Le nozze di Figaro

Wolfgang A. Mozart

Libretto: Lorenzo da Ponte nach Beaumarchais’ „La folle journée ou Le mariage de Figaro“

1. Mai 1786, Burgtheater, Wien

SINKOPHON: Figaro in neun Minuten

Mit Fragmenten der Premiere, Wien 1977 (H. v. Karajan)


Graf Almaviva stellt Figaro und Susanna, die heiraten möchten, ein Zimmer im Schloß zur Verfügung. Susanna ahnt, was der Graf, der ihr seit langem nachstellt, im Schilde führt. Um den Hochzeitstermin Susannas zu verzögern, ist ihm jedes Mittel recht. Figaro hat gegen ein Darlehen der Haushälterin Marcellina die Ehe versprochen. Kann er das Geld nicht zurückzahlen, will Marcellina auf die Einhaltung des Versprechens dringen. Doktor Bartolo will sie dabei unterstützen, denn er ist wütend, daß Figaro einst dem Grafen zur Ehe mit seinem Mündel Rosina verholfen hat.

Die Gräfin beklagt mittlerweile ihr Schicksal: Der Graf ist längst ihrer überdrüssig. Im Verein mit Susanna und Figaro will sie dem untreuen Mann ein Schnippchen schlagen. Man wird ihm ein Billett zuspielen, das ihm von einer Liebesaffaire seiner Frau berichtet. Zugleich wird Susanna ihn zu einem Schäferstündchen bitten. In Frauenkleidern soll ihn dann freilich der Page Cherubino überraschen, den der Graf zum Militär abkommandiert, weil er in pubertärer Liebestollheit seinen Amouren immer wieder im Wege steht.

Doch die Handlungsfäden verknoten sich auf unvorhersehbare Weise.

Der Graf, eifersüchtig, vermutet in einer Nebenkammer des Zimmers der Gräfin den Pagen.

Susanna wendet die drohende Katastrophe ab, indem sie mit Cherubino Platz tauscht. Doch dessen Flucht wird entdeckt. Beim Sprung aus dem Fenster hat er Blumen abgeknickt, was Gärtner Antonio beklagt und damit die vollständige Verwirrung besiegelt: Das Billett in der Hand des Grafen, das von der Untreue seiner Frau berichtet, der Vertrag in der Hand Marcellinas, die auf Verheiratung mit Figaro drängt, das Offizierspatent, das Cherubino beim Sprung aus dem Fenster verlor, in der Hand des Gärtners, Figaros raffinierte Volten beim Versuch, all das als Mißverständnis aufzuklären...

Der Graf ist wütend, als er hört, wie Susanna Figaro zuflüstert, er hätte den Prozeß gegen Marcellina schon gewonnen. Doch kann Susanna ihn mit dem Versprechen, ihm im Garten ein Stelldichein zu gewähren, beruhigen.

Den Prozeß gewinnt Figaro tatsächlich, denn es stellt sich heraus, daß er der leibliche Sohn Marcellinas und Bartolos ist. Eine Phalanx formiert sich nun gegen den lüsternen Feudalherrn.

Ein Verkleidungstrick entlarvt seine Absichten.

Almaviva muß um Verzeihung bitten – und Figaros Hochzeit seinen Segen geben.

Hintergründe

Der Weg zum Sensationserfolg des „Figaro“, der sich, verhaltener in Wien, triumphal dann in Prag, einstellen wird, ist für Mozart dornenvoll. Denn wider Erwarten dauert es Jahre, bis der „Entführung“ die nächste Bühnenarbeit folgen kann. Die vielen Aufführungen, die der „Entführung aus dem Serail“ beschieden sind, können nicht verhindern, daß Kaiser Josephs Versuch, ein „Deutsches Nationalsingspiel“ in Wien zu etablieren, zum Scheitern verurteilt ist.

Schon zwei Jahre nach der „Entführungs“-Premiere sind die Vorstellungen der deutschsprachigen Opern leer. Demgegenüber feiern die italienischen seit April 1783 mit Salieris „ Scuola dei gelosi“ und den „Frà due litiganti il terzo gode“ von Sarti wieder enorme Erfolge.

