Irrelohe

Versuch mit Franz Schreker an der Wiener Volksoper

Wieder entdeckte Musik, so lautet das Motto einer Aufführungsreihe der Wiener Volksoper. Doch handelt es sich bei der Premiere von Franz Schrekers Irrelohe um die szenische Erstaufführung des Werks in Österreich. Franz Schreker sei, so heißt es, zu seiner Zeit so erfolgreich wie Richard Strauss oder Erich Wolfgang Korngold gewesen. Der Bannstrahl der "Entartung" hätte 1933 eine blühende Karriere grausam unterbrochen. Die Fakten sind ein wenig anders. Zwar wurden die Libretti, dem freudianischen Zeitgeist verpflichtet, viel diskutiert. Schrekers Stern sank freilich schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Wien - immerhin ein nicht ganz unwesentliches Musikzentrum - sah zu Lebzeiten des Komponisten nicht einmal sein meistgespieltes Stück, den fernen Klang. Von Irrelohe nicht zu reden. Auch der Schatzgräber verschwand nach wenigen Aufführungen vom Spielplan.

Dennoch geistert die Idee der Notwendigkeit einer Schreker-Renaissance durch die Köpfe der Intendanten. Es könnten sich ja auch die Zeitgenossen geirrt haben, Irrelohe-Uraufführungs-Dirigent Otto Klemperer etwa, der ausdrücklich von »Inflationsmusik« sprach.

Nun zeigt die Volksoper also das Werk in einer wackeren Inszenierung von Olivier Tambosi, die das Kaffeehaus-Bühnenbild Frank Schlößmanns mit schönen Lichteffekten ausleuchtet und die krause, von Schreker wie immer selbst gedichtete Geschichte ein wenig verfremdend, aber nachvollziehbar erzählt; erst ganz zuletzt, wenn alles in Flammen aufgeht, tauchen Nazi-Schergen auf, die im Libretto wirklich nicht vorgesehen sind, und werfen die meisten handelnden Personen, was auch so nicht im Buch steht, ins Feuer.

Es ist aber auch nicht leicht, da muss man den Regisseur beinah in Schutz nehmen, Schreker beim Wort zu nehmen. Selbiges ist nämlich von einer Plattheit, die quer zum offenkundig angepeilten psychologischen Tiefgang steht. Der Text der Irrelohe liest sich wie der Versuch eines Frühpubertären, der in der Psychologiestunde nicht richtig aufgepasst hat, einen Aufsatz über die Traumdeutung zu schreiben. Die Naivität, um nichts Schlimmeres zu schreiben, mit der Schreker hier zu Werke geht, grenzt in manchen Passagen ans Unfassbare. So legt er einem Mann, der nach dreißig Jahren an die Stätte zurückkehrt, wo seine Geliebte einst vom Grafen von Irrelohe vergewaltigt wurde, die bedeutsamen Worte in den Mund: »Ja, ja. Lang, lang ist's her«. Fehlte noch, dass er danach anstimmte: »Es wird ein Wein sein...«

Klang, der sich selbst genügt

Freilich: Hiezu mangelte es Schreker an musikalischen Eingebungen. So platt wie der Text, der von sexuellen Fixierungen und Besessenheiten aller Art erzählt, so flach ist auch der musikalische Gehalt der Partitur, die klingt, als reihte einer alle weniger gelungenen Modulationsphasen einer Richard-Strauss-Tondichtung aneinander, um beim endlich erreichten Fis-Dur dann doch keine Melodie zu finden. Was an Instrumentations-Finessen zu hören ist, und die klangliche Auffächerung des riesigen Orchesterapparats ist das einzige handwerkliche Plus dieses Werks, bleibt Selbstzweck, nie strukturell motiviert, nur durch simpelste Assoziationen: Wo ein Brandstifter musikalisch mit einer Mischung aus Feuerzauber- und "Waberlohe"-Motiv avisiert wird, regiert nur noch Peinlichkeit.

Das ist auch von einem noch so engagiert aufspielenden Volksopern-Orchester unter Dietfried Bernet nicht aufzuwerten. Man musiziert mit hörbarer Lust und Verve, hin und wieder freilich sehr an der Obergrenze der Lautstärkeskala, was es den Sängern schwer macht, ihre extrem notierten Partien immer deutlich zu artikulieren. Doch bleibt die Leistung Heidi Brunners als Eva, leidenschaftlich zwischen zwei Männern hin und hergerissen, bewundernswert. Der schöne Mezzo ist zum leuchtenden, samtigen Sopran geworden, ohne an Farbvaleurs einzubüßen. Die gute Nachricht zur Premiere.

Auch Wolfgang Koch als von Enthaltsamkeit gequälter Liebhaber leidet stimmlich expressiv. Sein gräflicher Widerpart, John Uhlenhopp, flüchtet sich hingegen sofort ins Falsett, wenn es schwierig wird. Bleiben Kurt Schreibmayer, dem die karikierende Rollengestaltung eines brandstiftenden Biedermanns gelingt und durchwegs ordentlich besetzte Nebenrollen. Und ein Fragezeichen, wozu das alles gut sein soll.




↑DA CAPO