABUL
vor dem Fenster
Lass dir zu Füssen wonnesam mich liegen,
O Margiana!
MARGIANA
Dass keines Lauschers Ohr es höre,
Tief in der Brust nur kling' es fort!
ABUL
Wonnen der Liebe gleichen bunten flücht'gen Sommerfaltern,
Lasse sie kosend um die Stirn' uns fliegen,
O Margiana!
NUREDDIN
Lass deiner Blicke Strahl es sagen,
Du wunderdunkles Auge, sprich!
ABUL
Die Welt versinkt, es leuchten helle goldnen Äthers Wogen!
MARGIANA
Sagt es mein Herz dir nicht für mich
Mit seinem süssberedten Schlagen?
NUREDDIN
Zum Himmel mich empor zu tragen,
Sag' es ein Kuss -
MARGIANA
Ich liebe dich!
ABUL
Wir sind empor zum Eden schon gestiegen!
NUREDDIN
Zum Himmel mich empor zu tragen,
Sag' es ein Kuss.
Sie umarmen sich
ABUL
O Margiana!
STIMME EINES SKLAVEN
hinter der Szene, im Innern des Hauses
Weh! Weh! Weh! Weh! Weh! Weh!
Bostana tritt eilig auf
FÜNFTER AUFTRITT
Die Vorigen. Bostana
BOSTANA
Erschrecket nicht, der Kadi kam zurück,
Und einem Sklaven, der ihm ungeschickt
Die schöne Blumenvase brach in Scherben,
Gibt er mit eigner Hand die Bastonade.
STIMME DES SKLAVEN
Weh! Weh! Weh! Weh!
ABUL
vor dem Fenster
Weh mir, o weh, man mordet meinen Freund!
Kadi, verruchter Mörder!
Heda! Helft ihr Leute!
MARGIANA
Weh uns, es sammeln Leute sich ums Haus!
BOSTANA
Was macht der alte Tollkopf auch für Streiche!
NUREDDIN
Dreimal verwünschter, teuflischer Barbier!
STIMMEN
vor dem Fenster
Kadi, verruchter Mörder! Weh dir! Wehe!
ABUL
Wehe!
STIMME DES SKLAVEN
Weh!
BOSTANA
Nun kannst du nicht mehr unbemerkt entfliehn!
MARGIANA
Bostana, wenn der Vater ihn hier findet!
NUREDDIN
Ist kein Versteck da, dass ich mich verberge?
BOSTANA
Hier an der Kiste steckt der Schlüssel noch!
Margiana! Eilig! Fort mit all den Schätzen,
Sie beginnt sogleich die Kiste auszuräumen.
Die Kiste birgt ihn, bis der Sturm vorüber!
Sie zerren eilig den Inhalt der Kiste heraus und schleifen die Stoffe in die verdeckte Nische des Hintergrundes. Während des Folgenden wird Nureddin von den beiden Frauen in die Kiste versteckt.
Bostana zieht den Schlüssel ab, steckt ihn zu sich und schiebt Margiana in die Seitentür.
Verworrener, anwachsender Lärm hinter der Szene.
Abul von vier Dienern Nureddins begleitet, die mit Stöcken bewaffnet sind, stürzt herein.
SECHSTER AUFTRITT
Bostana. Abul und vier Diener Nureddins
ABUL
auf Bostana losstürzend
Wo ist er hin? Unsel'ge, sprich, wo habt ihr
Den Leichnam des Ermordeten verborgen?
BOSTANA
Wahnsinniger, was faselst du von Mord?
Willst du dies ganze Haus ins Unglück stürzen?
Hier in der Kiste hab' ich ihn versteckt;
Schnell, schafft sie fort, eh' es der Kadi merkt!
Sie geht eilig ins Nebengemach rechts
SIEBENTER AUFTRITT
Abul. Diener Nureddins. Später der Kadi
ABUL
stürzt sich wehklagend über die Kiste
Unsel'ger Freund! Und musstest so du enden,
Eh' dich des Retters Hand befreien konnte?
Dreifach verwünscht, du Mars und du Merkur!
Sternschnuppen mögt ihr werden und verderben!
