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Parsifal

von Richard Wagner (1882)

Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen

PERSONEN DER HANDLUNG

Wie so oft bei Richard Wagner stimmen Historie und autobiographischer Bericht nicht überein. Wagner erzählte einst bildhaft von einem Erweckungserlebnis am milden Karfreitag des Jahres 1856, als ihm wie in einer Erleuchtung sein Parsifal-Drama vor Augen stand, das er dann in einem genialen Wurf sogleich umfassend skizzierte. Ein schöpferisches Ur-Erlebnis, das später in der Musik des berühmten Karfreitagszaubers seine künstlerische Erfüllung finden sollte.

Nichts davon sei wahr, gestand der Dichter-Komponist später seiner Cosima, die Geschichte sei »eigentlich an den Haaren herbeigezogen«. Es sei gar kein Karfreitag gewesen, »nur eine hübsche Stimmung in der Natur, von welcher ich mir sagte: So müßte es sein am Karfreitag.«

Tatsächlich ist der Parsifal, wie manch anderes Wagnersches Musikdrama, in einem Jahrzehnte umspannenden, langsamen Reifeprozeß entstanden, in dessen Spätphase erst der endgültige Text-Entwurf entstand, und ganz zuletzt die nun als Faksimile vorliegende Partiturreinschrift.

1845 in marienbad

Man muß zurückblenden ins Jahr 1845, zu Wagners Kuraufenthalt in Marienbad, der entscheidend werden sollte für seine Laufbahn. Für die Reise nach Marienbad hatte sich Wagner mit Lektüre eingedeckt, die er gründlich zu durchforsten gedachte. Vollendet war gerade der Tannhäuser, in dem der Minnesänger Wolfram von Eschenbach leibhaftig auf der Bühne erscheint. Das Parzival-Epos des echten Wolfram befand sich nun ebenso im Gepäck des Kurgastes wie deutsche Sagen und eine umfassende Literaturgeschichte. Wagner verschlang diese Lektüre und zog daraus Stoff für kühne Bühnenvisionen. Nimmt man den Tristan aus, dann sind in Wahrheit sämtliche großen Bayreuther Festspiel-Stücke nach Tannhäuser anläßlich dieses Kuraufenthaltes gezeugt worden: Die Skizzen zu Siegfrieds Tod wuchsen sich in den folgenden Jahrzehnten zum Ring des Nibelungen aus, ein Entwurf zu den Meistersingern von Nürnberg, der zunächst völlig unbeachtet liegenblieb, erblühte Anfang der Sechzigerjahre zu Wagners längstem Musikdrama - und zu seiner einzigen »Komödie«. Vor allem aber zeitigte die Wolfram-Lektüre ein spontanes Ergebnis: Eine Nebenhandlung in diesem Versepos verwandelte Wagner in seinen Lohengrin. Und dieser Lohengrin berichtet gegen Ende des Werks von seinem »Vater Parzival«, dem Gralskönig. Und der sollte dreißig Jahre später - als Parsifal - zum Helden von Wagners allerletztem Werk werden, zu jenem »Bühnenweihfestspiel«, das ausschließlich für Aufführungen im Bayreuther Festspielhaus bestimmt war.

Gesperrt für Bayreuth

Über diese Sperr-Verfügung Wagners hat sich die Welt mit Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist, 1912, natürlich hinweggesetzt. Sehr zum Ärger sensiblerer Geister, die eine Entweihung des »Bühnenweihfestspiels« befürchteten. Richard Strauss tobte:

Der deutsche Spießbürger wird am Sonntagnachmittag, zwischen Mittagessen und Abendschoppen, statt fortwährend in den Kintopp und in Operetten zu gehen, auch für fünfzig Pfennig den »Parsifal« hören.

Das war gewiß nicht im Sinne des Erfinders. Wagner hat in sein Spätwerk tiefste philosophische Gedanken verwoben und führt sein Publikum bei langsamem Grundtempo stetig und unausweichlich einer Katharsis zu, die zu den Reinigungsprozessen der antiken Tragödien ein im tiefsten Sinne "modernes" Gegenstück bildet.

Das Drama der Moderne

Nirgendwo sonst in der europäischen Kulturgeschichte wird der zentrale Punkt des gerade in jüngster Zeit viel beschworenen, aber wohl kaum hinterfragten "christlichen Abendlandes" so unverhüllt thematisiert: In der Kuß-Szene des zweiten Aufzugs, wenn Parsifal sich den Umarmungen der verführerischen Kundry entzieht, bekennt diese ihre Erbschuld. Sie war auf Golgotha, als Christus ans Kreuz genagelt wurde:

Ich sah ihn, ihn und --- lachte!

