Das schlaue Füchslein
Bregenzer Festspiele 2003
Bewußt unspektakulär - und gerade deshalb bewegend: "Das schlaue Füchslein" eröffnete Alfred Wopmanns letzte Saison in Bregenz.
Wie ein Fuchs zum Fallensteller wird
Wie der Förster im Wald" wollte sich Alfred Wopmann von seinem Publikum, seinem Lebenswerk, den unter seiner Führung zu Weltgeltung erblühten Bregenzer Festspielen, verabschieden. In Leos Janaceks "schlauem Füchslein" ist es der Förster, der zuletzt sinnierend durch die Natur wandert und deren ewigen Kreislauf besingt. Es gibt nichts in der Operngeschichte, was weniger sentimental wäre. Denn die Natur ist in ihren Gesetzmäßigkeiten bestenfalls erbarmungslos. Weinerlich ist sie jedenfalls nie.Doch hält das Bregenzer Publikum den Atem an, wenn Füchslein Schlaukopf, bezauberndes Fräulein, Mutter und raffiniert die Hühner mordende Bestie in Personalunion, vom Landstreicher erschossen wird. Gerade weil die Dinge im Stück wie in der Inszenierung Daniel Slaters so naturhaft folgerichtig und gar nicht artifiziell ablaufen, gerade weil hier alles so mit rechen Dingen zugeht, darf doch nicht wahr sein, dass unser Sympathieträger, der Charmebolzen, den die junge Sopranistin Margareta Klobucar so hinreißend kokett auf die Bühne zaubert, einer Wildererkugel zum Opfer fällt.
Ganz still ist es da plötzlich im Festspielhaus, ehe die Musik wieder einfällt, geradezu unbeteiligt klingelnd, kein Trauermarsch, kein schicksalhafter Paukenschlag. Vielmehr raunt da wieder der Wald, rauscht der Wind durch die Zweige, bringt das Laub zum Rascheln. Das ist die eine Quelle, aus der sich Janaceks Musik speist. Die andere: Worte, Phrasen, kurze Ausrufe, die oft scheinbar en passant gesprochen werden. Das Orchester nimmt sie auf, verwandelt sie durch unablässige Repetitionen und Erweiterungen zu traumhaften musikalischen Bildern. Oder alptraumartigen, je nachdem.
Dazu tanzt ein Pärchen, gewandet wie der Förster und das Füchslein, zu Aletta Collins' Choreografie, die nicht besonders artenreich ist, doch beredet genug, um zu verdeutlichen, was die Bregenzer Produzenten wollen: Die Geschichte von Füchsleins Gefangennahme und rabaukischem Gehabe am Hof des Försters, von der Hochzeit mit dem kessen (nur in der höchsten Höhe der Janacekschen Melodiefragmente beengt wirkendem) Fuchs von Nataliya Kovalova und vom traurig unsentimentalen Tod, diese Bilderbuchgeschichte also so zu erzählen, dass die psychologische Verbindung von Tier- und Menschenleben offenkundig wird.
Da fantasieren die Honoratioren im Wirtshaus vom Schulmeister bis zum Pfarrer von ein und demselben Wesen, das auch den Fuchs fasziniert, den Dachs behext und die Hühner auf dem Hof verwirrt. Füchslein Schlaukopf ist Symbol aller Wünsche, Träume und Begierden schlechthin. Sie führt uns dorthin, wo das Menschliche zuerst allzu menschlich und dann auch kraft Sprachgebrauchs tierisch wird.
So hintergründig hat Janacek wohl gedacht, als er den Zeitungs-Cartoon zur Oper geadelt hat. Die Bregenzer Inszenierung lässt keinen Zweifel an der erotischen Bindung, die den Förster an jenes Urbild des Verführerischen fesselt, die das Füchslein kess verdrehten Auges verkörpert.
Keine Opern-Bonbonniere!
Auch die musikalischen Tatsachen, die Wladimir Fedoseyev am Pult der Symphoniker schafft, erlauben dem Hörer keine Flucht in Märchenbuch-Sphären. Janaceks Partitur bietet dem Interpreten zwar, glaubt man der überkommenen Spieltradition, hie und da die Chance, die pulsierenden, oft hektisch verdichteten Repetitionen zu schwelgerisch schönen melodischen Bögen zu verdichten.Da scheint es dann, man müsse die Dinge nur ein wenig langsamer spielen, und schon entpuppt sich das "Füchslein" als eine Art böhmischer "Butterfly" - In Bregenz ist das Stück von einer Opern-Bonbonniere dieses Zuschnitts so weit entfernt wie von der szenischen Anmutung eines kindgerechten Fabuliertheaters.
Fedoseyev nimmt Janaceks Partitur ernst und verschiebt sie vom Gleis der auslaufenden Romantik auf jenes der aufkeimenden Moderne. Das rundet die Aufführung, die auch szenisch bei allem Witz, aller Natur-Poesie der Dekors von Robert Innes Hopkins keine Verkitschung duldet. Wenn Peter Coleman-Wright, der als Förster die stimmlich solideste Leistung des perfekt nach Typen und Gestalten besetzten Abends bietet, zuletzt über das Leben räsoniert, finden wir uns im Epizentrum jener Vibrationen, die uns zwei pausenlose Stunden lang in innere Spannung versetzt haben.
Das Füchslein bringt mehr Saiten in uns zum Schwingen, als wir gern zugeben. Dass wir da so unbemerkt hineinschlittern, dass uns das gefangen genommen hat, lang bevor wir's uns eingestehen, spricht für das uneitle, ohne Regietheater-Belehrungsrute operierende Bregenzer Produktions-Team. Vor allem aber für Janaceks subtile Kunst, im Kleinsten Großes aufzuspüren - und uns aufs natürlichste wissen zu lassen, wie sehr wir durchschaut worden sind.