Sich erhebend, zu den Dienern
Legt eilig Hand an, traget fort die Kiste!
Die vier Diener wollen die Kiste aufnehmen
KADI
hereineilend
Wo wollt ihr mit der Kiste hin, ihr Frechen?
So ist mein Haus den Dieben preisgegeben?
ABUL
Verruchter Kadi! Mörder meines Freundes!
Vor dem Kalifen sehen wir uns wieder!
KADI
Du glaubst mich närrisch, Narr, und willst mich narren,
Brandschatzen um den unschätzbaren Schatz,
ABUL
Ruchloser Richter, der sich ungerecht rächt,
Doch höh're Richter richten, Richter, dich!
KADI
Lass los die Kiste.
ABUL
Tragt die Kiste fort!
KADI
Der Tochter Schatz ist's!
ABUL
Ihr geraubt von dir!
KADI
Zu Hilfe! Diebe!
ABUL
Mörder! Hilfe! He!
KADI
Ich lass euch hängen!
ABUL
Ja, wenn du gespiesst!
Freunde des Kadi, Klagefrauen und Bewohner Bagdads treten nacheinander ein
ACHTER AUFTRITT
Die Vorigen. Freunde des Kadi. Klagefrauen. Bewohner Bagdads
KADI
Verruchte Diebe, die ihr offen
Am hellen Tag beraubt mein Haus,
Nicht Gnade darf ein einz'ger hoffen.
Mit euch ist's aus!
ABUL UND NUREDDINS DIENER
Verruchter Kadi, der du offen
Den Freund erschlugst in deinem Haus,
Nicht Gnade darfst du, Mörder, hoffen.
Mit dir ist's aus!
FREUNDE DES KADI
herbeieilend, zum Kadi
Welch arges Unheil hat betroffen,
Freund Mustapha, dein armes Haus?
Das Volk strömt ein, die Tür ist offen.
Was wird daraus?
KLAGEFRAUEN
hereinstürzend, in langen weissen Kleidern mit fliegenden schwarzen Trauerschals
Bekleidet euch mit Trauerstoffen,
Ein Mord geschah in diesem Haus.
Der Tränen Schleusen stehen offen:
Sie brechen aus!
Weh, o weh, o weh, o weh.
BEWOHNER BAGDADS
hereineilend
Wo ist er, den der Stahl getroffen?
Nicht Gnade darf der Mörder hoffen!
Vermaledeit sei dieses Haus!
Schleppt ihn hinaus!
KADI
So sprecht, ist denn ein Tollhaus offen,
Und schleudert seine Narren aus?
Des Himmels Blitz hat mich getroffen,
Mit mir ist's aus!
ABUL
Bringt Eisen, brecht die Kiste offen,
Und zieht den Toten nur heraus!
Des Kadis Stahl hat ihn getroffen,
Mit ihm ist's aus!
KADI UND SEINE FREUNDE
Verruchte Diebe, die ihr offen
Am hellen Tag bestehlt dies Haus,
Nicht Gnade darf ein einz'ger hoffen.
Mit euch ist's aus!
ABUL, NUREDDINS DIENER UND ALLE ÜBRIGEN
Verruchter Kadi, der du offen
Den Gast erschlägst in deinem Haus,
Nicht Gnade darfst du hoffen,
Mit dir ist's aus.
KLAGEFRAUEN
Weh, o weh, o weh, o weh!
Während des Nachspiels entsteht ein allgemeiner Tumult um die Kiste. Nureddins Diener wollen sie aufladen, werden aber wiederholt daran gehindert und werfen sie um. Der Kadi und seine Freunde wollen sie in den Hintergrund schleppen und stellen sie wieder um, so dass sie nun, den Deckel nach unten gekehrt, während des nächsten Chors stehen bleibt
Vier glänzend uniformierte Bewaffnete machen sich Platz durch das Gedränge und schieben die Streitenden nach rechts aus dem Mittelpunkt der Bühne von der Kiste fort. Die übrigen Anwesenden sind zu beiden Seiten der Bühne zurückgewichen.
NEUNTER AUFTRITT
Die Vorigen. Der Kalif mit Gefolge
VIER BEWAFFNETE
nehmen einen Augenblick die Mitte ein und singen
Platz dem Kalifen!