Es kann nicht ausbleiben, daß Mozart sich nach unliebsamen Erfahrungen mit deutschsprachigen Libretti um ein italienisches umsieht. „Nun hat die italiänische opera buffa wieder hier angefangen“, schreibt er am 7. Mai 1783 – noch vor der umjubelten Sarti-Premiere – an den Vater, „und gefällt sehr. Der Buffo ist besonders gut, er heißt Benucci. Ich habe leicht 100 – ja wohl mehr Büchel durchgesehen – allein ich habe fast kein einziges gefunden, mit welchem ich zufrieden seyn konnte – wenigstens müßte da und dort vieles verändert werden. Und wenn sich schon ein Dichter mit diesem abgeben will, so wird er vielleicht leichter ein ganz neues machen – und neu, ist es halt doch immer besser.“

Erstmals fällt in der Korrespondenz der Name jenes Mannes, der in den folgenden Jahren Mozarts kongenialer Partner bei der Revolutionierung der Opernform sein wird.

„Wir haben hier“, schreibt der Komponist, „einen gewissen Abbate da Ponte als Poeten – dieser hat nunmehr mit der Correctur im Theater rasend zu thun, er muß per obligo ein ganz neues Buch für den Salieri machen, das wird vor 2 Monaten nicht fertig – dann hat er mir ein neues zu machen versprochen. Wer weiß nun, ob er dann auch sein Wort halten kann oder will! – Sie wissen wohl, die Herren Italiäner sind ins Gesicht sehr artig – genug, wir kennen sie!“

Vor allem fürchtet Mozart die Übereinkunft da Pontes mit seinem erfolgreichsten Gegenspieler:
Ist er mit Salieri verstanden, so bekomme ich mein Lebtage keins – und ich möchte gar so gern mich auch in einer welschen Oper zeigen. Mithin dächte ich, wenn nicht Varesco wegen der Münchner opera noch böse ist, so könnte er mir ein neues Buch auf 7 Personen schreiben – basta, Sie werden am besten wissen, ob das zu machen ist. Er könnte unterdessen seine Gedanken hinschreiben und in Salzburg dann wollten wir sie zusammen ausarbeiten. Das Nothwendigste aber dabey ist, recht komisch im Ganzen – und wenn es dann möglich wäre zwei gleich gute Frauenzimmer-Rollen hineinzubringen – die eine müßte seria, die andere aber mezzo carattere seyn, aber an Güte müßten beide Rollen ganz gleich seyn. Das dritte Frauenzimmer kann aber ganz buffa seyn, wie auch alle Männer, wenn es nöthig ist. Glauben Sie daß mit dem Varesco was zu machen ist, so bitte ich Sie bald mit ihm zu sprechen.

Versuch mit der Gans von Kairo Varesco scheint sich, vielleicht auch gelockt von Mozarts Versprechen, mit der neuen Oper etwa 400 bis 500 Gulden verdienen zu können, interessiert gezeigt zu haben. Jedenfalls findet sich in Mozarts Nachlaß, von Varescos Hand geschrieben, ein vollständig ausgeführter Akt und die ausführliche Inhaltsangabe des zweiten und dritten Akts einer Oper namens „L’oca del Cairo“, zu der Mozart auch mehrere Nummern skizziert.

Die Handlung führt Homers Trojanisches Pferd auf die Ebene der Rokokoposse. Biondello liebt Celidora, wird von deren Vater aber gehindert, zu ihr vorzudringen. Freilich verspricht der Vater, seine Einwilligung zu einer Heirat zu geben, wenn es dem Bräutigam in spe gelingen sollte, in den Turm, in dem er seine Tochter gefangenhält, einzudringen. Biondello greift zu einer List, versteckt sich in einer mechanischen Gans, die angeblich während eines Unwetters aus Kairo einhergeflogen kam.

Sonderlich inspiriert war der Komponist von diesen Vorgängen nicht. Er unterbricht seine Arbeit nach Skizzierung von zwei Arien, zwei Duetten und einem Quartett sowie dem ersten Finale.

Vor allem sein untrügliches Gespür für dramaturgische Fragen halten ihn zurück. Die Tatsache, daß die beiden Hauptdarstellerinnen, Celidora und die von deren Vater begehrte Zofe, in Gefangenschaft ausharren müssen, stört den Komponisten.

