Gioacchino ROSSINI
(* 1792 + 1863)
Der Meister des frühen Belcanto und sein Meisterwerk.
Es ist mit dem "Barbier von Sevilla" genau umgekehrt wie bei den meisten zeitgenössischen Opern:
Die werden in aller Regel, weil Publikum und – vor allem – Rezensenten
ihre Aufgeschlossenheit unter Beweis stellen müssen, unter großem
Zuspruch vom Stapel gelassen, versinken dann aber bald rettungslos im
unerbittlich flutenden Ozean der Musikgeschichte.
Der "Barbier von
Sevilla" hingegen erlebte, wie manche unvergängliches Meisterwerk, beim
Start ein Desaster.
Warum das so war, ist bis heute nicht ganz klar.
Der Misserfolg der Premiere
Waren es Provokateure eines Konkurrenzunternehmens, waren es die
Anhänger der Musik Giovanni Paisiellos, dessen „Barbiere di Siviglia“
eine der frühesten Vertonungen des Sujets darstellt, und der tatsächlich
eine der allerbesten Buffo-Opern ist, die je geschrieben wurden?
Vielleicht
war es auch eine Kombination von beidem.
Jedenfalls konnten sich die
Darsteller und Musiker vor Protesten während und nach der Vorstellung
kaum retten.
Erfolg mit Zeitverzgerung
Erst die Reprisen der ersten Produktion gerieten zu
Erfolgen; und es hat ein wenig gedauert, bis sich in anderen Städten die
Überzeugung durchsetzte, dass man es da mit einem weiß Gott nicht
alltäglichen Meisterwerk zu tun hat.
Freilich: Überall, wo man das Stück
auf das Programm setzte, war es sogleich ein Favorit des Publikums.
Besuch bei Beethoven
Angeblich
soll Ludwig van Beethoven, der nach einigem Hin und Her den jungen
Kollegen bei dessen Wien-Besuch dann doch empfangen hat, auf der Treppe
nachgerufen haben: „Machen Sie viele Barbiere . . .“
Nun weiß man
nicht sicher, ob diese Visite tatsächlich stattgefunden hat.
Rossini
berichtet davon, einige Beethoven-Vertraute bestreiten, dass der große
Symphoniker dem Italiener je die Hand geschüttelt habe; dass Beethoven
sich über den „Rossini-Rummel“ in Wien sehr geärgert hat, ist ein
Faktum.
Die Popularität der italienischen Opern kratzte ja an seinem
Ruhm, oder zumindest an den Aufführungszahlen.
Ein Jahrhundertwerk
Immerhin: Wenn es ein
Werk gab und gibt, das über die Jahrhunderte für die Singularität des
Operngenies Rossini Zeugnis abgelegt hat, dann ist es der „Barbier“, der
ursprünglich nicht einmal den Titel von Beaumarchais Vorlage trug,
sondern als „Almaviva ossia L'inutile precauzione“ über die Bühne ging.
Das
war vielleicht ein Zugeständnis an den Tenor-Star Manuel Garcia, den
ersten Almaviva, der natürlich die Titelpartie verkörpern wollte;
vielleicht aber auch eine Reverenz an Paisiello, wie Rossinis
Parteigänger den Verehrern des ersten berühmten „Barbier“-Komponisten
versicherten.
Seinen Siegeszug trat das Stück schon als „Il barbiere
di Siviglia“ an.
Ein Schnellschuß
Und kein Mensch hat je bemerkt, in welcher Eile diese
perfekte Musikkomödie einst entstand.
Das Libretto war in etwas mehr als
einer Woche fertig. Für die Musik benötigte der Vielschreiber Rossini
dann nicht einmal 14 Tage.
Dabei hält sich die Zahl der
Selbstplagiate in Grenzen.
Ein paar melodische und dynamische Einfälle,
so etwa das berühmte Crescendo in Don Basilios „Verleumdungsarie“
stammen aus früheren Kompositionen.