DER KALIF
tritt ein, von Gefolge umgeben. Er sieht jugendlich aus und tritt in die Mitte des Vordergrunds. Sein Gefolge und die vier Bewaffneten füllen den Hintergrund. Auf der Fensterseite steht Abul mit Nureddins Dienern, auf der Seite des Blumentisches der Kadi und seine Freunde. Die Klagefrauen und Männer von Bagdad zu beiden Seiten verteilt.
Sprich, Kadi, du bist Herr in deinem Hause.
Ich kenne dich als ehrenwerten Mann:
Wie brach der Sturm an, der so laut getobt,
Dass bis zu meinem Ohr der Lärm gedrungen?
KADI
Herr, dieser Unhold nennt mich einen Mörder!
Mit einer Horde Vagabunden drang
Er in mein Haus, der Tochter Schatz am hellen Tag zu stehlen.
Ganz Bagdad dringt herein mit tollem Lärm,
Bis wie die Sonne du, o Herr, erschienen
Und Licht gestrahlt in dieses tolle Chaos!
KALIF
zu Abul
Ergreister Böswicht! Sprich! Verteid'ge dich!
ABUL
Sonne des Weltalls! Nein, ich bin kein Böswicht;
Die Brüder waren's - Ja! und zwar aus Liebe:
Der ältste, Bakbak, und dann Bakbarah,
Der dritte: Bukbuk und der vierte: Alkuz,
Dann Alnaschar, der sechste: Schakkabak;
Doch ich, o Herr, der jüngste von den Sieben,
Bin tadellos und rein - sogar im Lieben!
O!
KALIF
Sag' deinen Namen, deinen Stand -
ABUL
Mein Name
Ist Abul Hassan Ali Ebn Bekar.
Ich bin - Barbier, doch was für ein Barbier!
Freistatt der Welt, es lässt sich nicht beschreiben.
Ich bin Total-Universalgenie,
Verkannt im Leben, doch berühmt in Zukunft,
Ich bin Gesamtmensch, bin Barbier der Nachwelt.
KALIF
Du toller Kauz! Und du bestiehlst die Mitwelt?
ABUL
O Perle des Kalifentums! Nicht also:
In dieser Kiste liegt mein Freund ermordet.
Des Kadis Tochter, ach! hat ihn geliebt -
Der Vater aber, o! hat - ihn - entleibt!
CHOR
Weh! Mustapha!
KALIF
Die Wahrheit kann nicht lang verborgen bleiben,
Schliess auf die Kiste, Kadi, zeig' den Inhalt.
KADI
wendet sich zum Nebengemach und ruft hinein
Wo hab' ich doch den Schlüssel? He! Margiana!
Bostana! Eilig, schliesset auf die Kiste! Eilig!
Margiana und Bostana kommen aus dem Nebengemach. Auf Abuls Wink bringen die Diener Nureddins die Kiste auf ihren Platz zurück.
ZEHNTER AUFTRITT
Die Vorigen. Margiana. Bostana
KADI
zu Margiana
Zeig' deinen Schatz, mein Kind, dass glänzend er
Die Wahrheit allen Augen offenbare.
MARGIANA
zögernd
Mein Herr und Vater -
KADI
Augenblicks gehorche!
Margiana gibt Bostana einen Wink; diese geht zur Kiste, um aufzuschliessen
CHOR
leise
Wie wird sich's wenden? Wer hat recht von beiden?
KADI
Nun überzeugt euch - seht der Tochter Schatz!
ABUL
zieht den ohnmächtig gewordenen Nureddin aus der Kiste in die Höhe und lehnt ihn an den Rand so dass er sichtbar bleibt
Ja, sieh der Tochter Schatz,
Den ihr dein Stahl stahl!
ALLE
Ha!!
KADI
bleibt in der Stellung, die er eingenommen, als er Nureddin erblickte, wie vor Schrecken versteinert stehen. Er spielt die ganze nächste Szene wie ein Träumender, der sich von einem Alpdruck zu befreien sucht; für sich, Nureddin anstarrend.
He, Mustapha! Freund Mustapha, wach auf!
Was schläfst du auch, was machst du auch für Streiche?
