Doktor Faust

Ferruccio Busoni

Die erste Gesamtaufnahme mit Dietrich Fischer-Dieskau (DG)

Uraufführung: Dresden, 1925

BESETZUNG

Doktor Faust (Bariton) – Wagner, sein Famulus, später Rector magnificus (Bariton) – Mephistopheles, als schwarz gekleideter Mann, Mönch, Herold, Hofkaplan, Kurier, Nachtwächter (Tenor) – Der Herzog von Parma (Tenor) – Die Herzogin von Parma (Sopran) – Der Zeremonien- meister (Baß) – Des Mädchens Bruder, Soldat (Bariton) – Ein Leutnant (Tenor) – Drei Studenten aus Krakau (Tenor, 2 Bässe) – Theologe (Baß) – Jurist (Baß) – Naturgelehrter (Bariton) – Sechs Studenten in Wittenberg (4 Tenöre, 2 Baritone)



In den Jahren um 1910 beschäftigte sich Ferruccio Busoni erstmals intensiv mit dem Faust-Stoff. Er studiert Karl Simrocks Veröffentlichung des alten Puppenspiels von Doktor Johannes Faust (1846).

1914 beschloß der Komponist, eine eigene Version des Textes zu erstellen und zu vertonen. Andere Opernpläne, etwa eine musiktheatralische Biographie Leonardo da Vincis oder die Vertonung von Wedekinds Faust-Parodie Franziska hatten sich zerschlagen.

Innerhalb weniger Tage des Dezember 1914 verfaßte Busoni das Libretto. René Schickele publizierte den Text erstmals in seinen Weißen Blättern.

Während der Komposition erweiterte Busuni das Szenarium mehrmals. Die Musik entstand mit etlichen Unterbrechungen zwischen 1916 und 1924. Bei Busonis Tod waren die Erscheinung Helenas sowie der Schlußmonolog des Faust noch nicht vollendet.

Aus den vorliegenden Skizzen stellte Busonis Schüler Philipp Jarnach eine Spielfassung der Oper her. Diese Version wurde 1925 in Dresden unter der Leitung von Fritz Busch – mit Robert Burg in der Titelpartie uraufgeführt. Eine viel beachtete Aufnahme machte der Bayerische Rundfunk mit Dietrich Fischer-Dieskau, der den Faust bereits früh in seiner Karriere, 1954, an der Städtischen Oper in Berlin gesungen hatte.
In die Klauen des Regietheaters kam Busonis Werk erstmals 1980 in Frankfurt. Die Inszenierung Hans Neuenfels' wurde viel diskutiert. Weniger Beachtung fand ein Versuch, das Werk 1999 mit Thomas Hampson auf die Salzburger Festspielbühne zu bringen.

Rezension der Salzburger Premiere

Die Presse, August 1999

Verweile nicht, du bist so trist

Ein lehrreiches Wagnis gingen die Salzburger Festspiele diesmal ein. Zum Goethe-Jahr präsentierten sie Busonis gar nicht auf Goethe basierende »Doktor Faust« als schwarze, tief pessimistische Parabel.


Daß man sich immer wieder mit Ferruccio Busonis Musik beschäftigt, obwohl sie wenig vom Charme, eher von den klugen theoretischen Überlegungen ihres Erfinders verrät, liegt wohl an der entscheidenden Position, die dieser Meister als Vordenker einer Neuen Musik einnimmt. In wegweisenden Schriften hat er viel von den Errungenschaften der Moderne vorweggenommen, als Komponist die Nabelschnur zur musikalischen Romantik aber nicht getrennt.

So vernimmt der staunende Hörer des vor allem nach dem Vorbild des alten deutschen Puppenspiels geformten Doktor Faust aus heutiger Sicht weniger einen untauglichen Versuch Busonis, den eigenen Theorien komponierend hinterher zu hasten, als eine über diese Theorien noch hinausgehende Vorwegnahme der Postmoderne. Wäre der Komponist Busoni zukunftsweisender als der Analytiker?