Nur die Ouvertüre hatte Rossini
bereits zweieinhalb Jahre früher in „Aureliano in Palmira“ verwendet und
vier Monate vor der „Barbier“-Uraufführung auch als Introduktion für
„Elisabetta, regina d'Inghilterra“.
Bemerkenswert immerhin, dass Musik,
die uns heute wie die Inkarnation des geistvollen musikalischen
Unterhaltungsgenres anmutet, auch vor tragischen Geschichten passend zu
sein schien . . .
Wie feinsinnig und raffiniert im „Barbiere“ nach
dem Aufgehen des Vorhangs dem Komödiantischen gefrönt wird, erweist
Rossinis Werk jedenfalls seit 200 Jahren. Kaum ein Werk der
Musikgeschichte hat es auf derartige Aufführungszahlen gebracht – von
Rossini selbst kommen bestenfalls die nach ihm benannten Tournedos noch
öfter auf den Teller, als der Figaro „da und dort und oben und unten und
drüben und hüben“ im Opernhaus zu finden ist.
800 Mal an der Wiener Oper
Allein an der Wiener
Staatsoper hat man ihn seit Eröffnung des Hauses am Ring an die 800 Mal
erleben können, davon 402 Mal in der aktuellen Inszenierung Günter
Rennerts, die übrigens bis heute so frisch wirkt wie das Stück selbst . . .
Rossini, das Wunderkind
Schon als Zwölfjähriger hat Gioacchino Rossini komponiert. Seine Streichersonaten gehörten in den
Sechzigerjahren des XX. Jahrhunderts in der
Aufnahme durch Neville Marriner und seine Academy of St. Martin in the Fields
zum Standardrepertoire morgendlicher Radiosendungen. Frühstücksmusik
sozusagen - und Rossini hätte gar nichts gegen diese Bezeichnung gehabt, denn
seine Stücklein- deutlich nach dem Vorbild Mozartscher Divertimenti
gearbeitet - waren auch für ihn nichts als Unterhaltungsmusik. Geschliffenster
Machart allerdings-was umso mehr erstaunt, als sie von einem Zwölfjährigen
stammen: Das Genie des späteren Belcanto-Meisters sprühte schon im zarten
Teenager-Alter vor Ideen. (Die Aufnahmen der Academy sind auf Praga wieder greifbar)
Erfindung der Grand Opéra
Ein wenig verkürzend könnte man sagen, daß Gioacchino Rossini, bevor er sich in der Hälfte seines Lebens in die Küche zurückgezogen hat, seinen jüngeren Kollegen noch schnell eine schier unlösbare Aufgabe gestellt hat: und zwar paradoxerweise, indem er eine Aufgabe löste. In Paris bemühten sich die Modekomponisten gerade um die Etablierung einer eigenen, den französischen Ansprüchen genügenden Kunstform: eine repräsentative, alle Theaterkünste einbeziehende neue Gattung sollte das werden. Rossini verstand das Problem und schreb seinen "Wilhelm Tell", das Musterbild der Grand Opéra. An diesem perfekt gebauten Vorbild hatten sich nun Meyerbeer und seine Kollegen "abzuarbeiten". Ist einem von ihnen eine bessere "große Oper" dieses Zuschnitts gelungen?
Später Tribut an den Lieben Gott
Die zweite Hälfte seine Lebens verbrachte Rossini - von Krankheiten gezeichnet - mehr kochend als komponierend in Frankreich. Nebst unzählichen kleinen Klavier-Stücken und Liedern entstand nur noch eine groß dimensionierte Komposition.
Nicht frei von Humor ist deren Gattungsbezeichnung: „Petite Messe solennelle“. Diese sogenannte
„kleine Messe“ dauert 80 Minuten, ist in ihrer Urform alles andere als
„solennelle“ – nämlich für Singstimmen, zwei Klaviere und Harmonium
gesetzt – und mit einer rührenden Widmung an den lieben Gott versehen:
Ich bin für die Opera buffa geboren. Du weißt es gut! Ein wenig Talent, ein wenig Herz, mehr nicht. Sei nun gepriesen und lass mich ein ins Paradies.