Hoch schön am Himmel geht der Sonne Lauf.
Aus Träumen raffe dich, der Alpdruck weiche!
O Mustapha! Freund Mustapha, wach auf!
KALIF
O Mustapha! Ein Licht geht mir nun auf,
Es spielte hier die Liebe ihre Streiche!
Sie, die allmächtig lenkend ihren Lauf,
Mich selber Sklaven nennt in ihrem Reiche.
O Mustapha! Nun geht ein Licht mir auf!
ABUL
O Nureddin! Kein Ruf mehr weckt dich auf.
Beschlossen war's im hohen Sternenreiche;
Kein ird'scher Mund beschwört der Sterne Lauf,
Morgens rasiert - und abends eine Leiche!
O Nureddin, dich weckt kein Ruf mehr auf!
MARGIANA UND BOSTANA
eilen zur Kiste und singen zu beiden Seiten derselben zu Nureddin
O Nureddin, geliebter / verliebter Nureddin wach auf!
Dass von dem Vater der Verdacht entweiche;
Du schlummerst nur, dich wecket süsse Liebe auf
Und macht zum Herrscher dich in ihrem Reiche.
O Nureddin, geliebter / verliebter Freund wach auf!
CHOR
Weh Mustapha!
Die Rache steigt herauf!
Nicht wähne zu entrinnen ihrem Streiche,
Recht und Gerechtigkeit gehn ihren Lauf
Allüberall in des Kalifen Reiche.
Weh Mustapha, die Rache steigt herauf!
ABUL
der klagend über Nureddin gebeugt lag, erhebt sich plötzlich; zum Kalifen gewendet
Er lebt, er lebt! Beherrscher aller Gläub'gen!
Noch glimmt ein Funke Lebens hier, ich fühl' es.
KALIF
So zeig einmal, du Prahler, deine Künste,
Ob du, ein Arzt, ihm Leben wiedergibst.
FRAUEN
Ach, kein Barbier weckt Tote wieder auf!
MÄNNER
Weh Mustapha, die Rache steigt herauf!
KADI
He, Mustapha, o Mustapha, wach auf!
ABUL
entfernt alle Umstehenden von der Kiste, umschreitet dieselbe feierlich und beugt sich über Nureddin, ihm ins Ohr singend, indem er ihm auf die Schulter klopft
„Lass dir zu Füssen wonnesam mich liegen,
O Margiana!“
NUREDDIN
bleibt regungslos
ABUL
zupft ihn an Nase und Ohr
„An deine Hand die Lippe trunken schmiegen,
O Margiana!
Er nimmt ein Riechfläschchen und hält es ihm unter die Nase
Auf deinem Munde lachet holde Fülle süsser Labe.
Er nimmt die Rose, die Nureddin von Margiana bekommen und noch immer fest in Händen hält, und lässt ihn daran riechen
Lass seinen Hauch mich atmen still verschwiegen,
O Margiana!“
NUREDDIN
regt sich und erwacht
Wonnen der Liebe -
Er wird von Abul emporgerichtet, sein erster Blick fällt auf Margiana.
ABUL
Bunte Sommerfalter,
Lasse sie kosend um die Stirn' uns fliegen.
NUREDDIN
O Margiana!
FRAUEN
Habt ihr gehört, er sprach!
MÄNNER
Ja, er sprach!
ALLE.
Seht, er erhebt sich. Er lebt!
Während der folgenden Worte führt Abul Nureddin zu Margiana, zu deren Füssen er niederkniet
ABUL UND NUREDDIN
Die Welt versinkt, es leuchten helle goldnen Äthers Wogen,
Wir sind empor zum Eden schon gestiegen,
O Margiana!“
KADI
mit wachsendem Erstaunen die Liebenden erblickend
He, Mustapha! He, Mustapha, wach auf!
KALIF
zum Kadi, auf die Liebenden zeigend
Du sagtest es ja selbst und schwurst darauf:
Es ist ihr Schatz! Lass ihn ihr eigen sein!
KADI
die Hände der Liebenden zusammenfügend
So nimm ihn hin - er sei auf ewig dein!
