Médée

Marc-Antoine Charpentier (1643 - 1704)

Die wichtigste Tragedie lyrique seit Lully - Paris 1693.

Über die hohe Bedeutung Marc-Antoine Charpentiers im französische Musiklebe seiner Epoche bestand kein Zweifel. Seine geistliche Musik, seine Instrumentalwerke galten als unübertrefflich. Doch obwohl mit Jean-Baptiste Lullys frühem Tod der Thron des absoluten Herrschers der französischen Oper verwaist war, kam es nur zu einem einzigen Musiktheater-Auftrag an Charpentier - die Premiere der Medea im Dezember 1693 war denn auch ein Ereignis; doch konnte sich Charpentiers einzige Musik-Tragödie nicht allzu lang im Spielplan der Académie Royale de musique halten. Obwohl die Zeitgenossen bewandert in mythologischen Fragen waren, galt ihnen die Handlung doch als schwer zu enträtseln.

Die Medea-Tragödie von Pierre Corneille (1635) kannte man zwar gut, doch hatte Corneilles Bruder Thomas die Handlung für Musiktheaterzwecke sehr verdichten müssen - und viele der erklärenden Passagen, die Medeas grausame Tat in den rechten historisch-mythologishen Zusammenhang rückten, fielen im Opernlibretto weg.

Die Musik

Stattdessen setzt Charpentier auf zündende Chorpassagen, die seiner Musik - nicht zuletzt in den tänzerisch gestalteten Auftritten der von Medea beschworenen Dämonen - ebenso zu höchster Lebendigkeit verhelfen wie die originelle, vielfarbige Instrumentation, die viele neue Effekte ins Spiel bringt.

Als Schüler des großen Giacomo Carissimi beherrschte Charpentier schließlich nicht nur den französischen Gusto, sondern auch den italienischen Stil, von dem schließlich auch der Italiener Lully ausgegangen war.

So darf denn Médée als glücklicher Moment in der Pariser Operngeschichte gelten, als das fehlende Verbindungsglied zwischen Lully und Rameau und jedenfalls als eine der reichhaltigsten barocken Opernpartituren überhaupt, einer der großen Momente in der Geschichte der »Tragédie lyrique«.


Die Handlung

Erster Akt
Medea und ihre Amme Nérine sprechen über Jason und dessen Liebe zu Créuse, der Tochter Kreons, des Königs von Korinth. Nérine rät Medea von vorschnellen Racheakten ab. Jason versucht Medea zu überzeugen, daß es in kriegerischen Zeiten besser wäre, die gemeinsamen Kinder der Obhut der königlichen Familie anzuvertrauten. Créuse begehre als Lohn für den Schutz Medeas Lieblingskleid. Seinem Freund Arcas gesteht Jason seine neue Liebe. Kreon indessen verwehrt Oronte, dem Prinzen von Argos, die Hand seiner Tochter: Créuse ist bereits Jason versprochen.

Zweiter Akt
Medea ist der Zauberei angeklagt und wird von König Kreon verbannt. Ihre Kinder sollen aber, wie Jason es bestimmt hatte, in der Obhut Créuses bleiben. Der Kriegsheld Jason aber soll in Kreons Diensten bleiben. Oronte hat seine Hoffnung auf Créuse noch nicht aufgegeben und besingt seine Liebe ebenso wie Jason. Der Chor stimmt ein in den Lobreis der Freuden und Gefahren der Liebe.

Dritter Akt
Oronte bietet der verbannten Medea ein friedliches Exil in Argos an, wenn sie Jason mit sich nimmt. Doch Medea weiß, daß Kreon bereits die Hochzeit seiner Tochter mit Jason vorbereitet. Oronte ist wütend. Medea verflucht das prunkvolle Kleid, das sie auf Créuses Wunsch zurücklassen soll.

Vierter Akt
Créuse nimmt das verwünschte Kleid in Empfang. Medea fleht Kreon an, seine Tochter mit Oronte zu vermählen. Andernfalls würde sie mit ihren Zauberkräften Dämonen beschwören, die ihn in den Wahnsinn treiben könnten. Kreon stürzt kurz darauf tatsächlich in völlige Verwirrung.

Fünfter Akt
Créuse, in Medeas Festgewand gekleidet, bittet Medea, ihren Vater vom Wahn wieder zu befreien. Doch es ist zu spät. Der irrsinnige Kreon hat Oronte getötet und schließlich Hand an sich selbst gelebt. Medea aber berührt das verfluchte Kleid mit einem Stab: Créuse verbrennt bei lebendigem Leibe. Jason erlebt hilflos nur noch die letzten Atemzüge seiner Braut - und muß von der auf einem Drachen einreitenden Zauberin Medea erfahren, daß sie als Racheakt nun auch die gemeinsamen Kinder getötet hat.


William Christie hat eine grandiose Aufnahme des Werks vorgelegt, in der Lorraine Hunt in der Titelpartie wirklich alle Register der gesanglichen Charakterisierungskunst zieht. Mit der Titelheldin steht und fällt der Mittelakt der Oper, in dem Medea nicht weniger als vier grpße Monologe zu gestalten hat. Lorraine Hunt brilliert in allen Facetten menschlicher Leidenschaft, angestachelt von chromatisierten Harmonien und dunkel registrierten Orchesterfarben und wild gestikulierenden Klängen, die von Les Arts Florissants lustvoll herausgearbeitet werden. Dank dieses Totaleinsatzes erweist sich Charpentiers vor allem dieser Dritte Akt als einer der stärksten Opernakte der Barock-Ära, mündend in einen wahrhaft furiosen Auftritt der Dämonen.
Als Jason läßt Mark Padmore seinen perfekt geschulten »Haute-Contre« und Monique Zanetti gibt der Kreusa den rechten jugendlichen Unschuldston. (harmonia mundi)

↑DA CAPO