Schneeflöckchen

»Snegurotschka«

Nikolai Rimskij-Korsakow nach Ostrowski

Ein Prolog und vier Akten - inspirierte, fantasievolle Musik vom ersten Ton an, ein Märchen-Drama poetischen Zuschnitts; und doch ist dieses Werk jenseits von Rußland kaum bekannt geworden.

Nikolai Rimskij-Korsakow begeisterte sich für das Märchendrama Ostrowskis, zu dessen fantastischen Begebenheiten schon Tschaikowsky eine Schauspielmusik komponiert hatte. Die Gestalten des Schneeflöckchens, das sich nach Wärme sehnt, an der Sonne aber vergehen muß, des Hirten Lel, des guten Zaren, die Verehrung für den Sonnengott Yarilo - das inspirierte den Komponisten ungemein. Yarilo wird uns in der Musikgeschichte wenig später übrigens wieder begegnen: Er ist es, dem - ungleich effektvoller und dauerhafter in unseren Konzertsälen und Opernhäusern - in Igor Strawinskys Sacre du printemps geopfert wird!

Strawinskys Lehrer Rimskij-Korsakow vollendete seine Oper im Sommer 1880 in einem eigens für diesen Urlaub gemieteten Landhaus. Die Umgebung war ebenso anregend wie das Libretto, wie der Komponist bekannte:

Alles hat mich entzückt, der liebliche Garten ... das Thema des Dramas vom Schneeflöckchen ... der Hirte Lel, der für mich den idealen Volkskünstler verkörpert, die Personifizierung der Musik selbst und ihrer magischen Kraft, die zwischen Mensch und Natur vermittelt, zuweilen aber versunken in seine Träume und distanziert, ja scheinbar herzlos im Umgang mit normalen Wesen.
Rimskij-Korsakov selbst hat darauf hingewiesen, daß er in diesem Werk nicht nur seine allseits gepriesge, auf vielfältige Klangmischungen abzielende Orchestrierungstechnik angewendet hat, sondern immer wieder auf orchestrale »Primärfarben« vertraut: Den Singstimmen treten immer wieder Instrumentalsoli zur Seite, Violine, Violoncello, Flöte, Oboe und Englischhorn, vor allem aber die Klarinette.

Tatsächlich sind manche Nummern von instrumentalen Effekten ebenso geprägt wie vom Gesang, so etwa Schneeflöckchens Arie vom Beerensammeln, die in eine dialogische Passage zwischen Sopran und Oboe mündet. Die Kavatine des Zaren im zweiten Akt wird von einem schwebenden Cellosolo begleitet. Prägend für die Partitur sind aber, wie sooft bei diesem Komponisten, die farbenprächtigen, stimmungsvollen Naturschilderungen, das von Vogelgezwitscher erfüllte Frühlingserwachen im Prolog oder die pittoreske Morgendämmerung im Tal des Yarilo am Beginn des Schluß-Aktes, wenn Sonnengott blumenummränkt aus den Tiefen des Sees aufsteigt. Schneeflöckchen ist ein Stück für Dirigenten ebenso wie für Sänger und lebt vom orchestralen Kolorit wie von inspirierten Darstellern.

Akustisch läßt sich das Werk dank der Gesamtaufnahme unter Wladimir Fedosejews Leitung mit Valentina Sokolik in der Titelpartie, Alexander Verdernikov und Irina Archipova wunderbar kennenlernen. Die auf DVD greifbare szenische Realisierung durch Dmitri Tcherniakov leidet ein wenig unter der unsensiblen Modernisierung der Märchenszenerie - aus dem Reich des Sonnengottes wird ein Zigeunerlager - aber ein wenig von der Poesie des Werks ist sogar hier eingefangen; vor allem dank der zauberhaften Aida Gariufllina in der Titelpartie. (BelAir)

↑DA CAPO