Wotan:
Bariton oder Baß?

Unmißverständliche Aussagen in einem Brief des Komponisten an den ersten Darsteller des Hagen in der Bayreuther »Götterdämmerung«, 1876

Im Wiener Dorotheum kam im Juni 2021 ein bis dato unbekannter Brief Richard Wagners an den Baß Gustav Siehr zur Versteigerung. Der Inhalt ist für Musikwissenschaft wie Opernpraxis relevant, räumt der Komponist doch darin alle Zweifel aus, ob die Figur des Wotan in seiner Ring-Tetralogie für einen Bariton oder einen Baß komponiert sei.

Der Wortlaut

Lieber Herr Siehr!

Eine Bitte und Frage. Wollen Sie sich den »Wotan« ansehen? Die Klavierauszüge besorgt Ihnen gewiss Dr. Strecker (Schott, Mainz.) Sagen Sie mir dann, ob Sie sich mit dieser Aufgabe befreunden können würden. Soviel ist gewiss, dass ich nicht an eine Barytonstimme dachte, als ich sie entwarf, sondern an eine wirkliche, wenn auch umfangreiche Bassstimme. Einzelne hohe Lagen könnten abgeändert werden. - -
Für jetzt, geehrtester Freund, aber noch nichts davon verlauten lassen ...


Richard Wagner schrieb diesen Brief nach den Bayreuther Premieren des ersten Festspielsommers, im September 1876, also im Bewußtsein der Erfahrungen mit der Uraufführung der Götterdämmerung. Gustav Siehr war der erste Hagen - also ein echter Baß. Den Wotan (und Wanderer) in den ersten drei Teil-Werken des Rings des Nibelungen hatte Franz Betz gesungen, mit dessen Leistung Wagner nicht zufrieden war. Betz war auch der erste Hans Sachs in den Meistersingern von Nürnberg gewesen. Nun suchte Wagner jedoch nach einer dunkleren, mächtigeren Stimme für den Wotan und war offenbar sogar bereit, dafür einige der notierten hohen Töne zu opfern!


Die entscheidenden Zeilen im Manuskript.



Aufschlußreich für das Verständnis von Wagner Auffassung der Wotan-Gestalt sind die Nachrichten an deren ersten Interpreten. Briefe an Fraz Betz zeigen, in welche Richtung Wagner seine Sänger zu leiten versuchte - immerhin war Betz 1867 von König Ludwig II. ausdrücklich in der Bariton-Partie des Wolfram von Eschenbach im Tannhäuser eingesetzt worden, was auf den Charakter seiner Stimme schließen läßt. Ein Jahr später bezeichnete der Komponist den Sänger in einem Brief an den König als seinen ausdrücklich gewünschten Interpreten für dne Hans Sachs in den Meistersingern.

Wagner über Wotan an Betz:
Es freut mich wenn Sie an den Wotan gehen: es wird auch dazu kommen, und dann, wie schön, wenn Sie so ganz in dieser Aufgabe zu Laufe sind. Um sich von Anfang recht mit der Rolle zu befreunden, studieren Sie den dritten Akt der Walküre zuerst; das ungeheuer Schwierige liegt im zweiten Akte; diesen müßten Sie meinem Rate gemäß, geradwegs erst durch Rezitation sich vertraut machen, – wiewohl allerdings ohne die Hilfsmittel der musikalischen Modulation die Dektination desselben – etwa durch einen Schauspieler – ganz undenklich ist. Eine gute Stylübung bietet übrigens das Rheingold, nämlich was richtige rhythmische musikalische Redeflexion betrifft.
Bezeichnend ist eine Anmerkung in einem Brief an Betz, mit der der Komponist lange vor der Bayreuther Ring-Premiere Zweifel des Künstlers auszuräumen versuchte - wenn sich daran auch bereits ablesen läßt, was später zu seiner Unzufriedenheit führen würde:
Meine letzte scherzhafte Wendung, nicht »Opern-Philister« zu werden, bezog sich einzig auf die eigentümlichen Zweifel an Ihrer künstlerischen Begabung, welche Sie mir wiederholt bereits vorgebracht haben.
Daß Sie sich z.B. das »Dämonische« nicht zutrauen, gehört hierher: denken Sie, es gebe ein Fach für »dämonische«? Ich bin, nach meinen so glücklichen Erfahrungen von Ihnen, ganz sicher, daß, könnte ich einmal den »Fliegenden Holländer« so mit Ihnen durchgehen, wie damals den Sachs, Sie bald gar nicht mehr an das »Dämonische« denken, sondern einfach das Richtige, Tiefergreifende treffen und leisten würden. Ich habe Ihrem »Telramund« assistiert und weiß, was ich von Ihnen habe. Dann aber auch machen Sie sich Skrupel über tiefe Noten? Das ist nun eben »Opern-Philisterei«. Kann es einem vernünftigen Dramatiker je darauf ankommen, seine Sänger durch tiefe d's und h's u.s.w. brillieren zu lassen? Die tiefen Töne wende ich in ganz anderem Sinne an, als etwa nur durch recht bärbeißige Kraft wirken zu lassen. Darum – nur keine Sorge! – Alles wird sich machen!


Die Aufführungen anläßlich der ersten Bayreuther Festspiele verliefen dann keineswegs friktionsfrei. Post festum beschwert sich der Komponist in einem Brief an Lilli Lehmann über Betz, dem er zumindest schlechte Manieren vorwirft:
Nur Betz wirft einen Schatten in meine Erinnerung! Der Unglückliche ging so weit, namentlich im Anfange der letzten Aufführung der Walküre seine Partie gerades weges zu verspotten. Während ich über die Gründe seines Benehmens immer noch nachsinne, bestätigt man mich immer mehr darin, daß er sich geärgert habe, nicht herausgerufen werden zu dürfen!
Doch dürften auch stimmliche Fragen Wagners Unzufriedenheit provoziert haben, nicht nur die rigide Bayreuther Applausordnung. Angeblich hatte Betz erklärt »nie wieder nach Bayreuth kommen« zu wollen.

↑DA CAPO