Idomeneo, re di Creta

Wolfgang A. Mozart

Libretto: Gianbattista Varesco nach Antoine Danchet

Uraufführung: 29. Jänner 1781, Hoftheater München.

Idomeneo, König von Kreta (Tenor) – Idamantes, sein Sohn (Sopran oder Tenor) – Ilia, Prinzessin, Tochter des Priamus von Troja (Sopran) – Elektra, Tochter des Agamemnon (Sopran) – Arbaces, Vertrauter des Idomeneo (Tenor) – der Oberpriester Neptuns (Tenor) – die Stimme des Orakels (Baß)

Troja ist erobert. König Idomeneo hat vor seiner siegreichen Heimkehr die gefangenen Trojer nach Kreta geschickt. Prinzessin Ilia, die Tochter des trojanischen Königs Priamus, hat sich trotz der Feindschaft ihrer Völker in Idomeneos Sohn Idamantes verliebt, den wiederum Elektra leidenschaftlich begehrt.

Idomeneo, der kurz vor seiner Landung in der Heimat von einem Seesturm überwältigt wird, hat geschworen, das erste menschliche Wesen, das ihm nach seiner Rettung begegnen wird, dem Neptun zu opfern. Zu seinem Schmerz ist es Idamantes, der ihm entgegentritt.

Freund Arbaces rät, den Sohn mit Prinzessin Elektra nach Argos zu senden, um so der Rache des Gottes zu entgehen. Als die beiden das Schiff besteigen möchten, erhebt sich ein Ungeheuer aus den Fluten. Es wird Kreta mit Leid überschütten.

Idamantes will den Kampf mit dem Ungeheuer aufnehmen, todesmutig, weil seiner Liebe zu Ilia keine Erfüllung beschieden sein kann. Obwohl der Vater und Elektra auf sofortige Abreise dringen und Arbaces anbietet, an Stelle von Idamantes den Opfertod zu sterben, muß der König im Angesicht der Leiden des aufbegehrenden Volkes bekennen: Nur der Tod seines Sohnes wird Neptun besänftigen. Da kehrt Idamantes siegreich zurück.

Er hat das Ungeheuer getötet. Doch ist er bereit, den Schwur seines Vaters zu erfüllen. Idomeneo zückt das Opfermesser, da fällt ihm Ilia in den Arm. Sie will für den Geliebten sterben. Ein Orakel verkündet die Lösung des Konflikts: „Idomeneo sei nicht mehr König, König sei Idamantes und Ilia seine Gemahlin.“ Rasend vor Eifersucht stürzt Elektra davon. Idomeneo krönt Idamantes.

Hintergründe

Mit dem „Idomeneo“, der 1781 als Festoper für den Münchner Karneval entsteht, definiert Mozart noch einmal seine singuläre Stellung als Musikdramatiker, der aus eigner Kraft althergebrachte Formen erneuert und mit ungeahntem Leben erfüllt. Er mischt die Stile, nimmt aus italienischen und französischen Vorbildern, was er für seine Ausdruckssprache braucht. „Idomeneo“ ist – ungewöhnlich genug – nach dem Vorbild von Gluck, Lully und Rameau durchaus eine Choroper. Doch sind die einzelnen Partien – wie schon bei den Mailänder Werken – in enger Zusammenarbeit mit den Darstellern konzipiert.

Ab November 1780 arbeitet Mozart, dem wiederaufgenommenen Dienst in Salzburg entfliehend, in München mit der Uraufführungsbesetzung. Der ausführliche Briefwechsel mit dem Vater dokumentiert, wie oft der Komponist einzelne Szenen umgestaltet und im Detail verbessert.

Er weiß, daß er für eines der besten Orchester seiner Zeit schreiben darf. Der neue Regent Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz hat einen Großteil des technisch so phänomenalen Mannheimer Orchesters nach München beordert. Mit dessen Kapellmeister Christian Cannabich erarbeitet Mozart die vielleicht schwierigste Partitur, die diesem Orchester, „einer Armee von Generälen“, wie die Zeitgenossen hochachtungsvoll kommentieren, je vorgelegt wurde. In seiner Ausdruckswut zieht Mozart sämtliche Register, malt Meeresstürme ebenso wie seelische Aufwallungen mit differenziertesten Mitteln. Von den furiosen Gesängen der Elektra bis zu den zarten Farben, die Ilias Arien mit pastelliger Stimmungsmalerei umgeben, reicht ein bis dahin wohl unerhörter Spannungsbogen.

Alle Formengrenzen scheinen gesprengt, Arien münden unversehens in Aufzugsmärsche, ganze Szenenblöcke sind in zukunftsweisender Manier realistisch durchkomponiert, durch kurze, pittoresk-orchestral ausgemalte Rezitative verbunden; oder getrennt, gesprengt, wie man’s nimmt.

Im Zentrum steht einer der bewegendsten Ensemblesätze der gesamten Opernliteratur, das Quartett „Andrò ramingo e solo“, in dem vier kontrastierende Gefühlsebenen übereinandergeschoben werden: Elektras ungeduldiges Aufbegehren; die Liebessehnsucht der Ilia, die auf Idamantes nicht verzichten will; dessen Einsamkeit und Todessehnsucht; und die aufbegehrende Verzweiflung des Königs – „Schlimmer als der Tod ist so großer Schmerz“: Auf dem Sterbebett wird Mozart 1791 bitten, dieses Quartett zu hören; und dabei in Tränen ausbrechen . . .

↑DA CAPO