Von heute auf morgen
Arnold Schönberg
Eine komische Oper in Zwölftontechnik - des Komponisten wohl größtes Mißverständnis.
Das Umfeld
Zum Zeitpunkt der Arbeit an „Von heute auf morgen“ herrschte in Deutschland aber noch die Offenheit und Aufgeschlossenheit der „goldenen zwanziger Jahre“. Man diskutierte gern alles, was neu war. Daß Schönberg, der sich doch selbst gern des von so vielen Kommentatoren verwendeten Epithetons „Vater der Moderne“ bediente, dabei nicht im Mittelpunkt des Interesses stand, scheint daher verwunderlich.
Und doch: Es ist symptomatisch, daß Furtwängler, der Anwalt der Romantik, Beethoven-, Brahms- und Bruckner-Spezialist, sich Schönbergs Variationen annahm und nicht etwa Klemperer, der so prononciert für die Avantgarde stritt. Tatsächlich reagierten die damaligen Vorkämpfer seismographisch auf den Schönbergs neuesten Werken innewohnenden, subkutanen Konservativismus.
Die »Zeitstücke«
Oberflächlich betrachtet, gehörte er als Erfinder der Zwölftontechnik zu den radikalsten Modernen. Inhaltlich aber nahm seine Musik nach der „Zwölftonwende“ mehr und mehr retrospektive Züge an.
Mit dem frech-unbekümmerten Zeitgeist, wie ihn die Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“ verkörperten, hatte ein hermetisches Stück wie die Orchestervariationen nichts zu tun. Schönberg hatte, anders als Zeitgenossen vom Schlage Hindemiths oder Weills, der romantischen Geste Richard Wagners nie ganz abgeschworen.
Der Expressionismus seines Frühwerks, der sich in den Kompositionen der freitonalen Periode noch zu überhöhen schien, stand in krasser geistiger Oppositionshaltung zu den Zielen der „neuen Sachlichkeit“, die mit romantischem Pathos radikal aufräumen wollte.
Otto Klemperer, der sich in Berlin noch mit einem Schönberg-Konzert eingeführt hatte und dann konsequent Strawinsky, Hindemith, Weill oder Krenek aufführte, damit also zu einem der führenden Vorkämpfer für die Moderne wurde, verschloß sich in jenen Jahren dem Großteil von Schönbergs Schaffen wohl aus diesem Grund: Der „Vater der Moderne“ war in Wahrheit kein Vertreter des Zeitgeistes.
Der Expressionismus der freitonalen Stücke war Klemperer offenkundig so suspekt wie die retrospektive Ästhetik der Zwölftonwerke, die sich an barocken und klassischen Formen orientierte, ohne diese respektlos-zynisch zu hinterfragen oder zu persiflieren, wie das viele Zeitgenossen, besonders deutlich etwa Paul Hindemith, getan hatten.
Frau Schönbergs Text
Die Kommentatoren in jenen Jahren übersahen die Differenzen in ihrer Wut auf alles Neue geflissentlich. Aber sogar Schönberg selbst ließ sich offenbar täuschen. Daß er einen Text wie jenen zu dem Einakter „Von heute auf morgen“ komponierte, den seine Frau Gertrud unter dem Pseudonym Max Blonda gedichtet hatte, beweist, daß er meinte, seine Tonsprache vertrüge sich mit einem dermaßen „zeitgeistigen“ Sujet. Die Story ist so platt wie viele der damals üblichen, boulevardesken Anleihen am modernen großstädtischen Leben der gelangweilten, nach immer neuen Reizen gierenden Zwischenkriegs-Gesellschaft.
Ein Ehepaar liefert sich nach und nach anwachsende Eifersuchts-Szenen. Die Frau ist fasziniert von einem Tenor, der Mann von der Freundin seiner Frau. Aus Ärger inszeniert sie sich theatralisch in einem mondänen Abendkleid, was sofort Wirkung zeigt: es ist wieder die Ehepartnerin, auf die der Herr des Hauses sein Auge wirft.
Allein, die verweigert sich ihm nun und spielt die Kapriziöse. Um ihm eine Lehre zu erteilen, schildert sie ihm ein mögliches künftiges Leben ohne Gemahl und flirtet via Telephon mit dem Tenor.
Das sitzt: Der Mann bekennt seine Schuld; und als Tenor und Freundin eintreffen, finden sie die beiden Ehegatten - ganz im Gegensatz zu ihren promiskuitiven Vorstellungen von einer „modernen Partnerschaft“ - in trauter Zweisamkeit.
Diskrepanzen
Dieses Sujet ließe sich vielleicht glaubhaft vertonen mit Song Verschnitten, unterlegt mit modischen Tanzrhythmen, wie Kurt Weill („Dreigroschenoper“, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“) oder Ernst Krenek („Jonny spielt auf“) sie so perfekt beherrschten.
Schönberg hingegen dachte nicht daran, seinen persönlichen Stil um einer solchen Sottise willen zu verleugnen. „Von heute auf morgen“ entstand zwar ganz offenkundig als Tribut an den frivolen Geschmack jener Jahre. Aber dieser Tribut sollte sich nach Schönbergs Willen auf das Libretto beschränken.
