Daphne

Richard Strauss

Das bedeutendste der Spätwerke des Meisters, live 1964


Wiener Staatsoper 2004

Apollinisch, dionysisch, alles eins!

1964 hatte Karl Böhm "Daphne" im Theater an der Wien exemplarisch einstudiert. Es dauerte 40 Jahre bis zur Wiederkehr!

"Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein", heißt es in einem anderen Stück des Meisters. Zu dem hat freilich Hugo von Hofmannsthal den Text gedichtet, weshalb niemand je auf die Idee gekommen ist, den "Rosenkavalier" eines schlechten Librettos zu zeihen. Bei "Daphne" ist alles anders. Hofmannsthal war 1929 gestorben, Stefan Zweig, den Strauss als geradezu idealen Poeten für seine musikdramatischen Pläne empfunden hatte, musste vor den Nationalsozialisten fliehen.

Joseph Gregor fand sich, weniger Dichter als, wie man heute sagen würde, Dramaturg, weshalb er - wie die meisten Dramaturgen - vom Theater nicht halb so viel verstand wie der Komponist selbst. Doch haben sich die beiden zusammengerauft, besser: Strauss hat als Spross einer Münchner Bierbrauer-Dynastie die rechten, bodenständig-derben Worte gefunden, Gregors Versuche, in die Regionen der Poesie vorzudringen, in die Schranken zu weisen.

"Bukolische Tragödie"

So entstand, zuletzt gar nicht übel, das Textbuch zur so genannten bukolischen Tragödie. Bühnenbildner Pet Halmen hat diese nun genau dort angesiedelt, wo sie Richard Strauss erdachte, in der mythologischen Schwärmerei des Bildungsbürgertums im Fin de siecle. Strauss kam damit ein wenig spät, flüchtet er doch mit diesem Werk mental vor den immer bedrohlicher werdenden Zeitläuften willig in die Arme einer Antiken-Träumerei.

Regisseur Nicolas Joel erfindet dazu eine Rahmenhandlung. Daphne muss auf den Sonnengott nicht lange warten. Er sitzt bereits an ihrer Bettstatt, während aus dem Off die Stimmen der Hirten und des Chors erklingen. Das bleibt den ganzen Abend so. Attisches Hirtenvolk tritt nicht in Erscheinung, was für die Präzision der oft nur kurzen, aber heiklen Einsätze der Herren des Staatsopernchors nicht eben zuträglich ist.

Aber das Stück, lernt man da, entsteht diesmal nur in der Fantasiewelt der Titelheldin, die wohl eine etwas überspannte Person ist, der Mama und Papa ein wenig helfen, ihre Tagträume auszuleben. Wir träumen mit ihr, denn Nicolas Joel erzählt in der Folge die Fabel mit allen personellen Verstrickungen und Beziehungen. Der griechische Salon mit Statuen und Wandmalereien in antikisierendem Jugendstil verwandelt sich in ein Theater. Daphnes Vater (Walter Fink) singt als Flussgott Peneios vom homerischen Gelächter, Mutter Gäa (Marjana Lipovsek) lotet Tiefen aus, jene der Erde, jene ihres Stimmregisters und die Möglichkeiten, Joseph Gregor umzudichten.

Zwei Tenöre sind Daphnes Untergang

Ricarda Merbeth im weißen Plisseehängerchen wird erregter und erregter. Sie ist bald eine herrliche Daphne, findet von den leichten, perlenden Koloraturgirlanden des sehnsüchtigen Naturmonologs zu weichen, dann auch dramatisch verdichteten melodischen Linien.

Zwei Tenöre sind ihre Herausforderung und ihr Untergang. Michael Schade gibt den Hirtenknaben Leukippos, der so schön auf seiner Flöte spielt, dass die keusche Daphne beinahe schon erotische Begierden keimen fühlt. Doch zu irdisch, zu banal erscheinen ihr seine Lust und erst recht sein plumper Versuch, sich in Mädchenkleidern während des Dionysos-Festes zu nahen und im allgemeinen Rausch endlich auch sexuelle Erfüllung zu finden.

