Wilhelm Tell
(Guillaume Tell)

Gioacchino Rossini


Uraufführung: 1829 Paris


PERSONEN DER HANDLUNGLa Guillaume Tell (Bariton) – Hedwige, Tells Frau (Sopran) – Jemmy, Tells Sohn (So- pran) – Arnold Melchthal, Geliebter Mathildes (Tenor) – Melchthal, Arnolds Vater (Bass) – Gess- ler, kaiserlicher Landvogt von Schwyz und Uri (Bass) – Radolphe, Offizier, Gesslers Vertrauter (Tenor) – Walter Fürst (Bariton) – Leuthold, ein Schäfer (Bariton) – Mathilde, habsburgische Prin- zessin (Sopran) – Ruodi, ein Fischer (Tenor)

Bei Altdorf (Uri), frühes XIV. Jahrhundert

Dramma lirico. Text:Victor-Joseph Étienne de Jouy und Hippolyte-Louis-Florent


1. Akt

Im Dorf freut man sich auf eine dreifache Hochzeit. Doch die Idylle trügt. Tell ist verzweifelt, weil Arnold, sein Bündnispartner im Freiheitskampf gegen die Tyrannei, sich ausgerechnet in eine habsburgischen Prinzessin verliebt hat. Doch Arnold steht zu seinem Wort, das er Tell gegeben hat.
Duett: Où vas-tu?
Der alte Melchthal segnet die Hochzeitspaare. Da stürzt Leuthold herein: Er hat einen von Gesslers Leuten erschlagen, die seine Tochter zu entführen wollten. Da der Fischer die gefährliche Überfahrt verweigert, rudert Tell Leuthold über den See. -- Schon erscheinen Gesslers Mannen. Melchthal stellt sich ihnen triumphierend entgegen: Niemand hier werde den Namen des Fährmanns verraten. Er wird abgeführt.

2. Akt

Mathilde erwartet Arnold zum Stelldichein.
Romanze: Sombre forêt
(Duett Oui, vous l'arrachez à mon âme). Sie versucht, ihn zum Wechsel auf die Seite der Habsburger zu überreden.

Doch als Arnold hören muß, daß Gessler seinen Vater ermorden ließ, steht sein Entschluß fest.
Terzett: Qu'entends-je?
Er leistet mit den Männern der Kantone Uri und Schwyz den »Rütli-Schwur«.

3. Akt

Arnold und Mathilde wissen, daß der Tod des alten Melchthal sie auf ewig entzweit. – Auf dem Altdorfer Kirchplatz demonstriert Zur Demontration seiner Macht, zwingt Gessler das Volk, auf dem Kirchplatz seinem Hut zu huldigen. Als Tell sich weigert, läßt ihn Gessler zur Buße einen Apfel vom Kopf seines Sohnes Jemmy schießen. Der Schuß gelingt. Doch Tell wird festgenommen, als er verkündet: Falls sein Sohn verletzt worden wäre, hätte ein zweiter Pfeil Gessler gegolten. Mathilde nimmt Jemmy in ihre Obhut.

4. Akt

Um Rache für den Tod seines Vaters zu nehmen, setzt sich Arnold an der Spitze der Schweizer Kämpfer, um Tell und das Land zu befreien.
Asile héréditaire
Die Verzweifelte Hedwig will bei Gessler um Gnade für ihren Mann bitten, als Mathilde mit Jemmy erscheint: Sie selbst will die Geisel für Tell sein. – Im Gewittersturm kann Tell aus dem Boot mit Gessler und seinen Soldaten springen und Gessler erschießen. Währenddessen haben die Truppen Arnolds Altdorf erobert. Als der Sturm abklingt, ist das Land frei, und Mathilde mit Arnold vereint.

Guillaume Tell ist Rossinis erste originale französische Oper - und gleichzeitig seine letzte große Bühnenarbeit. Eine Meisterleistung des Italieners, der mit diesem Werk unter Amalgamierung des italienischen und französischen Opernstils der Grand Opéra den Weg gewiesen hat: Tell wurde zum idealtypische Beispiel der Gattung.