Bis heute verwundert die offenkundige Diskrepanz zwischen dem szenischen Geschehen und der Musik, die dieses Geschehen untermalt. Wobei Schönberg selbst in seinem Rundbrief an deutsche Theaterintendanten die Klänge als „heiter bis lustig, einige Male, so hoffe ich, vielleicht sogar komisch“ beschrieb, eine Charakterisierung, der sich außer dem treuen Exegeten Josef Rufer kaum ein späterer Kommentator anschließen konnte.
Adornos Verteidigung
Theodor W. Adornos dialektische Kapriolen fanden zwar auch für die Disparatheit der Oper „Von heute auf morgen“ erklärende Worte, allein, diese Erläuterungen klären recht eindeutig die Fronten. Schönbergs Orchesterbehandlung rechne, so Adorno, „endgültig mit dem fließenden, funktionellen Wagner-Klang ab“. Reine Polyphonie ohne Beziehung auf Grundtöne herrsche, freie Melodiegestaltung in jeder Stimme.
Das aufmerksam mitzuverfolgen war und ist einem Publikum angesichts der harmlos komödiantischen Vorgänge auf der Bühne schwer möglich. Radikale Erneuerung, höchster intellektueller Anspruch im Musikalischen, Anleihen an die billigsten Schnurren der theatralischen Mode im Szenischen, das ergab einen schwer verdaulichen Cocktail.
Der Komponist war jedoch überzeugt, daß die Gewöhnung an seine neue Klangsprache nicht nur eine Besserung dieses Zustands mit sich bringen, sondern ihm sogar eine Vorrangstellung einräumen würde. Denn die Zwölftonmethode schaffe, wie er des öfteren bekannt hatte, „Einheit“, trage also zur leichteren Verständlichkeit bei.
Verzweifelte Sänger
Die Sänger, die „Von heute auf morgen“ für die Uraufführung einstudierten, hatten sich, so berichtet Schönberg, zunächst „ungeheur schwer getan“, obwohl sie alle über ein absolutes Gehör verfügten. Der Komponist erinnerte sich:
Aber plötzlich kam einer der Sänger zu mir und sagte mir, für ihn sei, seit er mit der Grundreihe vertraut geworden sein, alles viel einfacher. In kurzen Abständen erzählten mir alle anderen Sänger unabhängig von einander das gleiche.
Es schien also letztlich nur darum zu gehen, das Publikum auf die Auslotung des Zwölftonraumes einzuschwören, innerhalb dessen bei entsprechender Sensibilisierung eine Zwölftonreihe so prägnant empfunden werden mußte wie eine klassische oder romantische Melodie.
Diese Vorstellung erwies sich, betrachtet man die historische Entwicklung der Hörgewohnheiten, als irrig. Schon die Zurückweisung der Partitur durch die Krolloper hätte Schönberg klarmachen müssen, wie man seine Bemühungen um einen schnellen Erfolg mit einem „aktuellen“ Thema bei gleichzeitigem Festhalten an musikalisch-künstlerischer Ernsthaftigkeit in der Folge bewerten würde.
Otto Klemperers Enttäuschung
Klemperer war zunächst, als er vom Plan Schönbergs hörte, eine solche Oper zu komponieren, höchst interessiert, sich die Uraufführungs-Rechte zu sichern. Das Stück schien ins Konzept des Hauses zu passen, das nach Klemperers Amtsantritt mit etlichen Premieren die Berliner Öffentlichkeit spaltete.
Spätestens nach der szenischen Erstaufführung von Igor Strawinskys „Oedipus Rex“ war die Krolloper für viele Hort des unliebsamen künstlerischen Umstürzlertums. Auch Paul Hindemiths „Cardillac“ gehörte zu den von Klemperer gewählten Novitäten, die ihm bei der rechtsgerichteten Presse prompt den Titel „Kunstkommunist“ eintrug.
Auch wenn er später mit Zahlen zu belegen versuchte, daß die zeitgenössische Musiktheater während seiner Amtszeit in der Krolloper gar keine große Rolle gespielt habe, kam ihm damals die Aussicht auf eine Novität aus der Feder des umstrittenen Komponisten gerade recht. Zumal er Alexander Zemlinsky, den er als Kapellmeister gewonnen hatte, zusichern mußte, Schönbergs „Erwartung“ dirigieren zu dürfen.
„Von heute auf morgen“ sollte mit diesem früheren Werk einen Schönberg-Abend bilden. Allein: Eine Anfrage Klemperers Ende 1928 bei der Universal Edition blieb erfolglos. Man wisse nichts von einer neuen Oper, schrieb der Verlag nach Berlin.
Verlags-Probleme
Tatsächlich hatte Schönberg zu diesem Zeitpunkt seine Wiener Vertreter noch nicht von seinem Plan informiert. Zwischen ihm und dem Verlag war es schon während der vergangenen Monate wiederholt zu Unstimmigkeiten gekommen.