Er ist überzeugt, „daß die Oper würklich fallen muß, wenn keine von den zwey Haupt-Frauenzimmern eher als bis auf den letzten Augenblick auf das Theater kommen, sondern immer in der Festung auf der Bastei oder Rempart herumspazieren müssen. Einen Act durch traue ich den Zusehern noch so viel Geduld zu, aber den zweyten können sie ohnmöglich aushalten.“

Am 6. Dezember 1783 erwähnt Mozart die „Gans von Kairo“ das letzte Mal in seiner Korrespondenz. Was uns an Skizzen erhalten ist, verrät die Handschrift des reifen Dramatikers. Die Auftrittsarie des Vaters Don Pippo, „Siano pronte“, die uns in einer Abschrift Johann Simon Mayrs aus Bergamo erhalten ist, weist im Tonfall auf Bartolos „La vendetta“, aber auch die Grafenarie aus dem „Figaro“ voraus.
Versuch mit »Lo sposo deluso«
Noch einen weiteren Opernversuch bricht Mozart 1783 wieder ab: Von „Lo sposo deluso“ sind überhaupt nur Entwürfe für die Ouvertüre und ein unmittelbar anschließendes Quartett, ein Terzett und zwei Arien erhalten. Wer das Libretto verfaßt hat, von dem nur Fragmente vorliegen, ist nicht gesichert.

Die Annahme, es könnte von Lorenzo da Ponte stammen, widerlegt der eklatante Qualitätsunterschied zwischen „Sposo deluso“ und dem „Figaro“, der Mozart im Oktober 1785 vorliegt – und mit dem da Ponte sein zwei Jahre altes Versprechen einlöst. Übrigens durchaus auf Drängen des Komponisten, der den Stoff für die Komödie selbst auswählt, wie da Ponte in seinen Erinnerungen bezeugt.

Die Aufführung von Beaumarchais’ „La folle journée ou Le mariage de Figaro“, die Emanuel Schikaneder mit seiner Truppe für den 3. Februar 1785 im Kärntnertortheater vorbereitet, findet zwar nicht statt. Joseph II. untersagt die Premiere wegen des revolutionären Inhalts der Komödie.

Interessanterweise darf aber der Druck des Stücks in der Übersetzung von Johann Rautenstrauch erscheinen. Mozart besitzt ein Exemplar und drängt da Ponte, das Stück zum Libretto umzuarrangieren. Nicht nur durch die Absage der Premiere ist „Figaro“ in Wien Tagesgespräch.

Auch die Berichte von der skandalumwitterten Uraufführung des französischen Originals, die im Vorjahr in Paris stattfand, haben die Wiener hellhörig gemacht. Immerhin wird hier ein lüsterner Graf lächerlich gemacht, von seinem Barbier und der Zofe der Gräfin blamiert. Immerhin werden alte Vorrechte des Adels im Licht der aufgeklärten Gedankenwelt als Unrecht decouvriert. Beaumarchais’ Vorgängerstück, „Der Barbier von Sevilla“, den später Gioacchino Rossini zum Opernerfolg machen wird, hat bereits 1783 in Form einer Opera buffa Einzug in den Wiener Spielplan gehalten.

Bemerkenswert, daß Joseph II., stets interessiert an musiktheatralischen Novitäten, regen Anteil an der Entstehung der Oper „Le nozze di Figaro“ nimmt und letztendlich die Erlaubnis zur Uraufführung erteilt. Da Ponte hat geschickt die umstürzlerischen Passagen aus dem Text entfernt. Was stehenbleibt, ist zwar nach wie vor von einiger Sprengkraft, doch überwiegt die hintersinnig-komödiantische Charakterzeichnung, die sich hier in Text und Musik zu ungeahnten Höhen aufschwingt: „Figaro“ wird die musikalische Komödie schlechthin, in allen Punkten psychologisch feinsinnig in Seelentiefen lotend. Mozart, der – anders als sein Vater – kein einziges Dokument hinterläßt, das auf das leiseste Interesse an politischen Fragen schließen ließe – schreibt sie in unglaublicher Geschwindigkeit, noch während des Kompositionsprozesses von da Ponte Änderungen und Einschübe erbittend.

Die Premiere am 1. Mai 1786 ist zwar kein ganz ungetrübter Erfolg. Doch müssen bei der zweiten Aufführung nach dem Zeugnis von Vater Leopold bereits fünf, bei der dritten sieben Nummern da capo gegeben werden. Bis zum Herbst finden Vorstellungen in Wien und im Hoftheater von Schloß Laxenburg statt, ehe der Erfolg von Vicente Martín y Solers „Cosa rara“, der Mozart im „Don Giovanni“ zitierenderweise ein Denkmal setzen wird, „Figaro“ zunächst aus dem Spielplan verdrängt. Erst 1789 nimmt man
das Stück in Wien wieder auf, umgearbeitet für die neue Sängerin der Susanna, Adriana Ferraresi, damals
unumschränkte Primadonna in Wien, die später auch die erste Fiordiligi in „Così fan tutte“ sein wird. Sie erhält die charmant walzernde Arie KV 579 statt der bezaubernden, aber keineswegs applausverdächtigen Nummer während der Verkleidung Cherubinos im zweiten Akt.

