Preußisches Märchen
Boris Blacher
Text vom Komponisten und Heinz von Cramer
Berlin, Theater des Westens, September 1952
Carl Zuckmayers Drama Der Hauptmann von Köpenick aus dem Jahr 1931 ist dank der legendären Verfilmung durch Helmut Käutner mit Heinz Rühmann populär geworden.
Der Film entstand vier Jahre nach der Berliner Premiere von Boris Blachers Opernversion des Stoffes, für die noch kurz vor der Uraufführungen einige kritische Passgen des Librettos entschärft werden mußte. Zu tief saß die Kritik am preußischen Beamtentum und dessen »Wiedereinsetzung« nach dem Zweiten Weltkrieg.
Vor allem auch deshalb, weil Blacher die von Zuckmayer eingeführten Randfiguren, die als Sympathieträger neben dem Anti-Helden Wilhelm Vogt fungieren könnten, mit einer einzigen Ausnahme gestrichen hat: Es blieb aus dem Theater-Szenarium nur der jüdische Händler, dem Wilhelm die Uniform abkauft, mittels derer es ihm dann gelingt, das Rathaus von Köpenick zu besetzen und den preußischen Obrigkeitsstaat zu desavouieren.
Im übrigen wirkt Blachers Oper härter, direkter als Zuckmayers Schauspiel, denn die Handlung wurde auf das Wesentliche beschränkt - und die Gegenspieler Wilhelm sind allesamt bösartige - oder zumindest zwielichtige Figuren.
Ganz bewußt fließen auch Elemente aus Heinrich Manns satirischem Roman Der Untertan ins Spiel ein. Der falsche Hauptmann steht als einzige Lichtgestalt zwischen Finsterlingen wie dem Bürgermeister (Baß) und Wendehälsen wie dem Assessors Birkhahn (Tenor), dessen Verlobung mit Auguste (Sopran) so kurzlebig ist wie das Interesse der Bürgermeisterstochter Adelaide (Sopran) für Wilhelm (Bariton) - es dauert nur so lange als dieser in der falschen Uniform steckt.
Das Element der Karikatur verstärkt Blacher im Falle der Eltern Wilhelms und Augustes – indem er den Vater Fadenkreutz einem Sopran, die Mutter aber einem Baß anvertraut.
Das geradezu an Offenbach orientierte Ensemble der Eroberung des Rathauses bietet auch noch der Bürgermeisters-Gattin (Mezzosopran) einen großen Auftritt als ausgleichende Instanz.
Blacher beherrscht die Regeln der Polyphonie so souverän, wie es ihm gelingt, geradezu liedhaft schlichte Arien zu gestalten und damit einen neuen Lustspielton zu treffen, der zur Zeit der Entstehung querstand zu allen Vorgaben der deutschen Avantgarde. Ein frühes Beispiel für die Möglichkeiten, die der sogenannten Neuen Musik offenstanden, die aber erst die sogenannte Postmoderne zu nutzen verstand.