Schade verwandelt sich darstellerisch wie stimmlich behutsam vom unschuldigen Gespielen über ein Trotzbinkerl, dem die Avancen zweier hübsch timbrierter Mägde (Genia Kühmeier und Aarona Bogdan) noch allzu neckisch, aber nicht reizlos erscheinen, zum glühenden Liebhaber. Wenn überhaupt, kämpft er mit den tiefsten Tönen, die Strauss ihm zugedacht hat. Insgesamt aber singt er wunderbar wohllautend, ausdrucksvoll - und bewältigt das so unscheinbar positionierte, doch so heikle hohe C kraftvoll.

Johan Botha: ein strahlender Apoll

Den anderen Tenor hat der Komponist noch rücksichtsloser behandelt: Phöbos Apollon soll ein strahlender, über alle Zweifel und Höhenschwierigkeiten erhabener Sängergott sein. Und Johan Botha ist ein solcher. Kein A, B oder H ist ihm zu hoch, keine übergebundene ganze Note zu lang. Was jahrzehntelang als nahezu unsingbar galt, wird ihm zum Fest der klaren, noch dazu erstaunlich wortdeutlich artikulierenden Phrasierungskunst.

Dabei hat Botha keinen effektvollen Auftritt. Er sitzt von Anbeginn auf der Szene, verwandelt sich dann der träumenden Daphne zuliebe in den Sonnenlenker. Die Natursehnsucht des Mädchens wirft ihn aus seiner, ihm von den Nietzscheanern zugedachten Rolle. Apollinisch, dionysisch, alles eins - auch Phöbus will Liebe und bekommt, eingehüllt in einen blauen Vorhang, der sich flugs in den Göttermantel verwandelt, immerhin seinen Kuss.

Dessen Wirkung beschreibt das philharmonische Orchester mit magischen Harmonien, die Semyon Bychkov so natürlich dirigiert wie den ganzen Fluss dieser leuchtend schön orchestrierten Partitur. Kammermusikalische Farben und mächtig aufrauschende Wogen des ganzen, riesigen, vielfach aufgefächerten Instrumentalensembles ergeben sich in dieser Aufführung wie naturhafte Prozesse.

Die Holzbläser schwelgen in Harmonie, ländlich, sittlich, sauber intoniert. Nur die ersten Geigen haben nicht ihren allerbesten Tag: Wo der Gesamtklang von schimmernd schönen Kantilenen überwölbt werden sollte, bleibt er stumpf. Und die mit hörbarem Bauchweh absolvierten Tongirlanden, die vom Konzertmeisterpult her erklingen, lassen hören, dass es für "Daphne" keine Spieltradition in diesem Hause gibt. "Elektra" und "Rosenkavalier" hat man sich beigebogen. Die Zweiunddreißigstel hier muss man erst sichten und ordnen.

Warum Säule und nicht Lorbeerbaum?

Doch im Ganzen ist diese "Daphne" akustisch von edelstem Zuschnitt. Und optisch setzt man auf dezente Ästhetik, in deren Rahmen beinahe vollständig die Geschichte erzählt wird. Gewiss, man hat auch auf der Opernbühne schon orgiastischere Besäufnisse zu Ehren des Dionysos und anderer Promille-Förderer gesehen. Und man kann sich fragen, warum sich die Titelheldin zuletzt nicht doch, wie geschrieben und gesungen, in einen Lorbeerbaum verwandeln darf, sondern eine Säule werden muss.

Apollo setzt sich zuletzt wieder auf seinen Fauteuil. Die Chaiselongue vor ihm freilich ist nun leer. Wahrscheinlich wartet er nun, eine Art altgriechischer Obelix, auf ein neues Opfer, um die nächste Säule zu produzieren. "Daphne" hat, Rahmenhandlung hin oder her, recht eindrucksvoll stattgefunden. Wiens Opernfreunde jubeln.

↑DA CAPO