Um die endgültige Form hat Rossini buchstäblich bis zur Generalprobe gerungen. Eine integrale Wiedergabe des meist stark verkürzt gespielten Werks, stellt die Dramaturgie auch vor gehörige philologische Probleme.

Zeitgeschichte

Der Revolutionäre Geist des Stücks beflügelte seinerzeit nicht nur die Phantasie der Pariser Intellektuellen jener Epoche - die Uraufführung fand quasi am Vorabend der »Julirevolution« statt - sondern auch die Vorkämpfer des »Risrogimento« gegen die österreichische Herrschaft in Italien.

Diese war noch aufrecht, als Rossinis Meisterwerk erstmals an der Mailänder Scala und in Rom (1840) zur Aufführung kam. Deshalb verlegte die Zensur die Handlung nach Schottland und die Oper hieß Rodolfo de Sterlinga. In St. Petersburg wurde 1836 Karl der Kühne zum Titelhelden . . .

Italienische Fassung

Calisto Bassis, Hauspoet der Mailänder Scala, schuf - wie zuvor schon für Le siège de Corinthe und Moïse et Pharaon die gültige italienische Fassung des Tell.




Die italienische Fassung war auch die erste Version, die im Schallplattenstudio verewigt wurde - dank dem grandiosen Giuseppe Taddei an der Seite von Mario Filipeschi (Arnold) - trotz allen Kürzungen eine packende Darstellung, basierend auf einer szenischen Realisierung des Stücks, 1954, in Bologna - auf der Bühne war Gabriela Tucci die Mathilde, im Studio Rosanna Carteri. (Cetra/Warner)

Den Tell hat Taddei noch 1974 in Hamburg gesungen, an der Seite von Teresa Zylis-Gara und Franco Bonisolli - mit allerlei »Unfällen« unter heftiger Beteiligung des Souffleurs, was im kursierenden Raubmitschnitt gut zu hören ist.

Für die Partie des Tell hat sich in seinen Jugendtagen sogar Dietrich Fischer-Dieskau interessiert - und sie (wiederum italienisch) - für die RAI Mailand gesungen. Auf der von Mario Rossi dirigerte Einspielung ist Anita Cerquetti eine hoch emotionale Mathilde.

Die erste Aufnahme des französischsprachigen Originals entstand 1972 mit dem großen Singschauspieler Gabriel Bacquier in der Titelpartie, der seinen ersten Tell kurz zuvor - auf Italienisch! - im Teatro Colon in Buenos Aires »ausprobiert« hatte. Im Studio traf er dann auf Nicolai Gedda und Montserrat Caballé, was eine durchaus dem Stil der Grand Opéra adäquate Vokal-Mischung ergab. (Warner)

Auf den Erfolg dieser EMI (HMV) Pioniertat reagiert sechs Jahre später Decca und trommelte unter der Leitung des jungen Riccardo Chailly ein luxruriöses Sängerteam für eine komplette Einspielung der italienischen Version in London zusammen: Mirella Freni sang die Mathilde, als Arnold war Luciano Pavarotti in strahlender Form aufgeboten, als Walter Fürst Nicolai Ghiaurov und als Melchthal der junge John Tomlinson. Ein wenig beeinträchtigt wird das Vokal-Glück freilich durch den etwas ungehobelten Dauerhochdruck-Bariton von Sherrill Milnes in der Titelpartie.

Das 1988 anläßlich der Saisoneröffnung in Mailand aufgenommene Konkurrenzprodukt unter Riccardo Muti kann trotz des schneidigen Dirigats nicht mithalten. Mit Giorgio Zancanaro steht zwar ein zivilisierter Tell zur Verfügung, aber Chris Merritt oder Cheryl Studer können es mit den Vorbildern nicht aufnehmen.

↑DA CAPO