Ein Sommernachtstraum

Benjamin Britten - nach Shakespeare

Brittens eigene Aufnahme mit Peter Pears als Oberon


Für seine 1960 bei seinem Festival in Aldeburgh uraufgeführte Shakespeare-Vertonung hat Britten die Handlung von fünf auf drei Akte gekürzt, den Dichter-Text aber kaum angetastet.

Raffiniert registriert der Komponist sein Kammerorchester aus, bereichert es unter ausgiebigem Gebrauch von Streicher-Glissandi zur Charakterisierung der Feen-Welt mit den Klängen von Harfe, Celesta und Cembalo.



Eine glänzende Einstudierung gelang an der Wiener Staatsoper am Beginn der letzten Spielzeit der Ära Dominique Meyers.

Kritik der Premiere, Wien 2019

Das Lächeln einer Sommernacht

Irina Brook und Simone Young realisierten Benjamin Brittens stimmungsvolle Shakespeare-Oper handwerklich perfekt, szenisch wie musikalisch stimmungsvoll. Das Publikum jauchzte nach der Premiere förmlich auf.

Diese Premiere hat - hör- und sichtbar - alle glücklich gemacht, das Publikum wie die Künstler: Dirigentin Simone Young und Regisseuse Irina Brook schenkten der Staatsoper eine märchenhafte und völlig unverfälschte Neuproduktion von Benjamin Brittens »Sommernachtstraum«.

Für seine Opernambitionen hat der Komponist William Shakespeares Text auf ein Minimum reduzieren müssen. Die raffinierte Dramaturgenhand Brittens brachte Klarheit in ein oft als verworren denunziertes Stück, ohne dessen Poesie anzutasten. Irgendwie klang der Jubelschrei unmittelbar nach dem Fallen des Vorhangs wie ein kollektives Aufatmen: Endlich wurde da wieder einmal ohne Regietheater-Verballhornungen Theater gespielt; und herzhaft illustrativ Musik dazu gemacht.

Wobei das Wort Theaterspielen zumindest im Fall des tollpatschigen Spielmachers Puck zu kurz greift. Die Sprechrolle hat Britten einem Schauspieler zugedacht; und Irina Brook weist sie einem Akrobaten zu, der nicht nur hinreißend den quirligen, neugierig verschmitzten Charakter dieser Figur zu zeichnen imstande ist, sondern auch noch Körperkunststücke aller Art beherrscht, um in atemberaubender Behändigkeit über die Bühne zu springen, zu rollen, zu fliegen. Dass er all das noch im vertrackten Rhythmus von Brittens Musik zuwege bringt, machte Theo Touvet zum Star des Abends.

Alle ganz bei Shakespeares Sache

Oder besser: zum Primus inter Pares. Denn in den behutsam und mit Geschmack gemalten, von Jean Kalman stimmungsvoll ausgeleuchteten Bühnenbildern Noelle Ginefri-Corbels agierten auch die Sänger, die Erwachsenen wie die stimmlich exzellenten Kinder (!), mit schauspielerischem Geschick. Alle sind ganz bei Shakespeares Sache, also nie eindimensional, sondern durchwegs Menschen aus Fleisch und Blut; oder Feengestalten, die sich in ihren eigenen Ränkespielen verheddern. Doppelbödig ist hier viel, die Schicksale sind ineinander verschlungen, und das nicht erst, wenn Puck in seiner Schusseligkeit mit seiner Zauberblume die falschen Paare zusammenführt.

Ein Fest für neue und lang gediente Mitglieder des Wiener Ensembles. Die unglücklich-glücklichen Pärchen gaben Rachel Frenkel, Valentina Nafornita, Rafael Fingerlos und Josh Lovell, der tenorale Debütant von bemerkenswerter Höhensicherheit, alle in Gestalt und Stimme jugendlich frisch, wie Ausreißer aus einer College-Reisegruppe, ausdrucksvoll in Ratlosigkeit und ungeahnter Liebeswonne, getreulich nach Brittens melodischer Seelenkunde modelliert.

Der philharmonische Wohlklang feierte dank Simone Youngs vollständig entspannter, lockerer und sicherer Führung fröhliche Urständ. Er wandelte sich zur spritzig-zynischen Karikatur, sobald die Handwerker erschienen, die Magali Castellan in heutige Arbeitskluften gesteckt hat, wie um zu beweisen, dass eine kluge Ausstatterin inmitten eines märchenbuchartig staffierten Zauberstücks ganz harmonisch auch Gegenwartsbezüge herstellen kann. Wenn sie kann. An diesem Abend gelang freilich wirklich alles.

Auch die Rüpelszenen inklusive des kurios-karikativen Theaterstücks vor dem noblen (und auch nobel tönenden) Herrscherpaar Theseus/Hippolyta, Peter Kellner und Szilvia Vörös. Publikumslieblinge wie Wolfgang Bankl, Thomas Ebenstein und Clemens Unterreiner durften auf der Pawlatsche nach Herzenslust outrieren und banden ihren neuen Ensemblekollegen Benjamin Hulett (ein Flute mit beweglich-hellem Tenor) kollegial ins Spiel ein.

Peter Rose nützte den großen Monolog, den Britten dem Zettel geschenkt hat, zu falstaffgleicher Hintergründigkeit - und war an gutmütig-staunender Pantomime nicht zu überbieten, als er sich, in einen Esel verwandelt, mir nichts, dir nichts in den Armen der liebenden Titania Erin Morleys fand.

Deren Koloraturbrillanz adelte den musikalischen Teil des Abends mit Klangschönheit und Präzision. Der schöne, in allen Lagen wohlklingende Countertenor Lawrence Zazzo bot als Oberon Paroli, sodass es in seinen großen Soloszenen ganz still im Haus wurde. Die Musik schimmerte dank Brittens raffiniertem Spiel mit Klangfarben und ungewöhnlichen Dreiklangskombinationen in zeitloser Schönheit; und verlor doch keinen Moment an Spannung.

Märchen von himmlischer Länge

So geriet dieser »Sommernachtstraum« trotz respektabler Dreistunden-Dauer dank inszenatorischer und dirigentischer Dramaturgie (Simone Young übrigens beinah auf die Minute genau in Brittens eigenen Tempi!) zum kurzweiligen Opernabend, besinnlich, amüsant, rundum erfreulich - und daher empfehlenswert auch für Theaterfreunde, die der Regie-Umtriebe müde sind. Hier triumphiert nicht nur ein Komponist. Hier siegt auf der ganzen Linie - Shakespeare.


↑DA CAPO