CHOR
Heil sei der Schönen,
Die den Schatz verborgen
In Liebessorgen,
Ihn bis zum Feste
Verschloss aufs beste.
Mag er schön sie nun schmücken,
Wonniglich beglücken!
KALIF
zu den Bewaffneten, auf Abul deutend
Ergreift den Alten - und verwahrt ihn wohl!
ABUL
Herr, übe Gnade; gnädig sind die Sterne!
KALIF
Sei ohne Furcht, sie bringen dich zu mir,
Dass deine Künste du vor mir erprobest
Und deines Lebens Märchen mir erzählest.
zu den übrigen
Ihr aber, friedlich geht nun eures Wegs,
Bis ich zur Hochzeit dieses Paars euch lade,
Weil ihr ja doch einmal so freundlich wart,
Uneingeladen heut' euch einzufinden.
ABUL
zu dem Kalifen gewendet
Heil diesem Hause, denn du tratst ein:
sich verneigend
Salamaleikum!
SOLI UND CHOR
wiederholen jedesmal, und jedesmal wird der Gruss mit tiefer Verbeugung begleitet
Salamaleikum!
ABUL
Heil deiner Gegenwart leuchtendem Schein.
Salamaleikum!
Sieh deine Sklaven, die dir sich weihn,
Salamaleikum!
Lass unser Angesicht weiss vor dir sein,
Salamaleikum!
öge dein Wohl stets blühend gedeihn,
Salamaleikum!
Stets möge Allah dir Sieg verleihn,
Salamaleikum!
Nie sei geringer der Schatten dein,
Salamaleikum!
Leb' in dein tausendstes Jahr hinein,
Salamaleikum!
ALLE
Salamaleikum!
Während der Kalif sich zum Abgehen wendet, fällt der Vorhang
Im übrigen ist Cendrillon ein Stück für zwei schöne Sopranstimmen, was in der allerbesten Aufnahme paradoxerweise nicht zu hören ist, da man den Prinzen mit einem Tenor besetzt hat. So kam im Studio der hinreißenden Gestalterin Frederica von Stade, die eine ideale Besetzung für den Prinzen gewesen wäre, die Titelpartie zu - die sie wunderbar singt, obwohl ihr die Tessitura vielleicht ein klein wenig zu hoch ist.
Ihr zur Seite Nicolai Gedda, ein perfekter Stilist, der sich aufs Genre der Opéra Comique und Massenets Lyrismen versteht, auch wenn er die Partie natürlich eine Oktav tiefer singt als sie gedacht war.
Der Wirkung dieser Einspielung tut das keinen Abbruch. Julius Rudel dirigiert das Philharmonia Orchestra mit viel Gespür für die poetischen Nuancen von Massenets subtiler Instrumentation, zaubert auch die Stimmung der Traumszene, in der sich die verwirrte Titelheldin in die Welt der Feen flüchtet - und dort von einer makellos singenden Elfe (Ruth Welting) in höchsten Koloratursopran-Höhen empfangen wird.
Jules Bastin gibt, vokal etwas unstet, aber mit Herz den liebenden Vater, Jean Berbie liefert die bissigen Kommentare der Stiefmutter stilecht. Und Frederica von Stade nutzt sämtliche Szenen, die ihr geschenkt sind, um die Seelenwelten der Cendrillon auszuloten, traurig-melancholisch vor der Feuerstelle im ersten Akt, jubelnd im Duett mit Prinz Gedda, seelenvoll-verträumt immer wieder zwischendurch.
Der Wien-Exilant Julus Rudel weiß auch mit den schwungvollen Tänzen der Ballszene richtig umzugehen - es ist gar nicht leicht, diese Cendrillon so stimmig auf die Bühne zu bringen, wie sie auf dieser Aufnahme zu hören ist. Immerhin: Laurent Pelly gelang es in London stilecht märchenhaft. Und da stand mit der wunderbaren Joyce DiDonato eine Titelheldin auf der Bühne, die es mit von Stade aufnehmen konnte; und mit Bertrand de Billy ein massenetaffiner Maestro am Dirigentenpult. So erhielt der Ton-Klassiker von anno dazumal ein exzellentes Video-Pendant in jüngster Zeit. (Virign Classic)