Wie auch immer: Sein Faust hüllt den Hörer in ein hie und da bezwingendes, oft aber recht langatmig scheinendes Klangkontinuum, das mit vertrauten harmonischen Mustern spielt, deren Ansprüche aber nie erfüllt. Gern stehen hier mühelos tonal deutbare Akkorde neben vielschichtigen, irritierenden Gebilden, immer entwickeln sich Melodien modal gefärbt ein wenig oder sehr anders, als man im ersten Augenblick glauben würde.

Das akustische Gemisch ist heute noch erstaunlich, krankt aber wohl an mangelnder Konsistenz. Busoni ist ein Experimentator, dessen Funde oft von stupender Qualität sind, manchmal unausgegoren bleiben und sich jedenfalls nie zu einer fühlbaren organischen Einheit verschmelzen.

Auch bei einer so deutlich von kraftvollem Zugriff geprägten Deutung, wie sie der Dirigent Kent Nagano mit den Wiener Philharmonikern im Großen Festspielhaus vorexerziert, überwiegt beim Hörer zuletzt doch der Eindruck einer drückenden Atmosphäre des Immergleich-Unausweichlichen.

Kühne Orchesterklänge

Am nur in den hohen Streichern des öfteren getrübten, im übrigen aber prachtvollen, klanglich höchst differenzierten Spiel des Orchester kann das nicht liegen; ein klein wenig vielleicht an Naganos Hang zu rhythmischem Laisser-faire. Die vielen ungewöhnlichen Instrumentationsfinessen, die kühn ineinander verwobenen, gern extrem registrierten Linien der Partitur machen jedenfalls staunen.

Daß in der Aufführung depressive Stimmung herrscht, liegt freilich auch an der Regie Peter Mussbachs, der in den düster dräuenden Räumen Erich Wonders nicht die kleinste positive Regung aufkeimen läßt. Zwar erstarren die Bilder manchmal zum prachtvollen Regietheater-Edelkitsch. Wonders sanfte Hügellandschaften und das weite Feld mit den Telegraphenmasten im Schnee machen höchst ästhetische Wirkung.

Die Personen der Handlung aber bewegen sich wie Figuren eines tieftragischen Spiels. Auch dort, wo sie von Andrea Schmidt-Futterer nicht in den Einheits-Gestapomantel mit Hut gesteckt werden, sondern wo ihre Provenienz aus dem Marionettentheater sichtbar wird.

Dieser Faust wirkt, als wäre er vom Anbeginn der Knecht Mephistos, der ihm doch Lebenslust verschaffen sollte. Gleich zu Beginn verweist der Teufel den nach Erfüllung dürstenden Wissenschaftler auf seine unseligen Verstrickungen in die Ränke des irdischen Jammertals. Aus denen kommt Faust nicht mehr heraus.

Verzweifelter Alleingang

Die Visionen und Abenteuer sehen ihn stets als Verzweifelten. Thomas Hampson gibt ihn mit bewundernswerter Hingabe, die bis zur Selbstverleugnung zu führen scheint. Ihm zur Seite Chris Merritt, dessen krähender Tenor gewöhnungsbedürftig ist, der sich aber auf Mussbachs trostloses Konzept ganz und gar einläßt.

Dieser Mephisto ist kein quirliger Drahtzieher mit bösem Witz, sondern auch eine Leidensgestalt. Wacker schlagen sich die übrigen Darsteller durchs düstere Geschehen, Kurt Schreibmayer als Herzog, Katarina Dalayman als von Faust verführte Herzogin und vor allem der Soldat von William Dazeley, der in seiner Klage um die von Faust verführte Schwester stimmlich eine prachtvolle Leistung bietet.

Mit dem bis in den Zuschauerraum quellenden Staatsopernchor vollbringt Kent Nagano in der von einem protestantischen Choral gekrönten Schenkenszene einen der wachsten Momente des Abends.

Das Publikum reagierte auf das Lehrstück zuletzt mit gedämpfter Freundlichkeit.




Hamspon sang den Faust auch in einer Inszenierung Klaus Michael Grübers im Opernhaus Zürich. Philippe Jordan dirigierte die Premiere, die auch für DVD aufgezeichnet wurde.

↑ DA CAPO