Die Nase
Oper in 3 Akten und einem Epilog (10 Bilder) von Dmitrij Schostakowitsch nach Gogol
(Uraufführung: 1930 Leningrad)
PERSONEN DER HANDLUNG:
Platon Kusmitsch Kowaljow, Kollegienassessor (Bariton) – Iwan Jakowlewitsch, Barbier (Bass) – Praskowja Ossipowna, dessen Frau
(Sopran) – Ein Wachtmeister (Tenor) – Iwan, Kowaljows Diener (Tenor) – Die Nase in Gestalt
eines Staatsrates (Tenor) – Pelageja Grigorjewna
Podtotschina, Stabsoffiziersfrau (Mezzosopran) –
Deren Tochter (Sopran) – Ein Angestellter der Annoncenredaktion (Baß) – Ein Arzt (Baß) – Jarischkin, Freund des Kowaljow (Tenor) – Eine alte Gutsherrin (Alt) – Brezelverkäuferin (Sopran) –
Straßenkehrer (Baß) – Portier (Tenor) – Kutscher
(Baß) – Spekulant (Baß) – Oberst (Tenor) – Mutter (Sopran) – Vater (Baß)
St. Petersburg, Mitte des XIX. Jahrhunderts
Die Handlung
1. Akt
Iwan Jakowlewitsch rasiert den Kollegienassessor Kowaljow, der nur an seine Beförderung denkt. – Tags darauf findet der Barbier beim Frühstück m frischen Brot eine Nase. Seine Frau ist sicher, er hätte diese Nase einem seiner Kunden abgeschnitten und bittet ihn, sie schleunigst wieder loszuwerden. – Doch wird Iwan ständig von Passanten beobachtet. Als er die Nase endlich in die Newa wirft, beobachtet ihn ein Polizist. – Nach der Nacht im Gefängnis stellt Kowaljow fest, daß nun ihm die Nase fehlt. Er stürzt davon, sie zu suchen und findet sie in der Kasaner Kathedrale - sie betet in der Uniform eines Staatsrates und weist Kowaljow wegen des Rangunterschieds ungnädig ab.
2. Akt
Die Polizei erklärt sich für nicht zuständig. Die Zeitung verweigert die Annahme einer Suchanzeige. Inzwischen läßt es sich der Barbier daheim bei Kowaljow gut gehen, muß dafür aber bald ins Gefängnis.
3. Akt
Ein Polizeitrupp kann die Nase in der Nähe einer Poststation am Stadtrand stellen. Die inzwischen immens gewachsene Nase wird auf ihre ursprüngliche Größe »zurechtgeprügelt« und an Kowaljow zurückgestellt. Doch der kann sie nicht mehr im Gesicht befestigen. Kowaljows Freund Jarischkin vermutet eine Racheakt der Familie Podtotschin, deren Tochter Kowaljow abgewiesen hat. Mutter Podtotschina ist entrüstet, verweist aber gleichzeitig darauf, daß ihre Tochter nach wie vor interessiert sei. – Inzwischen ist Kowaljows Nase zum Gegenstand der Volksbelustigung geworden. Die Polizei löst den Menschenauflauf auf.
Epilog.
Am nächsten Morgen erwacht Kowaljow und die Nase sitzt wie ehedem mitten in seinem Gesicht. Das Leben nimmt wieder seinen Lauf. Iwan, wieder freigelassen, erscheint zur Rasur. – Glücklich kann sich Kowaljow auf dem Newskij-Prospekt promenieren.
Für seine erste Oper arbeitete Schostakowitsch Motive aus mehreren Werken Gogols in sein Libretto ein. Unter anderem finde sich Element aus der auch von Mussorgsky zur Komposition erwogenen Heirat, und dem Jahrmarkt von Sorotschinzy. Außerdem aus Taras Bulba, Mainacht, Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen und den Toten Seelen.
Die Romanze des Iwan ist identisch mit Smerdjakows Lied aus Dostojewskijs Die Brüder Karamasow.
Die Oper steht in der Tradition der satirischen, grotesk überzeichnenden Musikkomödien wie Mussorgskijs Jahrmarkt von Sorotschinzy, Rimskij-Korsakows Der goldene Hahn und Prokofieffs Liebe zu den drei Orangen.
Die Anforderungen der bunt collagierten, für Kammerorchester gesetzten Partitur reichen von simplen Lieder bis zur prägnanten Geräuschkulisse. Die Orchesterkommentare und Zwischenspiele sind so strukturbildend für das Stück wie die an die 70 Gesangsparten. Neuartige Einfälle wie das große Schlagzeugsolo zwischen dem zweiten und dritten Bild oder Parodien auf Opernformen wie das groteske »Oktett der Hausknechte« während der Szene in der Anzeigenredaktion oder die simultan ablaufende »Brief-Szene« (Podtotschina liest den Brief, den Kowaljow gerade aufsetzt) verleihen der Nase geradezu experimentellen Zuschnitt. Schostakowitsch-Biograph Krzysztof Meyer nennt zahllose Beispiele für illustrative orchestrale Effekte, die direkt mit dem Bühnengeschen korrelieren - bis hin zu Rülpsern und den Schergeräuschen des Rasiermessers.
Doch war zum Zeitpunkt der Uraufführung die Epoche der radikalen avantgardistischen Experimente in Rußland vorbei. Um 1930 drängte das stalinistische Regime das sowjetische Kulturleben bereits in Richtung der totalen Simplifizierung. Bald war nur noch oberflächlicher Propaganda-Ton gefordert. So wurde Die Nase, wegen »formalistischer Tendenzen« bald verboten. Erst 1974 durfte das Werk in der Sowjetunion wieder gezeigt werden.