Der Komponist brachte die Oper schließlich im Selbstverlag heraus, ein Wagnis, das er nicht zuletzt deshalb auf sich nahm, weil er sich seiner Sache sicher war. „Von heute auf morgen“ mußte in seiner Zeitbezogenheit ein Erfolg werden, den vielleicht gleich mehrere Bühnen gleichzeitig besiegeln konnten:
Da ich in Folge eines Zwistes mit der Universal Edition vorläufig keinen Verleger nehmen kann, muß ich das Material selbst herstellen und möchte dessen Kosten auf mehrere Bühnen verteilen, und deshalb keine eigentliche Uraufführung vergeben, sondern trachten, ungefähr 10 Bühnen ohne Festsetzung eines Termines das Aufführungsrecht für die Dauer eines Jahres gegen Erwerb des Materials zu überlassen
So schrieb Schönberg an den ehemaligen Musikkritiker Paul Bekker, der die Intendanz des Wiesbadener Theater übernommen hatte und sich als alter Vorkämpfer für Schönberg an „Von heute auf morgen“ interessiert zeigte. Bekker war nicht der einzige Neugierige.
Auch Kleiber interessiert
Erich Kleiber, Chef der Berliner „Oper unter den Linden“, meldete sich ebenso wie Klemperer, dem Schönberg dann nach einem persönlichen Gespräch offenkundig doch die Uraufführung „halb und halb zugesagt“ hatte. Zumindest wußte Alban Berg das seinem Freund Kleiber mitzuteilen.
»Maßlos schwer«
Aber Klemperer, der zunächst so heftig interessiert war, wandte sich von dem Werk ab, nachdem er die Partitur studiert hatte. „Maßlos schwer“, lautete sein Urteil.
Auch Kleiber, der am Berliner Konkurrenzunternehmen immerhin Bergs „Wozzeck“ herausgebracht hatte, konnte sich nicht entschließen.
Die Zurückweisungen schienen wohl Schönbergs frühere Bewertung der prominenten Dirigenten zu bestätigen, die sich zwar für die Moderne stark machten, aber seine Kompositionen, wie er meinte, nicht gebührend berücksichtigten.
Uraufführung in Frankfurt
Schließlich kam „Von heute auf morgen“ in Frankfurt heraus. Der Uraufführung am 1. Februar 1930 folgten nur wenige Reprisen. Andere Häuser ließen sich auf das Wagnis nicht ein. Nur eine vom Komponisten selbst betreute Berliner Rundfunkeinstudierung folgte.
Danach blieb „Von heute auf morgen“ jahrzehntelang ungespielt. Bis heute gilt das Stück als schwer zu realisieren und undankbar.
Schönberg selbst, der unter den Kosten für die Verlagsarbeit an dem Werk schwer zu tragen hatte, konnte diese Einschätzung nicht verstehen, widersprach sie doch seinen Vorhersagen. Er war der Überzeugung, ein problemlos spielbares, lockeres Werk geschaffen zu haben.
Als Idealbesetzung für den Tenorpart hatte er noch allen Ernstes den für seine Mozart-, aber auch seine Lehar-Interpretationen berühmten Richard Tauber vorgeschlagen. Es ging ihm um Duftigkeit, Leichtigkeit, einen schwungvollen Ton, einen Ton, der allerdings auch Hintergründiges transportieren sollte.
An den Dirigenten der Uraufführung, Hans Wilhelm (im amerikanischen Exil später: William) Steinberg schrieb er zur Zeit der Einstudierung:
Der Ton des Ganzen soll eigentlich immer recht leicht sein. Aber man wird es fühlen dürfen oder ahnen sollen, daß hinter der Einfachheit dieser Vorgänge sich einiges versteckt: daß an der Hand alltäglicher Vorgänge gezeigt werden will, wie über diese einfache Ehegeschichte hinaus das bloß Moderne, das „Modische“ nur „von heute auf morgen“ lebt, von einer unsicheren Hand in einen gefräßigen Mund, in der Ehe, wie nicht minder in der Kunst, in der Politik und in den Anschauungen vom Leben.
Offenbar war die Botschaft allzu akribisch hinter musikalischen Schwierigkeiten verborgen. Die Diskrepanz zwischen Ideal und Realität ist für die Selbsteinschätzung des späteren Schönberg im übrigen symptomatisch. Noch gegen Ende seines Lebens schrieb der Komponist an den Dirigenten Hans Rosbaud:
das Verständnis meiner Musik leidet noch immer darunter, daß mich die Musiker nicht als einen normalen, urgewöhnlichen Komponisten ansehen, der seine mehr oder weniger guten und neuen Themen und Melodien in einer nicht allzu unzureichenden musikalischen Sprache darstellt, - sondern als einen modernen dissonanten Zwölftonexperimentierer. Ich aber wünsche nichts sehnlicher (wenn überhaupt), als daß man mich für eine bessere Art von Tschaikowsky hält - um Gotteswillen: ein bißchen besser, aber das ist auch alles. Höchstens noch, daß man meine Melodien kennt und nachpfeift.
→ Rezension einer von Pierre Boulez dirigierten konzertanten Aufführung in Wien, 1994