Interessant, wie der Komponist auf die Repräsentationsbedürfnisse seiner Sänger einzugehen bereit ist, obwohl in diesem Fall die feinsinnige Dramaturgie des „Figaro“ empfindlich gestört wird.

Susanna wird in der originalen – und später in der Regel immer gespielten – Fassung zwar dank ihrer Dauerpräsenz zur eigentlichen Hauptfigur der Oper, singt aber vor allem in Ensembles.

Erst die verträumte „Rosenarie“ läßt die Zeit einen Augenblick lang stillstehen.

Hier freilich entfaltet der Melodiker Mozart seine magischen Fähigkeiten zu voller Blüte: In dieser Arie scheint alles geradezu volksliedhaft schlicht aus wenigen Motivelementen entwickelt; und doch wiederholt sich keine einzige Phrase wörtlich, entfaltet sich die Stimme frei und in immer innigerem Ausdruck, kommentiert von den behutsam-liebevollen Bläsereinwürfen.

Der Ferraresi war auch das zu unspektakulär. Sie singt 1789 an Stelle dieses musikhistorischen Kleinods das Rondo „Al desio, di chi t’adora“ (KV 577), steht damit vom Rang her sozusagen auf gleicher Stufe mit der Interpretin der Gräfin. Das verhilft ihr zu lautem Beifall, doch sehr zuungunsten der dramaturgischen Balance, die Mozart und da Ponte mit der originalen Version ihrer Oper erreicht haben.

Hier ist alles perfekt austariert, auch die tonalen Verknüpfungen, die in feiner Verästelung der Intrige folgen und auf deren Höhepunkt, im Moment der äußersten Verwirrung, wenn im Finale des zweiten Akts entgegen aller Wahrscheinlichkeit plötzlich Susanna statt des Pagen Cherubino erscheint, den äußersten harmonischen Gegenpol zur „Grundtonart“ der Oper erreichen: Von diesen zentralen As-Dur-Takten führt der Weg wieder zurück, bis zuletzt die Tonart der Ouvertüre, D-Dur, endgültig bestätigt wird, die unentwegt hinausgezögerte Hochzeit endlich stattfinden kann.

Die architektonische Glanzleistung wird getragen von Einzelnummern, die jede für sich bis ins Detail liebevoll gearbeitet sind. Jeder Charakter ist mit Psychologenblick gezeichnet.

Die sprichwörtlichen juvenilen Schmetterlinge im Bauch, die in Cherubinos Auftrittsarie (in den Holzbläsern) hörbar werden, hat wohl kein anderer Komponist je anschaulicher in Töne zu setzen gewußt, ebenso die Melancholie einer verlassenen Ehefrau, wie sie die erste Arie der Gräfin umflort, oder die Wut des eifersüchtigen Figaro, wenn er im vierten Akt von den gehörnten Ehemännern singt – und gleich aus dem Orchester, von den Hörnern, versteht sich, kommentiert wird.

Einen unvergleichlichen Siegeszug tritt die neue Oper in Prag an, wo die sensationelle Aufnahme durch das Publikum zum nächsten Opernauftrag für Mozart führt: Den „Don Giovanni“ schreibt er für Prag, wo man auf den Straßen seit Jänner 1787 „nichts als den Figaro“ singt und pfeift, wie der Komponist mit Stolz nach Hause berichtet.

Prag ist offenkundig auch Schauplatz der ersten deutschsprachigen „Figaro“-Produktion. Diese Singspielfassung wird bis weit ins 19. Jahrhundert hinein jene Variante sein, die zur enormen Popularität des Werks beiträgt.

Wie populär manche Nummer der Oper sogleich geworden ist, demonstriert Mozart selbst: Er zitiert Figaros „Non piu andrai“ in Form einer Paraphrase für Bläserensemble im Finale des „Don Giovanni“. „Die Musik kommt mir äußerst bekannt vor“, kommentiert Leporello, als die Melodie erklingt.

Hör-Empfehlung

Eine Studioaufnahme von Mitte der fünfziger Jahre unter Erich Kleiber gilt vielen Kennern bis heute als das Non-plus-ultra: Kluge Temporelationen, sorgfältig ausbalancierte Ensemblekultur, pointiertes Orchesterspiel und beseelter Gesang (von Stars wie Lisa Della Casa, Cesare Siepi, Hilde Güden und Fernando Corena) vereinigen sich hier zur perfekten Musik-Komödie. Trotz Monophonie in nie wieder erreichter Harmonie.



↑DA CAPO