Die Singstimme stürzt vom hohen H zwei Oktaven hinab zum cis - ins Bodenlose.

Wo auf dieser Verfallskurve befinden wir uns heute? Ließe sich das Verlachen des Heilsgedankens als zentrales Thema des heutigen kulturellen Selbstverständnisses zumindest in Europa definieren?

Da traf mich sein Blick,

-- was dieser Blick bedeutete, hören wir aus der Musik, die die Wagner dieser "Beichte" Kundrys folgen läßt, die vielleicht trostlosesten, einsamsten Klänge, die je komponiert worden sind. Kundry ist in der "Gottesfinsternis", die Hölderlin so wortgewaltig beschworen hatte, und die hier zu klingen begann, zu endlosen Irrfahrten

von Welt zu Welt
verurteilt, um
ihm wieder zu begegnen.

Das musikalische Gegengewicht zu dieser »schwarzen« Szene schafft dann tatsächlich der Karfreitagszauber im dritten Aufzug - die Natur weint nicht an »des Höchsten Schmerenstag«, wie Parsifal erstaun feststellt. Sie atmet auf im Bewußtsein der Erlösung - und der ewigen Wiedergeburt. Auch Wagners Synkretismus nimmt Tendenzen der Moderne hellsichtig vorweg.



→ Richard Wagners Inhaltliche Anmerkungen zum Parsifal.

→ Wagners »programmatische Erläuterungen« zum Vorspiel des Parsifal










Aufnahmen

Die klangschönste Gesamtaufnahme, in der vor allem die metaphysischen Dimensionen der Musik dank wunderbarer Ausdrucksdichte des Orchesterspiels anklingen, stammt aus Berlin: Herbert von Karajan hat sie in Vorbereitung seiner Osterfestspiele 1980 mit seinen Philharmonikern eingespielt; allerdings keineswegs mit einer einheitlichen, geschweige denn idealen Sängerbesetzung. Der gesanglich vollkommene Parsifal existiert vermutlich nicht. Doch finden sich hier und da atemberaubende Szenen, die man gehört haben sollte, wenn man sich in dieses Werk vertiefen möchte.

Natürlich gehört der Bayreuther Livemitschnitt von 1951 unter Hans Knappertsbusch zu den notwendigen Versatzstücken jeder gut bestückten Diskothek. Hier ist es nicht zuletzt die Kundry von Martha Mödl, die eine überwältigend vielschichtige Charakterisierung der "Höllenrose" bietet.

Die Verführungsszene am schönsten gesungen hat zweifellos Christa Ludwig. In Georg Soltis Wiener Studioproduktion hört man sie an der Seite des für die jugendlich-naiven Momente der Partie perfekten Rene Kollo, dem es allerdings für den großen Ausbruch nach der Kuß-Szene an der nötigen Kraft gemangelt hat. Es ist halt doch eine Heldenpartie. Diesbezüglich muss man schon zu Interpreten wie Ramon Vinay zurückgehen, die miterleben lassen, wie der reine Tor Atemzug um Atemzug "welthellsichtig" wird.

Die langen Erzählungen des Gurnemanz im ersten Aufzug hat zu Vinays Zeiten übrigens Ludwig Weber (ebenfalls bei Knappertsbusch 1951 zu hören) unvergleichlich differenziert und anrührend gestaltet.

Was den Amfortas und seine Leidenstöne betrifft, hat George London - unter anderem auf der zweiten offiziellen Knappertsbusch-Aufnahme aus Bayreuth - Maßstäbe gesetzt. Und doch darf man nicht auf unseren Eberhard Waechter vergessen. Er lieferte in Bayreuth anno 1959 einen wohl einzigartigen Beweis, mit wie viel verzweifeltem Ausdruck ein Bariton veritablen Schöngesang anreichern kann. Wenn er kann.

Und die Blumenmädchen? Sie hat das Wiener Staatsopernorchester unter Christian Thielemanns Leitung beim Livemitschnitt mit dem blendend disponierten und in diesem Fall auch disziplinierten Placido Domingo auf unvergleichlich erotisierende Weise mit impressionistisch farbenreichen Klängen umwebt. Auf CD seit Langem eine der empfehlenswerten Gesamtaufnahmen.



↑DA CAPO